Auf Großvaters Spuren

Ein Kenkyoshitzu ist an sich eine gute Erfindung. Es handelt sich um eine Mischung aus Bibliothek und Aufenthaltsraum und im Gegensatz zur relativ anonymen Universität in Deutschland geht es dank dieser Einrichtung hierzulande etwas familiärer in der Uni zu. So sehr ich die Vorteile davon auch schätze, manchmal beschert der Aufenthaltsraum auch mehr Probleme, als mir lieb sind. So ist leider seit dem Aufstieg von Herrn Kawamura der Fachbereich in eine technologische Starre gefallen. Technik geht zu Bruch und keiner repariert sie. Die Computer wurden teilweise schon seit zwei Jahren nicht mehr geupdatet und die Anschaffung neuer Technik erfolgt nach dem Prinzip des Aussehens. Natürlich sieht so ein Mac toll aus, wenn ihn aber nur eine Person steuern kann bringt er nicht viel, besonders wenn diese Person nicht die Verantwortliche für die PCs ist. Da ich notgedrungen auch mit der Technik arbeiten muss, habe ich mittlerweile das Admin-Passwort erhalten und mich erst einmal um die Rechner kümmern müssen. So wurden beim per E-Mail groß angepriesenen neuen Windows-PC doch einfach mal der Druckertreiber und die Programme neben Word vergessen. Da ich in der vorlesungsfreien Zeit eh mehr hier bin als die Dozenten, kommen die Studenten deshalb zu mir, wenn genau solche Fälle eintreten und ich kümmere mich darum.
Die Übernahme der Wartung wäre an sich aber noch nicht mal das große Problem. Wenn es einmal gemacht wurde, ist das Problem meist gelöst, aber so ein Kenkyoshitzu hat noch andere Dinge zu bieten. So geschah es letzten Donnerstag. Mehrere Studenten trafen sich für einen Literaturzirkel zum Thema „deutsche Bücher“. Schon von der Idee her ist dieser Zirkel zumindest diskussionswürdig. Es findet einmal die Woche ein Treffen mit dem Professor statt, bei dem abwechselnd ein Text vorgelesen wird, der dann in wenigen Worten erklärt werden soll. Um dies vorzubereiten, treffen sich alle Mitglieder ohne den Professor und bearbeiten den Text von sich aus. Nun spricht der Professor schon nicht viel Deutsch, aber die Studenten sprechen zum Teil nicht mal zwei Sätze. Zu entscheiden, inwiefern Texte wie das Buch Ijob nun geeignete Werke sind, um die deutsche Sprache zu verbessern, sei den geneigten Lesern selber überlassen. Meist werden auf jeden Fall die Worte einfach nur wortwörtlich übersetzt und vorgetragen. Der Professor berichtigt das auch nicht groß. Für einfache Bücher mag das alles noch angehen, bei Büchern mit mittelalterlichen Ausdrücken und Stilmitteln kommt man aus meiner Sicht mit der Betrachtung aber nicht weit. Auf jeden Fall war ich passenderweise gerade anwesend, als diese Sitzung der Studenten stattfand. Und unglücklicherweise konnte ich mich nicht mehr auf die von mir zu lesenden Texte konzentrieren, da ich immer nur die falschen Aussagen meiner Mitstudenten hören musste. Nach einer Weile reichte es mir und ich fing an, ihnen ihre Texte zu erklären. Dazu muss man wissen, dass ich schon seit meinen Schulzeiten dank der Überinterpretation von Texten durch meine letzten Deutschlehrer von der wissenschaftlichen Bearbeitung von Literatur Abstand nehme. Ich lese zwar gerne, aber bearbeiten ist dann doch noch mal ein ganz anderes Feld. Trotz allem musste ich so zweieinhalb Stunden damit verbringen, Japanern deutsche Literatur mit Händen und Füßen zu erklären. Wie schwer dies war, dürfte alleine durch die Tatsache ersichtlich werden, dass ich sogar erklären musste, was eine rhetorische Frage ist – und das bei zum Teil Masterstudenten der deutschen Literatur. Immerhin fruchtete meine Erklärung und der beteiligte Professor zeigte sich später in ihrer Besprechung begeistert von den Leistungen der Teilnehmer. Mein einziges Problem ist nun, dass ich gebeten wurde, doch von nun an immer an den Treffen des Buchclubs teilzunehmen. Na wenigstens wäre mein Großvater, der Deutsch- und Geschichtslehrer war, stolz auf mich gewesen, dass ich ihm jetzt sogar in seinem zweiten Fachbereich nacheifere.
Etwas Positives hat sich aus dieser Sache aber trotzdem ergeben: Auf Umwegen hat eine Deutschlehrerin von mir gehört und ich wurde gefragt, ob ich nicht einmal in der Woche als Assistent für ihren Sprachkurs arbeiten will. Geld kann man als armer Student ja immer gebrauchen und die Erfahrung schadet auch nicht, weswegen ich wohl zusagen werde. Im besten Fall finanzieren sich so meine zukünftigen Fußballtickets.

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1 Kommentar

    • Oma Brigitte auf März 13, 2014 bei 7:32 pm
    • Antworten

    Hallo Reik, ich habe gerade deinen Artikel gelesen. Sicherlich
    wäre dein Opa stolz auf dich. Leider ist es ihm nicht mehr vergönnt,
    deinen Werdegang zu verfolgen. Nimm den Nebenjob ruhig an.
    Viele liebe Grüße von deiner Oma Brigitte

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