Februar 2014 Archiv

Wer braucht schon einen Autoclub, wenn ein Deutscher des Weges kommt?

Tja, das hat man nun davon! Seit Monaten witzeln die Vermieterin und Orsolya, dass es doch im Vergleich zum letzten Jahr gar keinen Schnee gibt. Jetzt ist er da und mit über 40 cm haben wir auch gleich einen neuen Rekord in Sendai für die letzten 50 Jahre aufgestellt. Nach drei Tagen war der Spuk aber vorbei und langsam richteten wir uns auf Normalität ein. Die Ruhe hielt aber nur kurz an. Am Freitag begann der Schnee erneut zu fallen und die Stadt in eine extreme Winterlandschaft zu verwandeln. Die Straßen waren dicht, die Busse und Bahnen fuhren nicht mehr und das Leben in der Stadt schien für eine kurze Zeit einfach anzuhalten.
Natürlich wäre es langweilig, wenn bei diesem Wetter alles normal ablaufen würde und so mutierte ich zum Autoretter. Am Freitag wanderte ich in Gedanken versunken durch die örtliche Amüsiermeile Kokubuncho. Eigentlich erwartete ich, dass aufgrund der ansässigen Bars die Straßen hier wirklich befreit wurden, um die Sicherheit der Kunden zu bewahren, aber ich wurde durch ein unschönes Geräusch eines Besseren belehrt. Eine Dame war mit ihrem Auto in einem Loch in einer Eisscholle gefangen. Die halbe Straße war vereist und die Dame hatte es geschafft, in genau das eine Loch zu fahren, wo sie ohne Hilfe nicht mehr herauskommen sollte. Neben dem Auto stand schon ihre Beifahrerin und rief ständig Befehle an die Fahrerin. Auch ohne fließend die Sprache zu beherrschen war schnell klar, so viele Unterschiede gibt es nicht – trotz 10.000 km zwischen Japan und Deutschland. Eine unbändige Flut von Befehlen von “dreh nach links” bis “nein, das andere Links” erreichte mein Ohr und es war klar, da muss ich helfen. Zwei Straßenarbeiter sahen das genauso, während die Polizei belustigt zusah. Zu dritt schafften wir es, der verständlicherweise panischen Dame Anweisungen zu geben, wie sie wirklich lenken soll. Gemeinsam gelang es uns dann, das Auto auf die Eischolle zu schieben, damit sie losfahren konnte und damit war die Straße für die anderen Autos wieder frei.
Zum Glück war es aber nur für eine kurze Zeit derartig schlimm mit dem Schnee und er verwandelte sich am Sonntagabend in Eisregen, welcher die Hauptstraßen freispülte. Mittlerweile stehen wir aber vor ganz anderen Problemen. Alleine vor unserer Haustür haben wir vereiste Schneemauern von 1 bis 2 Metern Höhe. Wenn diese abtauen, wird die Stadt im Wasser untergehen. Bevor es aber so weit kommt galt es am Samstag, die nächste Katastrophe mit einem Auto zu bekämpfen. Während wir zuhause kochten fiel mir auf, dass noch einige Zutaten fehlten. Das ist an sich kein Problem. Wozu hat man zwei Supermärkte in nächster Nachbarschaft? Kurzerhand schlüpfte ich in meine Halbschuhe und rannte in meinem kurzärmligen Hemd die zwei Minuten im Schneewirbel rüber zum Markt. Schon dabei fiel mir ein junger Mann auf, der mit Warnblinklicht in der Einfahrt zur Bank parkte, welche genau zwischen dem Supermarkt und meiner Wohnung liegt. Aber erst bei meiner Rückkehr verstand ich sein Problem. Mittlerweile hatte sich ein Polizist der örtlichen Außenstelle auf der anderen Seite der Straße eingefunden und mit zwei Schaufeln bewaffnet versuchten sie, das Auto zu befreien. Zu zweit waren sie aber machtlos, so dass ich auch noch bei den Versuchen half, das Auto zu schieben. Wie es aussah, stand sein Auto in so hohem Schnee, dass es einfach feststeckte. Nachdem klar wurde, dass zu dritt nichts zu machen ist, erschien auf einmal ein Polizeiauto und vier hochmotivierte Polizisten sprangen zur Rettung heraus. Man sollte meinen, zu fünft sollte es leicht sein, das Auto zu retten, aber mehrere Minuten verstrichen und noch immer drehte das Rad nur durch und weder ein Vorwärts noch ein Rückwärts war möglich. Erst als neben den fünf Polizisten auch ich noch einmal am Auto anfasste schafften wir es mit vereinten Kräften, das Auto aus dem Schnee zu bekommen. Nach zehn Minuten war die Rettung erfolgt und für mich die Zeit der Flucht gekommen. Zwar lag das Augenmerk der Herren in Blau noch bei dem Autofahrer, welcher nun seine Papiere zeigen sollte, so langsam dämmerte es aber den Anwesenden auch, dass ein komischer Ausländer im kurzärmligen Hemd ihnen gerade geholfen hatte. Ehe sie herausbekommen konnten, wie man auf Englisch nach meinen Papieren fragt, hatte ich es aber schon um die Kurve zu meiner Wohnung geschafft, um mich aufzuwärmen. Autoretten im Winter ist das eine, aber noch die Bürokratie im Schneesturm – nein, das musste wirklich nicht sein!
autofahrrader
schneefluss

