Dezember 2014 Archiv

Shiroishi

27_12_14_01Das mit der Planung hat schon mal besser funktioniert! Aufgrund eines Kommunikationsfehlers, welchen ich wohl zumindest in großen Teilen auf mich nehmen muss, schafften wir es heute, den Bus zu verpassen, welcher uns eigentlich zu einem Tempel bringen sollte. Nun war guter Rat teuer. Wir entschieden uns für eine Fahrt nach Shiroichi, einem kleinen Ort südlich von Sendai. Dieser Ort hat sich insbesondere auf die Herstellung traditioneller Puppen und einer bestimmten Nudelsorte verschrieben. Eigentliches Highlight ist aber ein Schloss. Miyagi, die Präfektur von Sendai, ist die einzige Präfektur, welche mehr als ein 27_12_14_04Schloss besaß. Zum einen gab es eines in Sendai, welches leider zerstört wurde und aufgrund von Geldmangel nicht wieder errichtet werden konnte und zum anderen eines im eben genannten Shirochi. Von diesem ist auch nur ein Teil erhalten, aber damit immerhin mehr als in Sendai. Der erhaltene Wachturm ist dabei auf jeden Fall sehenswert. Man hat eine schöne Aussicht auf die Berge um die Stadt und man hat außerdem die Möglichkeit, traditionelle japanische Gewandungen anzuprobieren. In unserem Fall waren das bei den Frauen schwere Kimonos. Zwar beschwerten sie sich über das Gewicht, in Anbetracht der Raumtemperatur zeigte sich aber der Vorteil des dicken Stoffes und man blieb überraschend warm. Zu unserem Glück 27_12_14_03freute sich der örtliche Rentner so sehr über das Kommen von uns Ausländern, dass er uns gleich eine Privatführung ermöglichte. Im Anschluss an das Schloss ging es dann noch weiter in eine Samuraibehausung, welche nach traditionellem Vorbild erhalten ist und einen schönen Einblick in das Leben in Japan vor mehreren Jahrhunderten ermöglicht.

Nach der Kultur ging es dann ans Schlemmen. Vor mehreren Jahrhunderten erkrankte der Sage nach ein Vater an Magenschmerzen und keine Medizin wollte helfen. Sein Sohn versuchte alles, um das Leiden seines Vaters zu lindern, wobei er auf ein Rezept für leicht bekömmliche Nudeln stieß. 27_12_14_05Diese Nudeln ermöglichten die Gesundung des Vaters und als der Herrscher von der Geschichte erfuhr, erließ er das Dekret, dass von nun an nur Shiroishi diese Nudeln herstellen soll, welche als Umen bekannt wurden. Über den Wahrheitsgehalt der Sage kann ich zwar nichts sagen, aber die Nudeln schmecken nachweislich.

 

Im Anschluss an das Essen musste es aber schnell gehen. Es galt zurück nach Sendai zu fahren, wo uns ein Mitglied unserer Fußballfreunde schon mit ihrem Kind erwartete. Sie war leider bei unserem Treffen krank, wollte meinen Eltern aber wenigstens 27_12_14_06noch eine Kleinigkeit schenken, weshalb diese von nun an mit einem neuen Lehrbuch und viel gutem Papier Origami üben müssen.

 

Leider blieb dieses Treffen aber viel zu kurz, denn wir waren schon wieder verabredet. Die Mutter, von der ich vor kurzem über den Schulaustausch ihrer Tochter nach Deutschland berichtete, hatte uns eingeladen. Sichtlich nervös wartete sie schon auf uns, merklich angespannt, ob meine Eltern auch Spaß an dem Treffen haben würden. Es fühlte sich so an, als ob sie extra deswegen schon den ganzen Tag in der Küche gestanden hatte. Es wurde aber ein lustiger Abend, wobei Orsolya und ich viel Übersetzungsarbeit leisten mussten. Unsere Gastgeberin hatte noch die Leiterin der Sprachgruppe eingeladen, wodurch wir viele Gesprächsthemen fanden und selbst meine Eltern es etwas leichter hatten zu kommunizieren. Zum Essen gab es leckeren Nabetopf, frittierten Fisch und viel zu viel Nachtisch. Es war ein schöner Abend, den wir gerne einmal wiederholen können. Auf jeden Fall hatten wir die Möglichkeit, auch noch mal ein paar Missverständnisse und Sorgen ihrerseits bezüglich ihrer Tochter zu beseitigen und meine Eltern konnten endlich einmal echtes japanisches Familienleben erleben.

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Tag Drei – Sendai bei Tag und Nacht

Ach, was waren das für Zeiten, als vor ein paar Monaten Dennis mit mir durch Sendai reiste! Laufen, was das Zeug hält, Strecken werden nur in der Entfernung bis zum nächsten Kombini berechnet und auch ansonsten verlief alles ohne großes Gemeckere und Stöhnen über die Entfernungen, welche wir zurücklegten. Ok, meine Eltern stöhnen nicht wirklich, aber sie sehen überraschend erschöpft aus, wobei man ihnen für den Altersunterschied zu Dennis trotzdem eine generelle Fitness bescheinigen muss. Ziel des heutigen Tages war auf jeden Fall Sendai zu besichtigen und da gibt es noch ein paar Sachen, welche sie bisher noch nicht gesehen haben. Zu diesem Zweck ging es mit einem Sehenswürdigkeitenbus einmal quer durch Sendai – vom Bahnhof bis zum Mausoleum von Date Masamune, dem bekanntesten Herrschers der Stadt. Wenn man es so will, ist er sogar die einzige geschichtliche Berühmtheit, welche japanweit aus Sendai bekannt ist.

