Weihnachten in Sendai

Wir schreiben Dezember 2014. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und das Wetter wird kälter. Wobei, so kalt ist es eigentlich gar nicht. Leider sehen das die Japaner anders. Während ich kurzärmlig zum Supermarkt um die Ecke renne, starren mich wildfremde Menschen an, als ob ich ein Außerirdischer wäre. Das wäre ja noch hinnehmbar, stellt es doch das allgemeingültige Verhalten vieler Japaner dar. Aber mittlerweile finde ich es gar nicht mehr so lustig, weil die Sendaier Rentner in den letzten Tagen anfangen, mich regelmäßig anzufassen, um dadurch zu überprüfen, ob ich wirklich nicht friere. Da fragt man sich doch so leicht, was diese Handlung bezwecken soll. Wollen sie sicher gehen, dass ich menschliche Haut habe oder erwarten sie gar ein Roboterskelett anstelle von Knochen?

Solche kleinen Sachen können mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin bin ich in Japan, was wiederum bedeuten sollte, dass es keine Weihnachtsmänner ab August zu kaufen gibt und nicht die gesamte Gesellschaft dem Weihnachtsfieber verfällt. Früher war das auch so, aber leider hat Hollywood es geschafft, diese Enklave der Ruhe zu vernichten. Zwar fängt Japan nicht so frühzeitig mit der Festvorbereitung an wie Europa, dieses Manko versucht man im Dezember dann aber durch um so mehr Elan auszugleichen. Aus allen Lautsprechern wird man durch schlechte japanische Coverversionen von Weihnachtsliedern beschallt und die Geschäfte wandeln sich in ein rot-grünes Wunderland, wo an jeder Ecke junge Japanerinnen stehen, welche in hohen Stimmlagen ein quietschendes „KAWAIIIIIIIIIIII“ von sich geben, was so viel wie ein langgezogenes „oh süß“ bedeutet. Aber auch abseits des Konsums hat man keine Ruhe. Im Unterricht muss ich über das Weihnachtsfest in Europa berichten und alle Sprachschulen haben zum Weihnachtsfest geladen. Immerhin, für mich hat es den Vorteil des kostenlosen Essens, welches ich als Ausländer bei diesen Feiern genießen kann.

Eine dieser Feiern fand gerade statt: Das MafuMafu hatte geladen. Damit habe ich mittlerweile meine vierte MafuMafu Weihnachtsfeier miterlebt und was soll ich sagen? Sie werden immer komischer. Die Sprachschule hat so ihre Probleme. Zu Thomas Zeiten gab es jemanden, der wirklich organisieren konnte und das Café zog immer neue Schüler an. Diese Zeit verblasst aber immer mehr. Obwohl die Mitarbeiter noch immer sehr bemüht sind, sieht der Chef seine Zukunft wohl mehr in Tokyo, wo vor einer Weile eine Zweigstelle der Schule eröffnete und wohin nun alle Ressourcen fließen. Bei der Weihnachtsfeier merkt man dies stark. Waren es vor 4 Jahren noch hunderte Teilnehmer, so dürften es diesmal um die fünfzig gewesen sein. Dazu war die Organisation ziemlich fragwürdig. So sollten an jedem Tisch zwei bis drei Ausländer als Gesprächspartner sitzen. In unserem Fall waren dies ein Russe und ich. Leider schien aber niemand den Russen gebrieft zu haben, was dazu führte, dass er alle Gesprächsversuche auf Englisch direkt in Japanisch beantwortete. Das ist natürlich toll, dass sein Japanisch so gut ist, den Japanern bringt es aber nichts und meine Beschwerden ignorierte er einfach. Es ging so weit, dass meine englischen Antworten von ihm direkt ins Japanische übersetzt wurden, obwohl ich das nicht wirklich wollte. Von den Mitarbeitern der Sprachschule traute sich aber auch keiner einzugreifen, weil man seit der Schließung des Cafés auch viel zu wenig Ausländer als Gesprächspartner zur Verfügung hat und deswegen auf jeden Einzelnen angewiesen ist.

