Vegaltas Endspiel

Es ist ein ganz normaler Samstagabend um 19.00 Uhr in Sendai. Die Menschen in der Stadt gehen ihren normalen Beschäftigungen nach und das Leben verläuft in ruhigen Bahnen, als der Stadtteil Izumi von einem lauten kollektiven Aufschrei aus der Ruhe gerissen wird. Minutenlang hört man daraufhin aus dem kleinen Stadion, in dem Vegalta spielt, nur lautes Schluchzen. Wer in diesem Moment im Stadion war, konnte nach diesem Aufschrei nur die Fassungslosigkeit in allen Gesichtern sehen. Was war passiert? Lasst uns dazu etwas zurückgehen:

Der Fußballosten in Deutschland: Viele Vereine mit lautstarken und fanatischen Fans zeichnet diese Region aus, die wirtschaftliche Situation sorgt aber dafür, dass nur südliche und westliche Vereine um die Titel mitspielen. Was sich so in Deutschland abspielt, kann man eins zu eins auch auf Japan übertragen. Yamagata, Sapporo, Aomori oder Akita, das sind Hauptstädte ihrer Regionen, aber im Fußball haben sie einen schweren Stand, da die Sponsoren besonders im zentralen Japan zu finden sind. Das einzige Team aus dieser Region, was sich seit 2009 in der oberen Liga hält, ist Vegalta Sendai. Wer dagegen einmal runter in die zweite Liga geht, hat es schwer, je wieder einen Fuß in die obere Liga zu bekommen. Yamagata und Sapporo sind dafür leuchtende Beispiele. Eine verkorkste Relegation, welche den dritten Aufstiegsplatz aus Relegationsspielen zwischen dem Dritten bis Sechsten der Liga ausspielen lässt, ist der Grund dafür.

Heute stand dabei das wichtigste Spiel der Saison an. Es ist der 33. Spieltag und entweder Sendai schafft heute den Klassenerhalt oder man hat am nächsten Spieltag gegen die spielstarke Mannschaft aus Hiroshima einen sehr schweren Stand. Aber was für eine Saison musste Sendai dieses Jahr durchlaufen: Es wurde ein neuer australischer Trainer eingesetzt, welcher die kampfbetonte Kontertaktik Sendais durch eine Ballbesitztaktik mit einer Spitze ersetzen wollte und dafür nur australische Wundertüten als Spieler verpflichtete. Es gab einen Ultrablock, der in Tränen ausbrach, als der Vorsänger das erste Mal seit der Gründung der Ultras resignierte und sich weigerte, das Team bei der Demontage gegen Urawa noch zu unterstützen. Der Trainers gab nach acht Spielen ohne Sieg und dem letzten Tabellenplatz freiwillig auf, nur um im Nachhinein gegen den Verein nachzutreten und in den Medien den garantierten Abstieg zu prophezeien. Es gab Spieler, die das Management anflehten, den unerfahrenen Co-Trainer zum Trainer zu machen. Nach all dem Chaos folgte dann noch die Flucht der australischen Spieler im Sommer und der erneute Neuaufbau. Hatte man sich in Sendai nach den ersten 8 Spielen und all dem Chaos schon fast an den Gedanken des Abstiegs gewöhnt, so schaffte das Team unter dem neuen Trainer Watanabe, die Hinrunde auf einem Nichtabstiegsplatz zu beenden. Leider konnte man den Schwung nicht aus der Pause mitnehmen und eine Niederlagenserie sorgte für den Verbleib im Abstiegskampf. Trotz allem, oder gerade aus Trotz, standen die Fans hinter der Mannschaft und heute haben wir ein volles Stadion gegen den schon als Absteiger feststehenden Tabellenletzten Tokushima Vortis. Vortis ist aber eine Wundertüte. Mal verlieren sie hoch, nur um im nächsten Spiel stark aufzuspielen. Besonders jetzt, wo der Druck des Klassenerhalts weg ist, weiß man nicht, was passiert.

