Reik, der Oberlehrer

Es ist endlich geschafft! Die Weltmeisterschaft ist zu Ende und „wir sind Weltmeister“. Ok, ich eher nicht, denn mit meinen Fußballfähigkeiten hätte ich wohl eher jemandem vom gegnerischen Team das Bein gebrochen, ehe ich den Ball bekommen hätte und geschaut habe ich auch kein Spiel. Hier in Japan gratuliert mir aber trotzdem jeder, als ob ich aus dem gelobten Land komme. Die Liebe zum Fußball, welche eine Weltmeisterschaft entstehen lassen kann, ist schon überraschend. Nachdem ich mittlerweile drei Weltmeisterschaften hier in Japan verbracht habe, merke ich, wie die Begeisterung für den Sport mehr und mehr zunimmt und nicht einmal die eher bescheidenen Leistungen der blauen Samurai können an dieser Tatsache etwas ändern. Trotzdem gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich vielleicht mehr mit der Weltmeisterschaft beschäftigen hätte sollen – meine Studenten!

Es ist Hochsommer und damit Prüfungszeit. Das erste Mal in meinem Leben stehe ich auf der anderen Seite des Raumes und so langsam verstehe ich die sadistischen Adern meiner ehemaligen Lehrer. So manch einer ihrer Charakterzüge muss entstanden sein, als sie uns schwitzend über einer Klausur brütend sehen mussten. Es ist schon etwas anderes, den Prüflingen über die Schultern zu schauen und ihre Fehler direkt zu sehen, als selber schwitzend im Raum zu sitzen und zu versuchen, sich an das Gelernte zu erinnern. Der Test, der dabei in unserem Kurs zu schreiben war, war eher einfacher Natur. Im Schnitt war er locker in einer Stunde zu bewältigen und die Übungen waren einfache. Wenn ich dagegen an gewisse Kanjiprüfungen denke, wo 260 Kanjis zu wissen waren und die Aufgaben in der Größenordnung gestellt wurden, dass man nur Sekunden zum Überlegen hatte, dann waren wir wirklich human.
Aber nun zur kurzen Beschreibung: Japanische Klausuren laufen anders als in Deutschland ab. Man hat einen Vordruck und muss bei diesem nur Freistellen ausfüllen. Damit man diese auch ändern kann, ist das Verwenden von Bleistiften zu meiner großen Überraschung ebenfalls gestattet und kein Student nutzte einen Kugelschreiber. Die Aufgaben umfassten das Deklinieren, das Übersetzen mehrerer einfacher Sätze ins Japanische, eine Leseverständnisaufgabe und eine kurze Vorstellung der eigenen Person. Als Abschluss gab es dann noch eine Hörübung. Solange es bei den Auswendiglern-Aufgaben blieb, gab es für die Meisten dann auch kein Problem. Ich habe so ein wenig das Gefühl, als ob Japaner die Könige im Auswendiglernen sind. Dabei entsteht aber das Problem, welches sich bei den Anwendungsaufgaben zeigte. Schon vor einigen Wochen hatte ich bemerkt, dass meine Studenten zwar das Alphabet aufsagen können, wenn es aber nicht in der Gruppe oder gar aus der Reihe geschehen soll, dann haben sie große Probleme. Dies hängt mit der Besonderheit der Japaner zusammen, dass hier im seltensten Fall mal Aufgaben einzeln gelöst werden müssen. Im Selbstverständnis des Lehrens hierzulande ist das Wiederholen das geeignetste Lehrmittel und dabei sollen alle sprechen. Wenn einer dabei aber Fehler macht, ist es für die Lehrkraft fast unmöglich, diese eine Person herauszufiltern und sie zu berichtigen. Dementsprechend hat auch mein Kurs einige Schwächen wie zum Beispiel, dass einige meiner Studenten einzelne Buchstaben falsch schreiben. Da sie mir aber ihr Geschriebenes nie zeigen müssen, bleibt mir nur, vor dem Unterricht durch die Reihen der Lernenden zu gehen und ihnen da Tipps zu geben.

Das erste Problem war die eigene Vorstellung. Einige Studenten waren der Meinung, mit ihrem Wissen angeben zu müssen. Natürlich kann man bei Sachen, die einem gefallen, die eigentlichen Interessen angeben. Wieso sie dann aber versuchen, Hardcore Techno oder spezielle schwere Worte wie Ingenieur zu schreiben, wenn sie auch einfach Musik und Technik (von der Professorin vorgegebener Begriff für alle technischen Fachrichtungen) benutzen könnten, muss man nicht verstehen. Wobei, ich verstehe es, weil ich es in meinen Sprachkursen früher genauso gemacht hätte und vermutlich genauso viele Fehler wie meine Studenten eingebaut hätte. Trotzdem finde ich es interessant, wie anders ich doch in solcher Situation denke, obwohl ich erst ein halbes Jahr unterrichte. Die weit schwerere Aufgabe war aber eine andere. Im Hörverständnis reichte es, wenn die Studenten einen sechsmal genannten und dabei zweimal buchstabierten Namen aufschreiben konnten. Wie sich zeigte, schauten die wenigsten von ihnen Fußball und so zerstörte Deutschlands defensives Mittelfeld, in Form von Herrn Schweinsteiger, die Träume von 85 Prozent meiner Studenten, eine perfekte Note zu bekommen. Eigentlich hätte denen doch klar sein müssen, dass irgend ein Thema mit Fußball kommt, so oft wie meine Professorin die WM erwähnt hat. Beim Buchstabieren zeigten sich dann zwei große Probleme: Der Unterschied zwischen einem B und einem W war für die meisten Studenten einfach nicht zu hören und auch das L oder R konnten sie nicht unterscheiden. Zu sehr sind die Japaner in ihrer Katakana-Umschrift gefangen, die bei diesen Tönen keinen Unterschied macht.

Auf jeden Fall hatte ich dieses Semester meinen Spaß und meinen Studenten scheine ich auch gefallen zu haben, denn nächstes Semester bekomme ich noch einen Kurs extra. Ich muss sagen, ich freue mich schon darauf, denn es macht schon Spaß. Und was ich lerne, weil ich vor dem Kurs reden und präsentieren muss, kann ich auch garantiert später noch einsetzen, um Präsentationen zu halten.

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