März 2014 Archiv

Der Fahrradsattel

Es gibt Sachen, die sind mir in der Kindheit kaum passiert. Eine davon war das Zerstören von Hosen. Zu ungern habe ich mich in Situationen gebracht, wo diese reißen konnten. Um so schlimmer ist es, dass es hier mittlerweile in sechs Monaten schon zwei Mal passiert ist. Vor drei Wochen wollte ich nur mit meinem Rad in die Innenstadt fahren und dann zu meinem Büro. Das ist eine Strecke von vielleicht 15 Minuten Fahrtzeit. Auf einmal fand ich zwei Löcher in meiner Jeans. Das war ein wirklich unangenehmes Gefühl. An sich stellt eine zerstörte Jeans jetzt aber noch keinen Beinbruch dar – besonders, wenn man noch sechs Ausweichhosen dabei hat. Trotzdem wollte ich mich sicherheitshalber mal informieren, wie groß die Chance wäre, eine neue Hose zu bekommen. Wie immer hatte ich aber nicht die Rechnung mit den Japanern gemacht. Im Jeansladen fiel man fast vom Glauben ab, als ich nach einer Beinlänge von 36 fragte. 30, ja das könne man im Ausnahmefall noch besorgen, aber 36? So etwas trägt doch keiner!

Kein gutes Ergebnis für mich, aber ich habe ja noch Alternativen. Nach einigen Experimenten mit meinem Fahrradsattel entschied ich, dass das Problem bei der Jeans gelegen haben musste. Der Stoff war schon von Natur aus ziemlich dünn und eventuell gab es Problme beim Waschen. So ging es gestern wieder mit dem Rad auf meine Lieblingsstrecke in Richtung Flughafen. Diese Strecke habe ich schon so oft befahren, um jede leichte Erhebung auf dem Weg zu kennen und bisher ist noch nie etwas passiert. Nach der halben Strecke war die nächste Jeans im Eimer. So konnte es nicht weitergehen und ich rief Freunde an, die im Radladen neben meiner Wohnung nach Behelfsmöglichkeiten für meinen wahrscheinlich zu harten Sattel fragen sollten. Die Frage ist nur: Wie erklärt man solch ein Problem auf Japanisch? Zuerst schaute der Verkäufer etwas verlegen, als ihm per Hand vorgeführt wurde, wo denn das Problem liege und dann lachte er verlegen vor sich hin, dass er von solchen Problemen noch nie gehört hätte. Ein Sattelaustausch wäre aber ohne Weiteres möglich und er hätte sogar einen in Schwarz und Blau, was wunderbar zum Rad passen würde. Von den guten Nachrichten beflügelt, legte ich die Strecke in Rekordzeit zurück und erreichte den Laden eine Minute vor Schließzeit. Dem Verkäufer wurde noch einmal anschaulich klargemacht, was das Problem ist. Aber er war komplett überfordert, ob sein Sattel das Problem beseitigen könnte. Kurzerhand wurde der ältere oberste Chef des Ladens gerufen. Dieser entsprach jedem Klischee, was man vom weisen Lehrmeister aus einem Film haben kann. Er rieb sich lange den nicht vorhandenen Bart, während er laute mhhh Geräusche von sich gab. Ohne Rückfragen stellte er fest „nicht gut“ und verschwand im Laden, um mir zwei Bezüge mit dem vielsagenden Wort „das“ zu reichen. Auf meine Nachfrage, welchen er von beiden empfehlen würde, tastete er kurz und überreichte mir einen Bezug mit einem bestimmten „das“ und verschwand wieder in dem Büro, aus dem er gekommen war. Dabei war er nicht unhöflich oder ähnliches, aber ein zehn Minuten langes Verkaufsgespräch mit vier Worten hatte ich auch noch nicht. Hoffen wir mal, dass diese Lösung hilft. Kleiner werde ich so schnell nicht und aus Deutschland neue Jeans zu besorgen, ist ohne Anprobe auch unangenehm.