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Kostenlose Schokolade

„Hey Reik, kennen Sie eigentlich den japanischen Valentinstag? Da müssen Sie unbedingt da sein, denn es gibt viel Schokolade für die Männer. Das ist einer der wichtigsten Tage hier im Büro für diesen Monat!“ Solch ein Gespräch erwartet man normalerweise zwischen Studenten, aber das „Sie“ zeigt es schon an, es handelt sich um ein Gespräch zwischen meinem Professor und mir, welches ich vor einigen Tagen im Fahrstuhl führte. Diese Vorfreude ist für einen Europäer eventuell etwas schwerer zu verstehen. Hier in Japan wird der „Tag der Liebe“ aber etwas anders begangen, als man das bei uns kennt. Zum Valentinstag wird von den Frauen erwartet, Schokolade für die Herrenwelt zu besorgen. Dabei wird die Schokolade in verschiedene Kategorien eingeordnet. Ein einfacher Kollege oder Mitstudent erhält eine Verpflichtungsschokolade. Diese Schokolade ist meist relativ klein und wird nur aufgrund der sozialen Konventionen besorgt. Im Fall von Studenten fällt es dabei natürlich schwer, genug Schokolade für jeden Anwesenden zu besorgen. Deshalb werden meist Schokoladensets auf dem Tisch zurückgelassen und wer rechtzeitig da ist, bekommt etwas davon. Erwartet wird diese Schokoladenverteilung dabei von allen weiblichen Mitgliedern eines Büros, also auch von den Ausländern. Orsolya, vergesslich wie eh und je, hatte natürlich an diese Konvention nicht gedacht und musste kurzerhand deutschen Lebkuchen, welcher zum Glück noch von Weihnachten übrig war, als Ungarischen verteilen.
Neben dieser Schokolade gibt es dann auch noch die normale Valentinsschokolade. Diese wird besonders gerne selber gemacht und möglichst Pink verpackt. Je mehr Pink bei der Verpackung eingesetzt wird, desto mehr bedeutet einem der Beschenkte. Für uns Männer dagegen ist der Valentinstag ein einziger Schlemmertag. Rückgeschenke werden erst einen Monat später, am 14. März, erwartet. Dabei muss man dann noch nicht mal allen Damen, die dich beschenkt haben, weiße Schokolade überreiche. Nein, es reicht, wenn die Schenkerinnen von echter Valentintagsschokolade bedacht werden. Die Schenkerinnen von Verpflichtungsschokolade bleiben außen vor. Man merkt, bei Frauen ist der Tag weniger beliebt als bei Männern. Das ist ein Umstand, der in Deutschland wohl komplett entgegengesetzt wäre.
In Anbetracht dieser Aussichten entschied ich mich, den Tag schon sehr früh im Büro zu beginnen und mir das Schauspiel genau anzuschauen. Man muss feststellen, dass wir in unserem Lab ein ungleiches Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Mitgliedern haben. Der Frauenanteil ist um einiges höher als der Männeranteil. An diesem Tag sollte es aber umgekehrt sein. Nur wenige Frauen mit Schokolade verirrten sich ins Lab, während alle männlichen Gesichter, auch die, welche seit Wochen nicht anzutreffen waren, den Weg in das Büro fanden. Die Schokolade war dabei sehr reichhaltig. Aber ich musste trotzdem enttäuscht feststellen, dass eine Rieko fehlt, welche mir bei meinem letzten Valentinstag immerhin ein persönliches Stück Schokolade schickte, wenn es auch in Blau verpackt war.
Den Abend verbrachten wir dann in der Innenstadt und besuchten ein japanisch-französisches Restaurant. Dafür, dass dieses Restaurant nach deutschem Vorbild einem Sternerestaurant ähnlich war, waren die Preise angenehm gering. Auch die Verbindung von japanischen Zutaten wie Tofu und Natto mit der traditionellen französischen Küche war schon ziemlich genial. Als erste europäische Ausländer, die dazu noch an Valentinstag vorbeischauten, erzeugten wir aber beim Personal für meinen Geschmack etwas zu viel Aufmerksamkeit. Alle paar Minuten schaute ein Kellner über die Balustrade um zu fragen, ob es schmeckt und wie unsere Meinung zu den Gerichten sei. Der Kellner ging so weit, kurz mit mir Deutsch zu sprechen, wobei seine Sprachkenntnisse nicht weit über das Wort „Scheiße“ hinaus gingen, er hatte aber sichtlich seinen Spaß. Verabschiedet wurden wir mit einem Gutschein für den nächsten Besuch und ein Koch, ein Kellner und der Besitzer entließen uns mit Verbeugungen in den Schnee. Es lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass es trotz der guten japanischen Küche nicht schadet, auch mal andere Sachen zu probieren. Der Schnee aber sollte sich noch zu einem Problem entwickeln….