Der F26_12_14_02eudalherr, welcher um 1600 herum lebte, war für die Blüte der Stadt verantwortlich. Im Endeffekt errichtete er die Stadt um seine Festung und machte sie erst zu dem, was sie heute darstellt. Trotzdem geriet er relativ in Vergessenheit, ehe zwei glückliche Umstände aufeinandertrafen. Das waren eine Werbeoffensive der Stadt Sendai, welche die Mondsichel auf Masamunes Helm als Werbeelement verwendete und eine TV-Serie, welche einen jungen Date Masamune als Hauptcharakter wählte. In einem Land wie Japan, das nach Samurai verrückt ist, war dies natürlich ein gefundenes Motiv für die Jugend, welche den doch relativ betagten Feldherren nun als jungen, athletischen Kämpfer mit Samuraiidealen stilisierte. Gerade sein26_12_14_01 Mausoleum zeigt aber auch, dass sich Masamune durchaus auch selber der Bedeutung von Repräsentation für die Erinnerung bewusst war. Sein Grabmal braucht sich in keinster Weise vor vergleichbaren Gräbern in Kyoto verstecken und ist auf jedem Fall eine Reise wert, wenn man bereit ist, ein paar Stufen zu erklimmen.

Im Anschluss an dieses Museum passierte uns leider ein verhängnisvoller Fehler: Durch einen Lesefehler gingen wir davon aus, dass der nächste Bus erst in mehr als einer halben Stunde kommen würde. Da dies in der Abgeschiedenheit des Mausoleums natürlich viel zu lang war, schlug ich vor, doch zum nächsten Ziel zu laufen. Das alte Wasserkraftwerk am Fuße des Hiroseflusses ist mit dem Fahrrad in zehn bis fünfzehn Minuten zu erreichen, ich vergaß aber, unsere Geschwindigkeit zu Fuß einzurechnen, wodurch wir weit länger brauchten und ich glaube, meine Eltern waren in Anbetracht des in der Tasche steckenden Tagestickets für den Bus nur bedingt erfreut. Immerhin konnte ich ihnen so meinen Campus zeigen. Der Abstecher ins Stadtmuseum dagegen lohnte sich nicht, da dieses für die nächsten drei Monate leider geschlossen ist. Im Endeffekt erreichten wir dann aber das alte Wasserkraftwerk. Das Museum selber ist interessant, da es mit Hilfe von Franzosen in meinem Forschungszeitraum errichtet wurde und da sich kaum einmal Ausländer dorthin verirren. Eigentlich ist das schade, da sogar Otto von Guericke, und damit ein Magdeburger, in ihm Erwähnung findet.

26_12_14_03Nach all der Wanderung konnte es nun endlich mit dem Bus weitergehen. Unser nächstes Ziel war der Pageant of Starlight. Die komplett beleuchtete Straße ist alleine eine Reise wert und für jeden Besucher beeindruckend. Nach mittlerweile vier Jahren macht er auf mich weniger Eindruck, 26_12_14_04aber meinen Eltern schien es sehr zu gefallen. Dazu hatte ich die Möglichkeit, ihnen endlich einmal echtes Festivalessen zu zeigen, welches wirklich abwechslungsreich ist. Gegrillte Austern in der Schale zum Beispiel können locker mit deutschem Festessen konkurrieren und heiße Sake ist ein idealer Glühweinersatz.

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Nach dem Pageant ging es dann noch Oden essen. Oden, gekochtes Gemüse und Fleisch, sind eine japanische Spezialität im Winter und schmeckten wieder einmal sehr gut. Das einzige Problem war der Tisch. In unserem streng traditionellen Restaurant hieß es, auf dem Boden an einem 30 cm hohen Tisch zu sitzen. Für die kleinen Japaner mag das ja noch angehen, mir persönlich und meinem Vater war es aber etwas zu klein und unbequem. Im Endeffekt sind wir aber in Japan und da sollte man sich an die anderen Sitten gewöhnen und sie befolgen, besonders solange es schmeckt.

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In der Onsen

Tag Zwei des elterlichen Aufenthaltes steht an und für heute haben wir etwas sehr Spezielles im Plan: Es geht in die Onsen, welche unser Sushimeister für uns besorgt hatte. Was uns erwartet und wie es aussieht, ist zwar nicht ganz klar, aber wen stört das schon? Augen zu und durch heißt es im Sprichwort und seitdem ich Japan bereise, bin ich damit immer gut gefahren. Mit einem kostenlosen Bus ging es erst einmal für eine Stunde in die Richtung des Onsenortes Akiu, wo wir direkt vor dem Onsenhotel abgesetzt wurden. Dort erwartete man uns schon und nach kurzer Orientierung stand auch schon das Mittagessen auf dem Tisch.

25_12_14_03Das Essen gestern war schon genial, aber das heutige Essen konnte es mit ihm aufnehmen! Es gab Sashimi, Tempura, Fisch, Gemüse, Tofu und vieles mehr und alles war sehr gut zubereitet. Wer in Japan Essen geht, sollte auf jeden Fall traditionelles Essen in einer japanischen Ryokan oder Onsen probieren. Von der Qualität ist es mit Sterneessen vergleichbar und für das Gebotene auch noch ziemlich günstig. Im Anschluss schwitzten wir im vierzig Grad heißen Wasser der Onsen das zu uns genommene Essen wieder aus. Es war ein rundum gelungener Aufenthalt. Auch meinem Vater schien es sichtlich zu gefallen, da es wirklich mal was anderes war und es schon interessant ist, bei leichtem Schneerieseln im Freien in einer heißen Quelle zu sitzen. Der Tipp hatte sich auf jeden Fall gelohnt und wir müssen dem Sushimeister bei Gelegenheit unbedingt einmal danken.