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Das verspätete Abschlussfoto

Ist denn wirklich schon ein Semester vergangen? In den letzten Tagen war an Japans Universitäten kaum ans Arbeiten zu denken. Überall in der Stadt standen in Grau gehüllte Studenten, welche Abschiedsbilder von ihrem Universitätsleben schießen wollten. Dazu muss man wissen, dass in Japan fast alle Universitätskurse im April anfangen, während dies in Deutschland bekanntlich eher das Wintersemester betrifft. Zum Zwecke des Graduierens kommen nun alle Studenten in Anzügen zur Universität und lassen sich noch einmal mit Freunden und Professoren ablichten. Erst durch diese Tatsache bemerkte ich, dass damit fast alle meine alten Bekannten die Universität verlassen werden. All diejenigen, welche ich schon 2010 kennengelernt habe, sind jetzt mit Ausnahme von Shimizu fertig und der kommt ja erst nächstes Semester zurück nach Japan. Das Leben wird einsamer im Büro und meine Stimmung war schon etwas bedrückt, als sich das wirkliche Unglück ereignete.

Mein Büro hatte ebenfalls Fotosession und ich wusste nichts davon. Da normalerweise nur Graduierte auf das Foto kommen, sollte das normalerweise kein Problem sein. Da ich aber im Jahr 2011 das Foto verpasste, meinten mein Professor und einige der Graduierten auf einmal, ich müsse unbedingt mit abgelichtet werden. All mein Hadern half nichts, der zwei Köpfe größere Deutsche, welcher zu allem Überfluss auch noch im orangen Hemd erschienen war, musste mit drauf. Zum Glück war ich aber nicht der Einzige, der nicht begeistert von dem Fotoshooting war. Shimizus guter Freund und Drummer seiner Band, Matsubara, war gar nicht begeistert. Mit seinen ca. 1,60 m Körpergröße machen wir schon oft genug den Scherz, dass er im Vergleich zu mir wie ein Kind erscheint. Das kann sich ein stolzer Japaner natürlich nicht gefallen lassen und er versuchte, zum Rand des Fotos zu fliehen, um nicht den direkten Vergleich mit mir zu haben. Da seine Nachbarn ihn aber unbedingt neben sich haben wollten, zog ich ihn kurzerhand am Kragen zurück und erklärte freundlich, dass die Flucht nur feige wäre. So erhielt ich nach der ausgefallen Feier für das Masterzeugnis in Göttingen letztendlich noch einen Ausgleich, auch wenn dies bedeutete, dass ich mit vielen Studenten noch Einzelfotos machen musste, da alle eine Erinnerung an mich haben wollten. Das beste Foto wurde dabei jenes, in dem ich besagten Matsubara und einen anderen japanischen Studenten am Kragen hochnehmen sollte, als ob sie Gewichte wären. Bei deren Körpergröße und Gewicht für mich natürlich kein Problem und für die Japaner ein großer Spaß.

Ansonsten geht das Leben nach dem Abschluss der Studenten endlich wieder normaleren Bahnen entgegen und man kann das Büro wieder in Ruhe und alleine nutzen. Wobei mir gestern die Ergebnisse der großen Universitätsumfrage der Tohoku in die Hände fielen. Beim Punkt „Erfahrungen mit Unfällen und Vorfällen“ lag neben den natürlichen Verkehrsunfällen der Punkt „Sehen von verdächtigen Personen“ auf Rang zwei. Wonach entschieden wird, wer verdächtig ist, würde mich schon interessieren und wieso so etwas in eine Auflistung mit Stalking, Raub und Unfällen als Punkt aufgenommen wird. Bei der Reaktion einiger Studenten hier im Gebäude, wenn ich auf dem Weg zum Büro bin, will ich nicht wissen, wie häufig ich damit gemeint war. Wobei ich dabei noch nicht mal die kurzen Wege zur Mensa im kurzärmligen Hemd im Winter meine, sondern die allgemeinen Blicke. Dass wir hier auch Ausländer im Gebäude haben, überrascht einige Japaner bis heute noch und manchmal fühlt man sich wie im Zoo.