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Schnee

Das hat man nun davon! Vor ein paar Tagen amüsierte sich unsere Vermieterin noch darüber, dass es in diesem Jahr keinen Schnee gibt und jetzt schlägt das Wetter unnachgiebig zurück. Es war ein ganz normaler Samstag mit einigen Plänen. Etwas von der Stadt sehen, meinem Rad den Auslauf gönnen, welchen es verdient hat. Als ich aber vor die Tür trat, da kam ich mit dem Rad auf einmal nicht mehr voran und durfte laufen. Der Winter hat Sendai im Griff. Es sind ca. 50 cm Schnee gefallen und die Straßen sind weiß. Überraschenderweise stellte dieser Wintereinbruch die Stadt weniger vor ein Problem, als das die deutschen Medien mit Hinweis auf Tokyo darstellen. Tokyo, wo es wohl sogar Tote gab, ist eine Stadt, welche von den Temperaturen wohl auf einer Höhe mit Süditalien liegt. Dementsprechend reicht dort auch nur ein wenig Schnee, um einen Notstand auszurufen. Hier in Sendai dagegen hörte man kaum einmal eine Sirene. Die Autos scheinen hier allesamt mit Schneeketten bestückt zu sein, welche man auch sofort aufzog. So vorbereitet verringerte sich natürlich die Gefahr von Unfällen. Auch die Menschen sind vorbereitet und jeder Dritte hat Schuhe mit Spikes an, um bei dem Wetter nicht so leicht umzufallen. Alles in allem kann man also die Natur genießen und hoffen, dass der Schnee noch eine Weile anhält. Bis dahin hier noch einige Impressionen des Schnees in Sendai: Leider sind sie nur von der Innenstadt, da der Schneefall leider verhinderte, dass ich anständige Aufnahmen vom Flussufer schießen konnte, welches momentan wirklich romantisch in Weiß gehüllt ist.
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Meine armen Haare

Es gibt einige Sachen, da bin ich ziemlich eigen. Eine der größten Problemstellen dürfte dabei wohl mein Haar sein. Seit ich das Vergnügen hatte, dass ein Friseur kurz vor meinem Abitur die Haare trotz meiner gegenteiligen Wünsche auf Minimallänge stutzte und darauf auch noch stolz war, vermeide ich es, zu unbekannten Friseuren zu gehen oder überhaupt einen zu besuchen. Ergebnis dieser Abneigung waren grob geschätzte 70 cm lange Haare. Einige Wenige hatten ihre Probleme damit, ich war aber ziemlich zufrieden und auch hier in Japan waren meine Haare ein Alleinstellungsmerkmal. Noch heute werde ich hier auf offener Straße  von fremden Menschen angesprochen, wo meine Haare geblieben sind, sie hätten sie doch so gemocht. Nun ergab sich aber mit dem Beginn des neuen Studiums mein Wunsch, etwas zu ändern und die Haare mussten daran glauben. Mit dieser Entscheidung entwickelten sich neue Probleme. Zuallererst ist es auf dem Kopf im Winter nun viel kälter. Aber das wirkliche Problem ist nun, dass ich mich das erste Mal hier in Japan mit dem Thema Friseur auseinandersetzen muss.