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Eigentliches Ziel des Tages war aber ein Treffen am Abend. Wir waren mit Kuma und einigen der anderen Fußballbekanntschaften verabredet. Dazu ging es in ein Akita-Restaurant, wo die örtlichen Spezialitäten der genannten Region angeboten werden. Besonderes Highlight sind aber die Namahages. Namahage ist der örtliche Dämon von Akita, der in ganz Japan bekannt ist. In der Mitte des Restaurantbesuches wird deshalb der Raum abgedunkelt und die Namahages besuchen den Gastraum. Das ist jedes Mal ein großer Spaß, besonders für jüngere Gäste. Aber auch das Essen ist gut.

25_12_14_07Zu Gast waren diesmal Kuma und seine Frau sowie Ota und sein Sohn. Es wurde ein witziger Abend, auch wenn besonders Ota und meine Eltern nur mit Handzeichen kommunizierten. Einfach mal mit Japanern einen Abend zu verbringen, ist immer ein Erlebnis. Es gab Nabe, einen heißen Eintopf, der am Tisch zubereitet wird. Da bis auf Kumas Frau niemand wirklich einen Plan zur Zubereitung hatte, musste sie dies übernehmen und gab uns anderen Befehle. Es ist schon beachtlich, wie bei den Japanern wirklich nur Frauen kochen können. Das Vorurteil stimmt wirklich.

Ota und SohnKuma und Frau25_12_14_05

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Nachdem bei unserem letzten Aufenthalt die Fußballfreunde meine Eltern mit kleinen Geschenken versorgt hatten, war es diesmal an uns, uns zu revanchieren. Für jeden der Vier und die dazugehörigen Familienmitglieder hatten meine Eltern ein kleines Weihnachtsgeschenk aus Deutschland mitgebracht und sie zeigten sich begeistert. Besonders die Tatsache, dass Vegalta keine Flaschenöffner wie der 1.FCM im Angebot hat, wurde dabei als Manko erkannt und muss laut unseren männlichen Fußballfans unbedingt beim Verein moniert werden. Es machte auf jeden Fall viel Spaß, nur die Sprachbarriere ist wirklich ärgerlich. Sowohl in Japan, als auch in Deutschland sollte jeder froh sein, der die Möglichkeit hat, Englisch zu lernen. Ohne diese Sprache als Vermittler verliert man einfach zu viel Kontext. Zum Glück verstanden Orsolya und ich aber genug Japanisch, um dieses Manko ein wenig auszugleichen. Ich freue mich aber auf den Tag, wenn Spracherkennung eine direkte Übersetzung ermöglicht. Jeder sollte wenn möglich versuchen, solche interkontinentalen Freundschaften zu pflegen. Ich werde auf jeden Fall meinen Bekannten auch nach Japan weiterhin schreiben.

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Weihnachten 2014

Frohe Weihnachten liebe Leser! Jetzt ist es also so weit und aus den besinnlichen Tagen, welche einem die Weihnachtsfeiertage versprechen, wird nichts, da sich Besuch angemeldet hat: Meine Eltern waren zwar im April schon einmal da, ihnen hat es aber so gut gefallen, dass sie gleich noch einmal kommen, um dem Trubel der Weihnachtsfeiertage in Deutschland zu entgehen und sich Japan im Winter anzuschauen. Es ist zu befürchten, dass sie bei einem weiteren Aufenthalt wohl im Sommer kommen würden, weil sie dann erfolgreich alle vier Jahreszeiten in Japan erlebt hätten.

Der erste Tag sollte aber relativ ruhig angegangen werden, es sind ja schließlich Feiertage. Um Mittag herum erhielt ich die Nachricht, dass sie Tokyo erreicht haben und sich nun direkt auf den Weg nach Sendai machen. Für mich war dies eine gute Nachricht, denn sie bedeutete, dass ich mich nicht um das Abholen kümmern brauchte. Wenn sie schon in Tokyo zurechtkommen, würde die Suche des Hotels direkt in Bahnhofsnähe kein Problem darstellen. Vielmehr verabredeten wir uns zu einem Treffen bei mir zu Hause, wo ich Orsolya schon verrückt machte, dass Deutsche ja immer pünktlich sind. Nur um meine Worte Lügen zu strafen, erreichten meine Eltern die Wohnung natürlich dreißig Minuten zu spät, da ihr Taxi im Stau stand. Nach der Bescherung ging es dann „ganz weihnachtlich“ zum örtlichen Sushigroßmeister.

Dieser kennt uns schon ziemlich gut und war bestens auf uns vorbereitet. Zum Einstieg erhielten wir erst einmal sehr guten Weihnachtssekt, ehe er uns mit einer Selektion von Sashimi, Seegurke, gebratenem Fisch in Misomarinade, besonderen Garnelen und zur Abrundung natürlich mit Sushi versorgte. Das Essen war göttlich und besonders die Seegurke sagte mir zu. Ihm selber gefiel es auch, konnte er doch endlich einmal einige seiner Spezialitäten an Ausländern versuchen. Seegurken hatte er zum Beispiel noch nie Ausländern zum Essen gegeben. Als gute Stammkunden waren wir aber natürlich auch auf ihn vorbereitet. Nachdem wir bei einem unserer letzten Besuche Fotos von Gästen an der Wand entdeckt hatten, erhielt er von uns ein neues Bild für die Sammlung, welches 24_12_14_03ihn und uns bei dem letzten Besuch meiner Eltern zeigte. Kurz entschlossen holte er begeistert eine Signaturtafel heraus, welche Restaurants in Japan für VIP-Gäste bereithalten, um Autogramme zu sammeln. Auf dieser mussten wir uns nun verewigen. Zum Abschluss des Abends holte er dann noch eine Weihnachtstorte heraus. In Japan wird zu Weihnachten traditionell eine Erdbeer-Sahne-Torte gegessen und er hatte eine besonders gute davon vorrätig. So konnten wir den Abend aus japanischer Sicht ganz traditionell begehen.