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Der Sushi-Shinkansen

Ich bin begeistert, anders kann ich es einfach nicht sagen! Im Rahmen der Matratzensuche habe ich ein sehr interessantes Sushi-Restaurant besucht, welches das Kaiten, also Fließband-Sushi, noch einmal auf eine höhere Stufe gehoben hat. Normalerweise sind Kaiten-Sushis relativ langweilig. Zwei bis drei Köche stehen in einer kleinen Küche, welche von einem Fließband umgeben ist, auf dem Sushi herumfährt. Die Aufgabe der Köche ist, das Band immer wieder neu zu befüllen und den Kunden deren Sonderwünsche, welche per Zuruf getätigt werden, zu erfüllen. Diese Methode hat für das Restaurant aber den Nachteil, dass man nur eine beschränkte Anzahl an Gästen Zutritt gewähren kann. Nun besuchte ich aber zum ersten Mal ein Großrestaurant. Es gibt hier nicht nur einen Preis für alle Sushis, so dass man nicht auf die Tellerfarbe und den damit verbundenen Preis achten muss, es ist auch komplett anders aufgebaut. Die Köche stehen in der Küche und der Gast bekommt sie gar nicht zu Gesicht. Als Ersatz ermöglicht ein Touchscreen, die Karte aufzurufen und Sonderwünsche anzumelden. Anstelle von Personal liefert dann ein kleiner Plastikzug, welcher von dem Restaurant Sushi-Shinkansen genannt wird, die bestellten Sushis an den Tisch. Eine geniale Lösung, welche auch Eindruck macht. Kein Wunder also, dass neunzig Prozent der Gäste Familien mit Kindern waren, welche sichtlich Spaß hatten, den Zug immer wieder zu rufen. Aber schaut euch die Bilder an, so etwas sieht man in Deutschland nicht so oft und für das Restaurant ist es ideal, weil man sich die Kellner komplett einsparen kann.
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Das Bettenproblem

So sehr ich das Leben in Japan auch mag, das Schlafen ist seit meinem ersten Aufenthalt ein Problem. In Japan ist es üblich, die Nächte mit einer dünnen Matratze auf dem Boden zu verbringen. Zu diesem Zweck wird die Wohnung in einem der Räume nicht mit Teppich oder normalem Belag, sondern mit sogenanntem Tatami ausgestattet. Tatami ist eine aus Reisstroh geflochtene Bodenplatte. Diese Platten sind weicher, aber deshalb auch sehr anfällig für Schäden und in dem Fall teuer zu ersetzen. Schon aus diesem Grund habe ich meine Probleme mit dem Tatamizimmer in meiner Wohnung, da ich immer in der Sorge lebe, etwas zu beschädigen. Auf jeden Fall verwendet man normalerweise auf diesen Matten eine „Futon“ genannte Matratze, auf der man die Nacht verbringen soll. Aber ab einer gewissen Körpergröße muss ich leider feststellen, dass diese Art des Schlafens für ein paar Nächte ihre Vorteile hat, aber in meinem Fall nicht für die Ewigkeit geeignet ist.