Zu dem Thema muss man wissen, hier in Japan wird das Haar offensichtlich höher geschätzt. Preise um die 100 Euro für einen Friseurbesuch sind weniger die Ausnahme, als die Regel. Dafür findet man Friseure an allen Ecken und die Angestellten sind durch das Fenster betrachtet zumeist männlich. Die größte Überraschung war aber vor meinem Aufenthalt eine Umfrage eines japanischen Freundes, welcher sich später einmal eine Existenz als Friseur aufbauen möchte. In dieser Umfrage wurde gefragt, wie oft das Haar schamponiert werden muss, damit der Befragte mit seinem Friseurbesuch zufrieden ist. Einmal oder gar nicht, war dabei nicht als Antwortmöglichkeit vertreten. Man merkt, für jemanden, der Friseure meidet, waren die ganzen Punkte schon extrem abschreckend. Zudem haben fast alle Japaner den gleichen Haarschnitt, welchen man in Deutschland für ein Zehntel des Preises erhalten würde.

Betrachtet man die Situation, so dürfte es den geneigten Leser nicht verwundern, dass ich den Gang zum Friseur verzögerte. Mittlerweile ist es aber nun so akut geworden, dass ich meine weiblichen Bekanntschaften ausfragte, welchen Friseur sie empfehlen würden. Die einzige hilfreiche Antwort kam dabei von Masami, welche mir einen Herrn im gleichen Gebäude wie die Japanisch-Deutsche Gesellschaft vorschlug. Entsprechend ihrer Empfehlung ging es also mit Orsolya und guten Wörterbüchern bewaffnet am späten Abend dort hin. Der Friseur schließt um 19 Uhr und ich erreichte seinen Laden um 18.30 Uhr. Dreißig Minuten, das sollte ja eigentlich reichen, dachte ich. Tja, fast. Dankbarerweise nahm man mich dran und ein vorheriger Kunde, welcher in England gelebt hat und perfektes Englisch sprach, übersetzte gleich für mich. Zu diesem Zweck blieb er die ganzen zwei Stunden meines Friseurbesuchs im Laden und verwickelte Orsolya und mich in ein Gespräch. Ohne ihn wäre es aber auch wohl nichts geworden. Der Friseur sah sich angesichts meines Eierkopfs ziemlich unter Druck gesetzt. Den ganzen Schnitt über verglich er für die anderen Anwesenden den europäischen Kopf mit dem japanischen Gegenstück. Seines Erachtens ist der japanische Kopf viel einfacher zu schneiden. Das mein Kopf dabei nicht unbedingt ein Maßstab sein muss, das fiel ihm dabei nicht auf. Ist ein Friseurbesuch in Japan nun anders als in Europa? Auf jeden Fall! Das fängt schon mit dem Umhang an, welcher Armlöcher hat, und geht mit der Schnitttechnik weiter. Zuerst wird der Kopf dabei trocken vorgeschnitten, um ihn im Anschluss zu waschen und danach die letzten Feinheiten zu erledigen. Dazu ist das gesamte Ambiente eher an einen Beautysalon angelehnt, als an einen Friseur. Für Europäer ist das wiederum weniger etwas, da die Stühle nicht immer unbedingt europäische Mindestmaße haben. belohnung-nach-dem-friseurAber ich fühlte mich gut betreut, wenn auch etwas vorgeführt durch die ewigen Vergleichen der Köpfe. Nur etwas zu kurz hat der Herr für meinen Geschmack geschnitten, was aber auch an Orsolyas ewigen „kürzer, kürzer“ Rufen gelegen haben mag. Nach zwei Stunden waren wir dann endlich fertig und der sichtlich erschöpfte Friseur gab uns noch Rabatt auf den Haarschnitt, da er gerade kein Wechselgeld hatte. Zum Abschied versicherte ich ihm aber auf jeden Fall, dass er noch Übung beim Schneiden von europäischen Köpfen bekommen wird, da ich wiederkomme. Ach und wer glaubt, dass ich mich aufgrund der Sprache nicht verständigen konnte, der liegt falsch. Schnell stellten wir fest, dass wir beide Fußball mögen und so verbrachten wir die Zeit damit, über Fußball zu reden und natürlich, um Werbung für den besten deutschen Verein, den ersten Fußballclub Magdeburg, zu machen.

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