24_12_14_04Was soll man zu diesem Sushimeister noch sagen? Das Essen ist über jeden Zweifel erhaben und wer immer noch behauptet, alles Sushi wären doch das Gleiche, der hat noch nie bei echten Profis gegessen. Aber auch ansonsten hatten wir einen tollen Abend. Als akzeptierte Stammgäste zeigte er uns so einiges Neues und auch ansonsten war er sehr gesprächig. Highlight war aber sicherlich die Beratschlagung, was man denn nun in Sendai alles machen könne. Wir hatten schon vor Monaten versucht eine Onsen für meine Eltern zu mieten, sind aber kläglich gescheitert. Unser Sushimeister kannte aber natürlich jemanden und innerhalb von zehn Minuten hatten wir die Beschäftigung für den nächsten Tag gefunden. Über Beziehungen geht in Japan wirklich alles und ich bin schon gespannt, wie es wird. Er betonte auch extra, seinen Namen zu erwähnen, um besonders gute Behandlung zu erfahren, wobei ich keinen Zweifel habe, dass dies auch ohne diesen der Fall sein wird. Als Ausländer hätte man es aber hierzulande wirklich schwerer.

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Weihachten mit der Familie

Weihnachten ist die Zeit der Weihnachtsfeiern. Hier in Japan ist das meistens etwas anders. Normalerweise feiert man sogenannte Jahresendpartys, welche im Prinzip genau wie unsere Weihnachtsfeiern verlaufen. Neben den Sprachschulen gibt es aber noch eine Ausnahme und das ist der Hippo Family Club. Zu dieser Gruppe von Familien, welche versuchen, Sprachen auf kindliche Weise zu lernen, wurden wir am 23.12. eingeladen, um an ihrer Weihnachtsfeier teilzunehmen. Die Einladung erhielten wir allerdings nicht von der Leiterin, sondern von der Mutter eines Mädchens, welchem wir bei der Vorbereitung eines Austauschjahres nach Deutschland geholfen hatten. Dies ist schon ungewöhnlich, da normalerweise die Leiterin einlädt.

Schon kurz nach der Ankunft erfuhren wir auch, dass irgend etwas ganz und gar nicht stimmt. Besagte Mutter wollte uns sprechen und die Leiterin uns am liebsten vor der Mutter auch. Nach einer Weile hatten wir den Grund herausgefunden: Anstelle einer Gastfamilie in Freiburg im Breisgau, hatte die Tochter eine neue Familie zugeteilt bekommen und diese lebt in einem 140-Einwohner-Dorf irgendwo zwischen Eisenach und Nordhausen. Das Stadtkind aus der Millionenstadt muss also in die Thüringer Pampa und die Mutter hatte erst zwei Monate nach ihrer Ankunft überhaupt davon gehört. Nun standen wir also zwischen den zwei Seiten. Auf der einen Seite die Mutter, welche von uns Details erfahren wollte und auf der anderen Seite die Leiterin, welche versuchte, mit uns zuerst zu sprechen, um uns klar zu machen, dass es doch gar keine Probleme gäbe.

Die gab es aber wirklich zur Genüge. Wie wir erfuhren, hatte die Japanerin etwas rebelliert, soweit man das von einer Japanerin behaupten kann. Sie war natürlich über die Lage etwas schockiert und Dorfbewohner im Osten sind wahrscheinlich auch nicht gerade die Zugänglichsten. Da sie nun nicht schnell genug Freunde fand und sie einen Kulturschock erlitt, erhielt die Mutter erst einmal einen Brief mit einer Verwarnung an die Tochter, welche bei einer weiteren Verwarnung im Januar zurück nach Japan geschickt werden soll. Unter Druck gesetzt, wie man nach so etwas ist, hatte die Tochter dann einen endgültigen Kulturschock, worauf hin die deutsche Betreuung erst einmal den kompletten Kontakt mit Japan verbot. Eine Sechzehnjährige darf also über Weihnachten nicht mit ihren Eltern sprechen und die Mutter darf auch nicht einmal nach Deutschland fliegen, um ihre Tochter während des Aufenthaltes zu besuchen. Auch die Internetnutzung, wie Facebook, wurde der Tochter erst einmal entzogen.

Ich bin kein Fachmann, aber mir gefallen die Regeln nicht und ich hätte in dem Alter garantiert rebelliert. Für die Japaner war aber klar, die Tochter bemüht sich nicht richtig. Wenn in Japan eine höhere Gewalt etwas sagt, dann muss die Meinung stimmen. Während ich also Versagen bei den Gasteltern feststellte, welche anscheinend nicht genug versuchen, auf eine Sechzehnjährige einzugehen, versuchte Japan zu erklären, dass sie zu wenig Mühe in die Assimilation der deutschen Kultur investiert. Man kann sich vorstellen, dass es ein langer Abend wurde. Die Mutter beruhigten wir, dass die Situation ganz klar nicht alleine von der Tochter verursacht wurde und fünf weitere Japaner, inklusive der Leiterin, welche als einzige Kontakt mit dem Mädchen hat, erklärten wir erst einmal überhaupt die Situation. Immer wieder mussten wir bildlich darstellen, worum es eigentlich geht und dass Jugendliche nun einmal keine Roboter sind. Das fünf Menschen mit eigenen Kindern nicht in der Lage sind, sich solche Gedanken von alleine zu machen, ist schon ziemlich traurig. Im Endeffekt schafften wir es, sie zu überzeugen und Verbesserungsvorschläge für die Tochter zu machen. Selber eingreifen, um den Gasteltern vielleicht einmal die Situation der Japanerin darzustellen, dürfen wir aber auch nicht, da solche Dinge ohne die Zustimmung der nächst höherer Stelle natürlich nicht gemacht werden dürfen. Japanischer Obrigkeitsglauben ist einfach genial. Trotzdem glaube ich, wir konnten etwas bewegen und ich hoffe wirklich, dass die Tochter wegen falscher Betreuung nicht den Aufenthalt abbricht, wie sie schon plant, denn es wäre zu schade, wenn sie einen falschen Eindruck von Deutschland zurückbehalten würde. Wir bleiben aber auf jeden Fall an der Sache dran!