Natürlich kennen die Japaner auch Betten. Diese sind aber unverhältnismäßig teurer und meist in einem nicht idealen Zustand. So quälte ich mich im Jahr 2010 mit einem dünnen Futon, welches als Matratze auf eine Holzplatte gelegt wurde. Bei 2 cm Futondicke war das ein Trauerspiel sondergleichen. Eigentlich hätte ich gleich auf dem Holz schlafen können und trotzdem die gleichen Ergebnisse erzielt. Damals setzte ich noch all meine Hoffnung auf meine eigene Wohnung. Nur weil ein Wohnheim schlechte Betten hat, wird doch nicht ganz Japan auf diese schlechte Weise schlafen, oder? Tja, was soll ich sagen, ich lag falsch. In der neuen Wohnung stand ich nun also vor der Wahl, wieder auf dem Boden zu schlafen oder irgendwo ein vernünftiges Bett zu besorgen.
Die Rettung, so schien es, kam aus Richtung von Mayumi, meiner alten Konversationspartnerin. Sie ist gerade umgezogen und benötigte ihr altes Bett nicht mehr. Das Bett an sich ist schon ziemlich gut, aber die Matratze ist ein schlechter Witz. Sie machte teilweise mehr Probleme, als mir lieb war. So begann also die Mission, eine Alternative zu besorgen, welche mein Wochenende füllen sollte. Eine ausgiebige Suche ergab, dass meine Probleme natürlich nicht am Alter von Mayumis Bett lagen. Wie es aussieht, hat die Matratze die normalen Probleme, die auch andere Matratzen haben, welche nicht mindestens umgerechnet 2.000 Euro kosten. In keinem Laden, den ich besuchte, konnte ich ein halbwegs preiswertes Exemplar ergattern. Mehr noch, die normale Frage war, warum ich nicht einfach auf dem Boden schlafe, ist doch eh viel gesünder für mich. Nach langen Diskussionen stellte sich heraus, es geht den Japanern stark ums Prinzip. Wer bitte würde es wagen, den Japanern ihr Futon wegzunehmen? Wie es aussieht, kaufen die Japaner weiche Matratzen als Tatamiersatz und legen darüber Futons, welche dann das Gefühl des „auf-dem-Boden-Schlafens“ vermitteln. Die Matratze von Mayumi musste also so sein. Wieso man nicht gleich normale Matratzen anbietet, erschließt sich mir bis auf den Hintergrund des Doppelkaufes nicht, aber immerhin sind Futons leichter zu bekommen. So stand ich nach zwei Tagen aufwändiger Suche und vielen verwirrten Blicken aufgrund meiner verrückten Matratzenwünsche, endlich in einem Laden und hatte ein Futon in meiner Hand. Nebenbei gibt es hierzulande natürlich auch keine normalen Bettlaken. Nein, das wäre ja auch viel zu einfach! Vielmehr werden Bettlaken verwendet, welche das Futon einschließen sollen. Wer schon von Bettwäsche genervt ist, der soll mal versuchen, eine über zwei Meter große Matratze in so eine Tasche zu stecken. Aber egal, es wurde gekauft und jetzt stand ich vor einem kleinen Problem: Soll ich noch einmal fast den ganzen Kaufpreis für die Lieferung ausgeben, vom anderen Ende der Stadt nach Hause laufen oder gar ein Taxi besorgen? Ich entschied mich für die vierte Variante und bastelte mir mit meinem Fahrradschloss eine Halterung, mit der ich mir die riesige (gefaltete) Matratze auf dem Rücken befestigte. Ich war der Blickfang für alle Japaner, kam aber irgendwie heim und kann endlich wieder vernünftig schlafen. Dazu hängt auch endlich die FCM-Fahne über dem Bett, da kann eigentlich nichts mehr den guten Schlaf unterbrechen.