Aber nicht nur die Ausländer waren seltsam. An meinem Tisch saß noch eine junge Japanerin, welche alle aktuellen Klischees erfüllt. Disneys letzter Film Frozen ist hierzulande ein unbeschreiblicher Erfolg und das besonders in der Altersklasse 20 bis 30. Einige meiner Mitstudentinnen haben diesen Film drei bis vier Mal im Kino gesehen und überall gibt es entsprechende Fanartikel zu kaufen. Diese junge Dame war nun ein extremer Fall dieses Phänomens. Sie erschien schon in einem Kleid des Films und schaffte es sogar, im Gespräch zu singen. Wer also mit seinen Kindern Disneyfilme schaut und die Singerei befremdlich findet, dem sei versichert, in der Realität ist so eine Situation noch surrealer. Nach langen Kommunikationsversuchen schaffte ich es, immerhin einige Informationen aus ihrem Gesinge/Gestammel zu entnehmen. Es handelte sich um eine 25-jährige Studentin, welche den Film schon unzählige Male geschaut hat. Das Verlangen, die Originalversion zu verstehen, überzeugte sie, sich einer Sprachschule anzuschließen, um die Sprache zu lernen. Irgendwo dazwischen muss sie wohl ihren Sinn für die Realität verloren haben. Es ist schon traurig, wenn das 3-jährige Kind am Tisch reifer erscheint, als eine 25-Jährige. Aber auch ansonsten war unser Tisch seltsam: So hatten wir eine Rentnerin, die die 3-Jährige am liebsten adoptiert hätte und ein Arztpaar, welches sich mit Rotwein volllaufen ließ. Zusammen mit den „spaßigen“ Spielen, welche die Veranstalter zu spielen versuchten, ohne dass jemand wirklich verstand, was zu tun war, war der Tag für mich auf jeden Fall nicht so überzeugend und es erschien mir als die schlechteste Weihnachtsparty bisher in Sendai. Wenigstens schafften wir es aber, eines der Spiele zu gewinnen, wodurch wir ein wenig Süßkram gewannen, wobei ich meinen Anteil aber bereitwillig an das wichtigste Teammitglied, unsere 3-Jährigen, abgab. Eines kann ich auf jeden Fall sagen, von Frozen habe ich erst einmal genug und Sprachschul-Weihnachtsfeiern brauche ich erst einmal auch nicht mehr.

Ansonsten verlief diese Woche aber ziemlich ruhig. Unsere Masterstudenten haben Abgabetermin für ihre Masterarbeiten und das große Chaos fängt an. Die Einen haben noch sechs Tage Zeit, um 55 Seiten zu schreiben und die Anderen geben mir auf einmal kurzfristig zwei Tage vor der Angst 20 Seiten zum Korrigieren. Es ist beachtlich, welche Schwankungen der Qualität Masterarbeiten hierzulande unterliegen. Ich kenne einige richtig gute und aber auch wirklich schlechte. So handelte es sich bei den 20 Seiten um eine Abschlussarbeit im Fach Englische Literatur. Jeder Satz hatte Fehler und mehr als die Hälfte der Arbeit war nicht verständlich. Trotzdem wird am Ende aber doch wieder jeder bestehen. Das Gerücht, dass jeder, der einmal an der Uni in Japan aufgenommen wurde, am Ende auch einen Abschluss macht, erscheint mir nach solchen Texten immer mehr plausibel. Auf jeden Fall hält mich der Kram gut auf Trab und obwohl ich selber keinen Abgabetermin habe, freue ich mich, wenn die Deadline vorüber ist, weil auch ich dann wieder etwas mehr Zeit für dieses schöne Land und natürlich für meine Arbeit habe.

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