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Weihnachten an der Uni

Es ist wieder einmal so weit und zum vierten Mal in mittlerweile fünf Jahren werde ich das Weihnachtsfest nicht in Deutschland verbringen. So wirklich vermissen tue ich es eigentlich auch nicht, das Chaos in Deutschland um Weihnachten ist mir nur zu bekannt und ich brauche es nicht wirklich. Das heißt aber nicht, dass ich gar keinen Trubel habe. Erst einmal standen die Weihnachtsvorlesungen an und natürlich wollte jeder meiner drei Kurse genau über das Weihnachtsfest in Deutschland unterrichtet werden. Eigentlich sollte die ganze Sache für mich sehr entspannt verlaufen, hatte doch schon vor zwei Jahren eine Lehrassistentin eine Präsentation angefertigt, mit der die Studenten auf Weihnachten eingestimmt werden sollten. Ich sollte einfach die Präsentation vorstellen, dann würde das schon alles werden. So einfach kann es natürlich für mich nicht laufen. Die Erstellerin der Präsentation war Österreicherin und so wurde Weihnachten als extrem christlich vorgestellt und der spaßige Teil der Geschenke zum Beispiel blieb komplett außen vor. Auch die Aktivitäten waren zumindest fragwürdig: Jedes Kind würde zum Beispiel in Deutschland Christengel basteln und so sollten unsere Studenten das ebenfalls machen. Eine Gruppe 20jähriger Buddhisten bastelte so also fleißig Engel. Als weiteres Beispiel sei das obligatorische Weihnachtslied genannt. Meine Studenten lernen seit 10 Monaten Deutsch und aufgrund des japanischen Unterrichts sind sie bei weitem noch nicht so weit in der Sprache, wie sie es sein könnten. Anstatt ihnen nun ein einfaches Lied wie „O Tannenbaum“ beizubringen, sollten sie mithilfe einer CD des Thomanerchors „O du fröhliche, o du selige“ nachsingen. Das war ein riesiges Fiasko! Viele Sachen musste ich leider so hinnehmen und konnte sie nicht ändern, die Präsentation dagegen konnte ich aber erweitern. So blieb zwar die Hälfte des Ganzen christliche Propaganda, welche in dieser Form ziemlich sicher auf Süddeutschland und Österreich, also die katholischen Gebiete, zutreffen mag, ein anderer Teil wurde aber protestantisch sowie auch atheistisch geprägt und merklich horchten die Studenten hier auf. Anstelle einer Religionsstunde erhielten sie auf einmal Allgemeinwissen. „Wie wird gefeiert?“ und vor allem „Wie stelle ich Glühwein her?“ sind natürlich viel interessanter als die Frage, nach welchen Richtlinien Sternsinger auftreten müssen. Meine Studenten hatten auf jeden Fall ihren Spaß und ich hatte das Gefühl, dass sie sehr dankbar waren, etwas Abwechslung zu erhalten. Vielleicht schaffe ich es ja doch noch wenigstens bei ein paar Leuten, die süddeutsche Prägung zu verhindern.

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Weihnachten in Sendai

Wir schreiben Dezember 2014. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und das Wetter wird kälter. Wobei, so kalt ist es eigentlich gar nicht. Leider sehen das die Japaner anders. Während ich kurzärmlig zum Supermarkt um die Ecke renne, starren mich wildfremde Menschen an, als ob ich ein Außerirdischer wäre. Das wäre ja noch hinnehmbar, stellt es doch das allgemeingültige Verhalten vieler Japaner dar. Aber mittlerweile finde ich es gar nicht mehr so lustig, weil die Sendaier Rentner in den letzten Tagen anfangen, mich regelmäßig anzufassen, um dadurch zu überprüfen, ob ich wirklich nicht friere. Da fragt man sich doch so leicht, was diese Handlung bezwecken soll. Wollen sie sicher gehen, dass ich menschliche Haut habe oder erwarten sie gar ein Roboterskelett anstelle von Knochen?

Solche kleinen Sachen können mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin bin ich in Japan, was wiederum bedeuten sollte, dass es keine Weihnachtsmänner ab August zu kaufen gibt und nicht die gesamte Gesellschaft dem Weihnachtsfieber verfällt. Früher war das auch so, aber leider hat Hollywood es geschafft, diese Enklave der Ruhe zu vernichten. Zwar fängt Japan nicht so frühzeitig mit der Festvorbereitung an wie Europa, dieses Manko versucht man im Dezember dann aber durch um so mehr Elan auszugleichen. Aus allen Lautsprechern wird man durch schlechte japanische Coverversionen von Weihnachtsliedern beschallt und die Geschäfte wandeln sich in ein rot-grünes Wunderland, wo an jeder Ecke junge Japanerinnen stehen, welche in hohen Stimmlagen ein quietschendes „KAWAIIIIIIIIIIII“ von sich geben, was so viel wie ein langgezogenes „oh süß“ bedeutet. Aber auch abseits des Konsums hat man keine Ruhe. Im Unterricht muss ich über das Weihnachtsfest in Europa berichten und alle Sprachschulen haben zum Weihnachtsfest geladen. Immerhin, für mich hat es den Vorteil des kostenlosen Essens, welches ich als Ausländer bei diesen Feiern genießen kann.