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Auf Großvaters Spuren

Ein Kenkyoshitzu ist an sich eine gute Erfindung. Es handelt sich um eine Mischung aus Bibliothek und Aufenthaltsraum und im Gegensatz zur relativ anonymen Universität in Deutschland geht es dank dieser Einrichtung hierzulande etwas familiärer in der Uni zu. So sehr ich die Vorteile davon auch schätze, manchmal beschert der Aufenthaltsraum auch mehr Probleme, als mir lieb sind. So ist leider seit dem Aufstieg von Herrn Kawamura der Fachbereich in eine technologische Starre gefallen. Technik geht zu Bruch und keiner repariert sie. Die Computer wurden teilweise schon seit zwei Jahren nicht mehr geupdatet und die Anschaffung neuer Technik erfolgt nach dem Prinzip des Aussehens. Natürlich sieht so ein Mac toll aus, wenn ihn aber nur eine Person steuern kann bringt er nicht viel, besonders wenn diese Person nicht die Verantwortliche für die PCs ist. Da ich notgedrungen auch mit der Technik arbeiten muss, habe ich mittlerweile das Admin-Passwort erhalten und mich erst einmal um die Rechner kümmern müssen. So wurden beim per E-Mail groß angepriesenen neuen Windows-PC doch einfach mal der Druckertreiber und die Programme neben Word vergessen. Da ich in der vorlesungsfreien Zeit eh mehr hier bin als die Dozenten, kommen die Studenten deshalb zu mir, wenn genau solche Fälle eintreten und ich kümmere mich darum.
Die Übernahme der Wartung wäre an sich aber noch nicht mal das große Problem. Wenn es einmal gemacht wurde, ist das Problem meist gelöst, aber so ein Kenkyoshitzu hat noch andere Dinge zu bieten. So geschah es letzten Donnerstag. Mehrere Studenten trafen sich für einen Literaturzirkel zum Thema „deutsche Bücher“. Schon von der Idee her ist dieser Zirkel zumindest diskussionswürdig. Es findet einmal die Woche ein Treffen mit dem Professor statt, bei dem abwechselnd ein Text vorgelesen wird, der dann in wenigen Worten erklärt werden soll. Um dies vorzubereiten, treffen sich alle Mitglieder ohne den Professor und bearbeiten den Text von sich aus. Nun spricht der Professor schon nicht viel Deutsch, aber die Studenten sprechen zum Teil nicht mal zwei Sätze. Zu entscheiden, inwiefern Texte wie das Buch Ijob nun geeignete Werke sind, um die deutsche Sprache zu verbessern, sei den geneigten Lesern selber überlassen. Meist werden auf jeden Fall die Worte einfach nur wortwörtlich übersetzt und vorgetragen. Der Professor berichtigt das auch nicht groß. Für einfache Bücher mag das alles noch angehen, bei Büchern mit mittelalterlichen Ausdrücken und Stilmitteln kommt man aus meiner Sicht mit der Betrachtung aber nicht weit. Auf jeden Fall war ich passenderweise gerade anwesend, als diese Sitzung der Studenten stattfand. Und unglücklicherweise konnte ich mich nicht mehr auf die von mir zu lesenden Texte konzentrieren, da ich immer nur die falschen Aussagen meiner Mitstudenten hören musste. Nach einer Weile reichte es mir und ich fing an, ihnen ihre Texte zu erklären. Dazu muss man wissen, dass ich schon seit meinen Schulzeiten dank der Überinterpretation von Texten durch meine letzten Deutschlehrer von der wissenschaftlichen Bearbeitung von Literatur Abstand nehme. Ich lese zwar gerne, aber bearbeiten ist dann doch noch mal ein ganz anderes Feld. Trotz allem musste ich so zweieinhalb Stunden damit verbringen, Japanern deutsche Literatur mit Händen und Füßen zu erklären. Wie schwer dies war, dürfte alleine durch die Tatsache ersichtlich werden, dass ich sogar erklären musste, was eine rhetorische Frage ist – und das bei zum Teil Masterstudenten der deutschen Literatur. Immerhin fruchtete meine Erklärung und der beteiligte Professor zeigte sich später in ihrer Besprechung begeistert von den Leistungen der Teilnehmer. Mein einziges Problem ist nun, dass ich gebeten wurde, doch von nun an immer an den Treffen des Buchclubs teilzunehmen. Na wenigstens wäre mein Großvater, der Deutsch- und Geschichtslehrer war, stolz auf mich gewesen, dass ich ihm jetzt sogar in seinem zweiten Fachbereich nacheifere.
Etwas Positives hat sich aus dieser Sache aber trotzdem ergeben: Auf Umwegen hat eine Deutschlehrerin von mir gehört und ich wurde gefragt, ob ich nicht einmal in der Woche als Assistent für ihren Sprachkurs arbeiten will. Geld kann man als armer Student ja immer gebrauchen und die Erfahrung schadet auch nicht, weswegen ich wohl zusagen werde. Im besten Fall finanzieren sich so meine zukünftigen Fußballtickets.

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Vegetarier im Fleischrestaurant