So schwang ich mich das erste Mal seit meiner dreifachen Verstauchung des Armes wieder aufs Fahrrad. Schon vor dem Stadion konnte man die Nervosität der Fans spüren und alle waren gekommen, um ihren Verein nach vorne zu peitschen. Das Stadion war ausverkauft und selbst Leute wie Kuma, welche eigentlich keine Zeit hatten, haben kurz 2 Stunden Pause auf der Arbeit genommen, um das Spiel zu sehen. Pünktlich, kurz nach Anpfiff, hatte ich es dann endlich auch durch die Menschenmassen ins Stadion geschafft, nur um bei Betreten des Stadions einen gestochen scharfen Freistoß von Vegalta im Strafraum von Tokushima Vortis zu sehen, welches zum 1 : 0 für Sendai führte. Da mein Blockeingang genau beim Ultrablock entlangführt, hatte ich so die halben Ultras am Arm, weil sie abklatschen wollten. Nach Minuten ging es endlich weiter zu meinen eigentlichen Freunden. Von dort konnte ich eine disziplinierte Sendaier Mannschaft betrachten, die sich bald mit einem 2 : 0 belohnte. Ruhig sollte es aber trotzdem nicht werden. Tokushima schaffte noch das 2 : 1, nachdem bei einem Freistoß ein Angreifer von ihnen sträflich frei stand. Es ging ein Raunen durch das Stadion. Nicht schon wieder ein Tor in den Nachspielzeit! Der Sieg musste einfach gehalten werden und so hielt es die letzten zehn Minuten niemanden mehr auf dem Platz. Ein ohrenbetäubendes zehnminütiges „VE GAL TA Sendai“ ging durch das Stadion und wurde lauter und lauter.

Nach 5 Minuten Nachspielzeit sind wir bei dem Moment angekommen, den ich zu Beginn meines Blogeintrags beschrieben habe: Ein langer Ball von Vortis geht in den Strafraum, Zweikampf zwischen einem Sendaier und einem Tokushimaer und der Ball ist geklärt. Aus!!! Sendai hatte gewonnen und Omiya hatte auf dem Abstiegsplatz zudem noch ein Tor kassiert und verloren. Vegalta kann nicht mehr absteigen!!! Ein Urschrei geht durch die Massen und im nächsten Moment ist Ruhe. Jeder wartet, um es noch einmal vom Stadionsprecher zu hören, damit es keinen Zweifel gibt. Dann kommt die Durchsage, dass Sendai ein weiteres Jahr einziger Ostvertreter in der J-League ist und der Ballast fällt von allen Schultern. Frauen und gestandene Männer schluchzen, einige Tränen fließen und die Ultras fangen an ihren „Messias“, das Eigengewächs und den jetzigen Trainer Watanabe zu feiern. Sendai hat es wieder einmal geschafft und kann auch im zwanzigsten Jahr des Bestehens für die erste Liga planen. Die Feierlichkeiten gingen noch fast eine Stunde. Die Bürgermeisterin hielt eine Ansprache, das Stadion ließ Watanabe hochleben und die wichtigsten Spieler wurden gekürt. Aber so wirklich hörte keiner hin, zu sehr hatte diese Saison an den Nerven aller gezerrt.

 

Vegalta Fangesang 1

 

Wir dagegen verabschiedeten uns von den Anderen. Im nächsten Jahr werde ich auf jeden Fall beim Saisonbeginn wieder da sein, aber vielleicht sehe ich sie auch alle vorher noch einmal. In Sieges- und Bierlaune wurde mein Vater für seinen Besuch im Dezember erst einmal von drei der Anwesenden zum Biertrinkduell herausgefordert und vielleicht sieht man sich ja auch mal so. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf. Für Orsolya und mich ging es aber erst einmal noch weiter. Sie mit ihrem Motorroller und ich mit meinem Rad fuhren noch einmal um die halbe Stadt, um dort zur Feier des Tages Sushi zu genießen. Zum Glück ist meinem Rad beim Sturz nichts ernsthaftes passiert, so dass ich mit Mühe mit Orsolyas 30 km/h mithalten konnte, aber so schmeckte das Siegessushi nur noch besser.

 

Vegalta Fangesang 2

Vegalta Fangesang 3

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