Eine dieser Feiern fand gerade statt: Das MafuMafu hatte geladen. Damit habe ich mittlerweile meine vierte MafuMafu Weihnachtsfeier miterlebt und was soll ich sagen? Sie werden immer komischer. Die Sprachschule hat so ihre Probleme. Zu Thomas Zeiten gab es jemanden, der wirklich organisieren konnte und das Café zog immer neue Schüler an. Diese Zeit verblasst aber immer mehr. Obwohl die Mitarbeiter noch immer sehr bemüht sind, sieht der Chef seine Zukunft wohl mehr in Tokyo, wo vor einer Weile eine Zweigstelle der Schule eröffnete und wohin nun alle Ressourcen fließen. Bei der Weihnachtsfeier merkt man dies stark. Waren es vor 4 Jahren noch hunderte Teilnehmer, so dürften es diesmal um die fünfzig gewesen sein. Dazu war die Organisation ziemlich fragwürdig. So sollten an jedem Tisch zwei bis drei Ausländer als Gesprächspartner sitzen. In unserem Fall waren dies ein Russe und ich. Leider schien aber niemand den Russen gebrieft zu haben, was dazu führte, dass er alle Gesprächsversuche auf Englisch direkt in Japanisch beantwortete. Das ist natürlich toll, dass sein Japanisch so gut ist, den Japanern bringt es aber nichts und meine Beschwerden ignorierte er einfach. Es ging so weit, dass meine englischen Antworten von ihm direkt ins Japanische übersetzt wurden, obwohl ich das nicht wirklich wollte. Von den Mitarbeitern der Sprachschule traute sich aber auch keiner einzugreifen, weil man seit der Schließung des Cafés auch viel zu wenig Ausländer als Gesprächspartner zur Verfügung hat und deswegen auf jeden Einzelnen angewiesen ist.

Aber nicht nur die Ausländer waren seltsam. An meinem Tisch saß noch eine junge Japanerin, welche alle aktuellen Klischees erfüllt. Disneys letzter Film Frozen ist hierzulande ein unbeschreiblicher Erfolg und das besonders in der Altersklasse 20 bis 30. Einige meiner Mitstudentinnen haben diesen Film drei bis vier Mal im Kino gesehen und überall gibt es entsprechende Fanartikel zu kaufen. Diese junge Dame war nun ein extremer Fall dieses Phänomens. Sie erschien schon in einem Kleid des Films und schaffte es sogar, im Gespräch zu singen. Wer also mit seinen Kindern Disneyfilme schaut und die Singerei befremdlich findet, dem sei versichert, in der Realität ist so eine Situation noch surrealer. Nach langen Kommunikationsversuchen schaffte ich es, immerhin einige Informationen aus ihrem Gesinge/Gestammel zu entnehmen. Es handelte sich um eine 25-jährige Studentin, welche den Film schon unzählige Male geschaut hat. Das Verlangen, die Originalversion zu verstehen, überzeugte sie, sich einer Sprachschule anzuschließen, um die Sprache zu lernen. Irgendwo dazwischen muss sie wohl ihren Sinn für die Realität verloren haben. Es ist schon traurig, wenn das 3-jährige Kind am Tisch reifer erscheint, als eine 25-Jährige. Aber auch ansonsten war unser Tisch seltsam: So hatten wir eine Rentnerin, die die 3-Jährige am liebsten adoptiert hätte und ein Arztpaar, welches sich mit Rotwein volllaufen ließ. Zusammen mit den „spaßigen“ Spielen, welche die Veranstalter zu spielen versuchten, ohne dass jemand wirklich verstand, was zu tun war, war der Tag für mich auf jeden Fall nicht so überzeugend und es erschien mir als die schlechteste Weihnachtsparty bisher in Sendai. Wenigstens schafften wir es aber, eines der Spiele zu gewinnen, wodurch wir ein wenig Süßkram gewannen, wobei ich meinen Anteil aber bereitwillig an das wichtigste Teammitglied, unsere 3-Jährigen, abgab. Eines kann ich auf jeden Fall sagen, von Frozen habe ich erst einmal genug und Sprachschul-Weihnachtsfeiern brauche ich erst einmal auch nicht mehr.

Ansonsten verlief diese Woche aber ziemlich ruhig. Unsere Masterstudenten haben Abgabetermin für ihre Masterarbeiten und das große Chaos fängt an. Die Einen haben noch sechs Tage Zeit, um 55 Seiten zu schreiben und die Anderen geben mir auf einmal kurzfristig zwei Tage vor der Angst 20 Seiten zum Korrigieren. Es ist beachtlich, welche Schwankungen der Qualität Masterarbeiten hierzulande unterliegen. Ich kenne einige richtig gute und aber auch wirklich schlechte. So handelte es sich bei den 20 Seiten um eine Abschlussarbeit im Fach Englische Literatur. Jeder Satz hatte Fehler und mehr als die Hälfte der Arbeit war nicht verständlich. Trotzdem wird am Ende aber doch wieder jeder bestehen. Das Gerücht, dass jeder, der einmal an der Uni in Japan aufgenommen wurde, am Ende auch einen Abschluss macht, erscheint mir nach solchen Texten immer mehr plausibel. Auf jeden Fall hält mich der Kram gut auf Trab und obwohl ich selber keinen Abgabetermin habe, freue ich mich, wenn die Deadline vorüber ist, weil auch ich dann wieder etwas mehr Zeit für dieses schöne Land und natürlich für meine Arbeit habe.