Gut, ich vermeide in Deutschland Restaurants sowieso immer aus Prinzip. Irgendwie erscheint es mir zu dekadent, als Student regelmäßig auswärtig essen zu gehen. Hier in Japan ist das aber etwas anderes. Schon aufgrund der Grundkosten für Lebensmittel ist es fast günstiger essen zu gehen, als spät abends noch zu kochen. Trotz allem erlebe ich aber immer noch Überraschungen. So geschah es am Samstag. Nachdem die feuchten Wände unserer Wohnung unseren hölzernen Schuhschrank in ein Paradies für Schimmel verwandelt hatten, verbrachte ich den Tag damit, die Stadt nach Alternativen zu erforschen. Dies kam mir auch so sehr gelegen, denn eine Einladung zum Karaoke von Maryam war eingetroffen und ich suche bekannterweise immer Gründe, nicht vor wildfremden Leuten singen zu müssen, solange es sich nicht um ein Fußballstadion handelt. Orsolya dagegen liebt Karaoke und so entschieden wir, uns nach dem Singen vor dem Laden zu treffen. Da die meisten Beteiligten es eilig hatten, blieben so nur Thiago, ein alter brasilianischer Freund, seine japanische Verlobte und wir beide übrig, als ich sie endlich gefunden hatte. Da wir uns lange nicht mehr gesehen hatte entschieden wir, essen zu gehen. Samstagabend und spät essen ist in Sendai so eine Sache. Man muss schon Glück haben, um etwas Anständiges zu finden. Dazu stand es den Beteiligten auch noch nach Yakiniku, übersetzt heißt das „selbst gebratenes Fleisch“. selber-grillen
Zum Glück wusste der Vegetarier der Runde Rat. In der Nähe befindet sich ein Restaurant, das ich das erste Mal vor über drei Jahren mit meinen Eltern besuchte und in dem ich seitdem als Stammkunde gelte. Zum Glück wissen die nichts darüber, dass ich eigentlich nicht mal ihr Hauptessen – nämlich Fleisch – esse. Wie der Zufall so wollte, wurde auch just in dem Moment ein Tisch frei, als wir ankamen und das Essen konnte beginnen. Obwohl wir ein Menü für zwei Personen zu viert verspeisten, war das Essen sehr gut und ich freute mich über das gebratene Gemüse und die Beilagen, welche an mir hängenblieben. Die „Fleischfresser“ wissen halt die Soßen und Salatblätter gar nicht richtig zu würdigen! Aber auch ansonsten bestellten wir ein paar vegetarische Sachen, so dass für jeden etwas dabei war. Als wir gehen wollten, stand dann auch die Kellnerin bereit, welche uns noch eine Kugel Eis auf Kosten des Hauses ausgab.

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Bis zu diesem Zeitpunkt war auch noch alles normal und nicht berichtenswert. Beim Bezahlen fiel uns dann aber etwas ganz anderes auf. Man kennt das ja, dass in Deutschland die Rechnung zuerst beim Mann landet. Diesen Punkt hätten wir ja noch verstanden, aber dass, nachdem der Mann bezahlt hat, die Frau das Rückgeld erhält, das war dann doch reichlich ungewohnt! Wie sich herausstellte, erhalten in Japan die Männer von ihrem Lohn nur ein Taschengeld, während die Frauen für die Familienfinanzen zuständig sind. Aus diesem Grund gehen die Kellner davon aus, dass die Frau dem Mann vor dem Bezahlen das Geld gegeben hat und dann auch das Rückgeld gleich wieder in Verwahrung nimmt. Nun wollten wir es natürlich genauer wissen und wirklich, wenn man mal darauf achtet stellt man fest, dass dieses Verhalten hierzulande wirklich gang und gäbe ist, wir es aber immer nur auf Sprachprobleme geschoben haben. Wer als Mann also mit seiner Freundin oder Frau nach Japan kommt und nicht am Ende mittellos dastehen möchte, der sollte eventuell auf diese Eigenheit der japanischen Gesellschaft achten.

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In welchem Programm bist du?

Es sollte ein ganz normaler Arbeitstag in Sendai werden. Früh aufstehen, ins Büro gehen und dann lange arbeiten, eigentlich also wie immer. Letzte Woche wurden meine Pläne aber schnell umgestoßen, dabei fing der Tag ganz normal an. Aber von vorne:
Mein Kenkyushitsu verfügt über drei Kommilitonen, welche für mich als Ansprechpartner für wirklich interessante Gespräche zur Verfügung stehen. Zum einen wäre da natürlich Shimizu zu nennen, welcher noch für sechs Monate Wien unsicher machen wird. Zum anderen gibt es noch Norihiro, welcher immer gut als Gesellschaft geeignet ist, aber leider eine sehr hohe Arbeitsmoral hat und aus diesem Grund kaum Freiheit. Die dritte Person im Bunde ist Kei. Kei ist eine junge Japanerin, welche schon zwei Jahre im Rahmen von Austauschprogrammen in Deutschland gelebt hat. Leider fand ihr letzter Austausch dabei in den letzten 12 Monaten statt, weshalb ich seit meiner Ankunft eigentlich nur Norihiro hatte. Dies ändert sich nun. Ihr Austausch ist beendet und ich schaffte es natürlich, ihr an ihrem ersten Tag gleich auf dem Weg in die Universität zu begegnen. Nach einem langen Kaffeegespräch lud sie mich ein, doch ihren alten Tandempartner aus Heidelberg zu treffen. Ein Angebot wie dieses kann ich natürlich unmöglich ausschlagen. Mit Robin traf ich erst den dritten deutschsprachigen Studenten seit meiner Ankunft im letzten Jahr und es entstand das längste Gespräch mit einem deutschen Studenten.
Da die Frage immer wieder aufkommt muss ich gleich sagen, dass ich nicht so etwas wie Heimweh empfinde. Natürlich vermisse ich manchmal Sachen und Menschen aus Deutschland. Ich würde natürlich auch nicht abgeneigt sein, einem Spiel des ruhmreichen 1. FC Magdeburg beizuwohnen. Aber ich empfand in Deutschland ein größeres Fernweh als hier in Japan Heimweh. Im Endeffekt ist Sendai auch schon meine zweite Heimat geworden, mehr als es Göttingen je sein könnte, da es auch von der Größe näher an meinen Vorstellungen liegt. Trotz dieser Umstände und der Tatsache, dass ich fließend Englisch spreche, war es trotzdem angenehm, mal wieder in der eigenen Sprache zu sprechen und jemanden gegenüber stehen zu haben, der den gleichen kulturellen Hintergrund hat. Einzig die obligatorisch erste Frage, in welchem Programm ich hier sei, fand ich immer noch fehl am Platz. Bei meinem ersten Aufenthalt hier in Sendai haben wir uns als Vertreter einer Uni vorgestellt, um gewisse Voreinordnungen vornehmen zu können. Dieses System finde ich persönlich immer noch viel besser, als die Gruppierung nach dem Programm, in dem ich die Universität besuche. Die Mentalität, nur mit den Leuten aus dem eigenen Programm näher zu kommunizieren, scheint aber neuerdings hier stark vertreten zu sein.
So verbrachten wir den halben Tag miteinander und das Arbeiten kam etwas zu kurz. Aber es muss ja auch solche Tage geben. Er zeigte sich sehr beeindruckt von unserem Lab und meine Tutorin, welche seit Wochen nicht mehr ihren Tutorpflichten nachgekommen ist, nutzte gleich die Möglichkeit, mit ihm zu flirten. Ein Freund von Shimizu wusste gar nicht wie ihm geschah, als Robin in das Lab kam und meine Tutorin ihn gleich zusammenfaltete, er soll doch gefälligst schnell Tee machen. Aus Solidarität stellte ich mich zu ihm und wir kamen in ein kurzes Gespräch, wonach er auf einmal mein Tutor für das nächste Semester werden möchte. Es freut mich ja, beliebt zu sein. Aber ich muss unbedingt mit Herrn Professor Morimoto sprechen, nicht dass der arme Norihiro schon wieder übergangen wird.
So vergingen die Stunden in Erzählungen über Deutschland und Lästereien über Japan, bis sich Kei und Robin verabschiedeten. Nun endlich, so dachte ich jedenfalls, könnte ich mit dem Arbeiten anfangen. Eine Fehleinschätzung, wie mir der anschließende Feueralarm zeigte. Wie sich herausstellte, sollten die Aufnahmetests für die Uni stattfinden und das Gebäude sollte in Anbetracht der vorlesungsfreien Zeit dafür geräumt werden. Wie immer hatte mich natürlich niemand gewarnt und so verbrachte ich auch noch die nächsten Tage damit, am Morgen vor der Tür des Gebäudes zu stehen, nur um festzustellen, dass immer noch geprüft wurde. Besonders ins Auge fielen dabei die Eltern, welche bei Minusgraden vor der Tür warteten, nur um dem Kind bei einer Pause noch einmal die wichtigsten Fakten um die Ohren zu hauen.

So wurde aus meinem vollen Arbeitstag, einige Stunden Deutsch reden und im Anschluss eine Zwangspause im Verbund mit Bibliotheksarbeiten, aufgrund der Prüfungen. Trotzdem hat es sich gelohnt und ich freue mich Kei, wieder im Lab zu haben, besonders, da Masami, eine weitere Bezugsperson hier im Gebäude, wohl auch bald Sendai verlassen wird.

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