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Die Butterknappheit in Japan

Das Ende des Jahres nähert sich unaufhaltsam. Die Märkte färben sich grün und rot, überall werden Weihnachtsmänner und -frauen verkauft und der Europäer in mir entdeckt die Idee, doch mal zu versuchen, etwas zu backen. Zu diesem Zweck braucht man Butter. Butter, das ist hier in Japan von Natur aus etwas komplizierter, als es von vornherein für Ausländer den Anschein hat. Die Butter in Japan ist gesalzen und damit meine ich nicht leicht gesalzen, sondern stark salzig im Geschmack. Wer dagegen normale Butter ohne Salz haben möchte, der muss darauf hoffen, in einem Supermarkt die einzige Sorte zu finden, welche einen extra Vermerk darauf hat, nicht gesalzen zu sein. Im Normalfall hat man in dreißig Prozent der Fälle das Glück und muss im Zweifel dafür schon ziemlich suchen.

Heute habe ich mich also auf die Suche begeben. In sechs Supermärkten fand ich nichts. An sich kann so eine Quote schon einmal vorkommen, dass aber gar keine Butter vorhanden war, das wunderte mich schon sehr und nicht einmal die Verkäufer konnten mir den Grund dafür nennen. Ich begab mich also auf die Suche und entdeckte, dass ich nicht der erste Ausländer mit der Frage war und die Antwort ist verblüffend: Das Hochindustrieland Japan hat im Jahr 2009 entschieden, dass es weniger Kühe braucht, da der Verbrauch an Milchprodukten in Japan gering sei. Seit dem Jahr 2010 ist der Verbrauch aber so stark angestiegen, dass die Kühe überlastet sind und deshalb in diesem Jahr schon im April mit Mühe und einem großangelegten Import aus dem Ausland die Knappheit gerade so verhindert werden konnte. Jetzt im Dezember gelang das wiederum nicht. Grund dafür ist der Anstieg an Butterverbrauch in der Weihnachtszeit, wo traditionell ein Kuchen mit Sahne und Erdbeeren gegessen wird, welcher wiederum viel Butter benötigt. Das erste Mal in meinem Leben erlebe ich deshalb eine echte Mangelsituation an einem Grundprodukt. Die Supermärkte, welche nämlich noch über Butter verfügen, haben diese rationiert und geben nur noch eine Packung pro Familie heraus. Aber was soll´s, ich esse eh wenig Butter!

Auf jeden Fall bekenne ich mich aber eindeutig schuldig. Ein unkalkulierter Anstieg des Milchverbrauchs seit dem Jahr 2010, ich sehe da eine eindeutige Korrelation! Das passt gut in das Bild der Getränkeknappheit, an der mein Supermarkt am Ende einer Woche immer leidet. Immer sind es nur meine Lieblingsgetränke, wo man mir nun schon zum wiederholten Male erklären wollte, dass man seit einer Weile einen Anstieg an Verbrauch von Calpis und Aquarius feststellt, dieser aber das Bestellen von mehr noch nicht rechtfertige. Ich sehe schon, die Probleme in Japan hören erst auf, wenn ich wieder in Deutschland bin!

Nebenbei, noch ein Hinweis in eigener Sache: Es gibt immer wieder mal Bilder oder andere Kleinigkeiten, welche sonst nicht so wirklich in den Blog passen, aber zu schade sind, sie nicht zu veröffentlichen. Zu diesem Zweck präsentiere ich eine neue Blogunterseite, welche es sich zur Aufgabe macht, genau diese Dinge kurz zu präsentieren. Wer also Interesse bekommen hat, der folge bitte einfach dem folgenden Link: https://rj-webspace.de/?cat=11.

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Vegaltas Endspiel

Es ist ein ganz normaler Samstagabend um 19.00 Uhr in Sendai. Die Menschen in der Stadt gehen ihren normalen Beschäftigungen nach und das Leben verläuft in ruhigen Bahnen, als der Stadtteil Izumi von einem lauten kollektiven Aufschrei aus der Ruhe gerissen wird. Minutenlang hört man daraufhin aus dem kleinen Stadion, in dem Vegalta spielt, nur lautes Schluchzen. Wer in diesem Moment im Stadion war, konnte nach diesem Aufschrei nur die Fassungslosigkeit in allen Gesichtern sehen. Was war passiert? Lasst uns dazu etwas zurückgehen:

Der Fußballosten in Deutschland: Viele Vereine mit lautstarken und fanatischen Fans zeichnet diese Region aus, die wirtschaftliche Situation sorgt aber dafür, dass nur südliche und westliche Vereine um die Titel mitspielen. Was sich so in Deutschland abspielt, kann man eins zu eins auch auf Japan übertragen. Yamagata, Sapporo, Aomori oder Akita, das sind Hauptstädte ihrer Regionen, aber im Fußball haben sie einen schweren Stand, da die Sponsoren besonders im zentralen Japan zu finden sind. Das einzige Team aus dieser Region, was sich seit 2009 in der oberen Liga hält, ist Vegalta Sendai. Wer dagegen einmal runter in die zweite Liga geht, hat es schwer, je wieder einen Fuß in die obere Liga zu bekommen. Yamagata und Sapporo sind dafür leuchtende Beispiele. Eine verkorkste Relegation, welche den dritten Aufstiegsplatz aus Relegationsspielen zwischen dem Dritten bis Sechsten der Liga ausspielen lässt, ist der Grund dafür.

Heute stand dabei das wichtigste Spiel der Saison an. Es ist der 33. Spieltag und entweder Sendai schafft heute den Klassenerhalt oder man hat am nächsten Spieltag gegen die spielstarke Mannschaft aus Hiroshima einen sehr schweren Stand. Aber was für eine Saison musste Sendai dieses Jahr durchlaufen: Es wurde ein neuer australischer Trainer eingesetzt, welcher die kampfbetonte Kontertaktik Sendais durch eine Ballbesitztaktik mit einer Spitze ersetzen wollte und dafür nur australische Wundertüten als Spieler verpflichtete. Es gab einen Ultrablock, der in Tränen ausbrach, als der Vorsänger das erste Mal seit der Gründung der Ultras resignierte und sich weigerte, das Team bei der Demontage gegen Urawa noch zu unterstützen. Der Trainers gab nach acht Spielen ohne Sieg und dem letzten Tabellenplatz freiwillig auf, nur um im Nachhinein gegen den Verein nachzutreten und in den Medien den garantierten Abstieg zu prophezeien. Es gab Spieler, die das Management anflehten, den unerfahrenen Co-Trainer zum Trainer zu machen. Nach all dem Chaos folgte dann noch die Flucht der australischen Spieler im Sommer und der erneute Neuaufbau. Hatte man sich in Sendai nach den ersten 8 Spielen und all dem Chaos schon fast an den Gedanken des Abstiegs gewöhnt, so schaffte das Team unter dem neuen Trainer Watanabe, die Hinrunde auf einem Nichtabstiegsplatz zu beenden. Leider konnte man den Schwung nicht aus der Pause mitnehmen und eine Niederlagenserie sorgte für den Verbleib im Abstiegskampf. Trotz allem, oder gerade aus Trotz, standen die Fans hinter der Mannschaft und heute haben wir ein volles Stadion gegen den schon als Absteiger feststehenden Tabellenletzten Tokushima Vortis. Vortis ist aber eine Wundertüte. Mal verlieren sie hoch, nur um im nächsten Spiel stark aufzuspielen. Besonders jetzt, wo der Druck des Klassenerhalts weg ist, weiß man nicht, was passiert.

So schwang ich mich das erste Mal seit meiner dreifachen Verstauchung des Armes wieder aufs Fahrrad. Schon vor dem Stadion konnte man die Nervosität der Fans spüren und alle waren gekommen, um ihren Verein nach vorne zu peitschen. Das Stadion war ausverkauft und selbst Leute wie Kuma, welche eigentlich keine Zeit hatten, haben kurz 2 Stunden Pause auf der Arbeit genommen, um das Spiel zu sehen. Pünktlich, kurz nach Anpfiff, hatte ich es dann endlich auch durch die Menschenmassen ins Stadion geschafft, nur um bei Betreten des Stadions einen gestochen scharfen Freistoß von Vegalta im Strafraum von Tokushima Vortis zu sehen, welches zum 1 : 0 für Sendai führte. Da mein Blockeingang genau beim Ultrablock entlangführt, hatte ich so die halben Ultras am Arm, weil sie abklatschen wollten. Nach Minuten ging es endlich weiter zu meinen eigentlichen Freunden. Von dort konnte ich eine disziplinierte Sendaier Mannschaft betrachten, die sich bald mit einem 2 : 0 belohnte. Ruhig sollte es aber trotzdem nicht werden. Tokushima schaffte noch das 2 : 1, nachdem bei einem Freistoß ein Angreifer von ihnen sträflich frei stand. Es ging ein Raunen durch das Stadion. Nicht schon wieder ein Tor in den Nachspielzeit! Der Sieg musste einfach gehalten werden und so hielt es die letzten zehn Minuten niemanden mehr auf dem Platz. Ein ohrenbetäubendes zehnminütiges „VE GAL TA Sendai“ ging durch das Stadion und wurde lauter und lauter.

Nach 5 Minuten Nachspielzeit sind wir bei dem Moment angekommen, den ich zu Beginn meines Blogeintrags beschrieben habe: Ein langer Ball von Vortis geht in den Strafraum, Zweikampf zwischen einem Sendaier und einem Tokushimaer und der Ball ist geklärt. Aus!!! Sendai hatte gewonnen und Omiya hatte auf dem Abstiegsplatz zudem noch ein Tor kassiert und verloren. Vegalta kann nicht mehr absteigen!!! Ein Urschrei geht durch die Massen und im nächsten Moment ist Ruhe. Jeder wartet, um es noch einmal vom Stadionsprecher zu hören, damit es keinen Zweifel gibt. Dann kommt die Durchsage, dass Sendai ein weiteres Jahr einziger Ostvertreter in der J-League ist und der Ballast fällt von allen Schultern. Frauen und gestandene Männer schluchzen, einige Tränen fließen und die Ultras fangen an ihren „Messias“, das Eigengewächs und den jetzigen Trainer Watanabe zu feiern. Sendai hat es wieder einmal geschafft und kann auch im zwanzigsten Jahr des Bestehens für die erste Liga planen. Die Feierlichkeiten gingen noch fast eine Stunde. Die Bürgermeisterin hielt eine Ansprache, das Stadion ließ Watanabe hochleben und die wichtigsten Spieler wurden gekürt. Aber so wirklich hörte keiner hin, zu sehr hatte diese Saison an den Nerven aller gezerrt.

 

Vegalta Fangesang 1

 

Wir dagegen verabschiedeten uns von den Anderen. Im nächsten Jahr werde ich auf jeden Fall beim Saisonbeginn wieder da sein, aber vielleicht sehe ich sie auch alle vorher noch einmal. In Sieges- und Bierlaune wurde mein Vater für seinen Besuch im Dezember erst einmal von drei der Anwesenden zum Biertrinkduell herausgefordert und vielleicht sieht man sich ja auch mal so. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf. Für Orsolya und mich ging es aber erst einmal noch weiter. Sie mit ihrem Motorroller und ich mit meinem Rad fuhren noch einmal um die halbe Stadt, um dort zur Feier des Tages Sushi zu genießen. Zum Glück ist meinem Rad beim Sturz nichts ernsthaftes passiert, so dass ich mit Mühe mit Orsolyas 30 km/h mithalten konnte, aber so schmeckte das Siegessushi nur noch besser.

 

Vegalta Fangesang 2

Vegalta Fangesang 3

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