Alle Jahre wieder

Der Dezember hat begonnen und ich habe es noch nicht einmal wirklich bemerkt. Während in Deutschland schon zu meiner Abreise die ersten Lebkuchen und Stollen verkauft wurden, ist die sogenannte „besinnliche“ Zeit des Jahres in Japan zum Glück genau das, besinnlich. Während in Deutschland schon alle Geschäfte mit Weihnachtsmusik beschallt werden, merkt man den Dezember in Sendai eigentlich nur an zwei Sachen: Auf der einen Seite hat in der Innenstadt die Straße des Sternenlichtes angefangen. Das ist eine Straße, auf der alle Bäume mit Lichtern geschmückt werden, damit die Stimmung der Japaner auch im tristen Dezember hochgehalten wird. Auf der anderen Seite mehren sich die Diskussionen, ob man wie ich im Dezember wirklich nur T-Shirt und Windjacke benötigt. Für Japaner sind die rund zehn Grad, die wir hier momentan im Durchschnitt haben, so viel wie bei uns in Deutschland minus zehn sein würden. Umso häufiger finden auch die Nachfragen statt. Meine Erklärung, für mich sei das hier Sommer, will man dabei nicht gelten lassen und die Spekulationen über meine Herkunft (ob ich nun ein Roboter, ein Dämon oder vielleicht doch ein echter Samurai bin) schießen dabei immer mehr in die Höhe. Dabei scheine ich ja alles richtig zu machen. Während mittlerweile schon mein gesamtes Kenkyushitsu von Krankheiten befallen wurde, bin ich der Einzige, der bisher durchgehalten hat. Dafür, dass ich bei 10 Grad noch nicht mit drei Pullovern rumrenne, wie zum Beispiel Norihiro und Orsolya, habe ich später bei wirklich schlechten Temperaturen noch mehr Möglichkeiten, mich warm zu halten. Auf der anderen Seite kann ich versichern, dass mein Auftreten auf jeden Fall ein Eisbrecher ist. So viele Japaner haben mich aus dem Grund schon angesprochen.
Aber egal, es sollte hier ja nicht um meine angeblich seltsame Kleidungsordnung oder die wirklich seltsame der Japaner gehen, sondern um den Dezember. Zwar genieße ich die Ruhe hierzulande, indem ich vom Weihnachtsstress verschont bleibe, schließlich macht meine Forschung schon genug Mühe, aber auf der anderen Seite kann man manchen Sachen nie ganz entfliehen. So geschah es, dass vor einigen Tagen eine Einladung zu einer deutschen Weihnachtsfeier bei mir einflatterte. „Deutsche Weihnachtsfeier?“ werden einige Leser jetzt fragen, da ich bekanntlich bisher nur bedingt Kontakt zu Deutschen in Sendai hatte. Aber die Antwort ist einfach: Frau Wilhelm, die Leiterin der Japanisch-Deutschen Gesellschaft erinnerte sich daran, dass ich mittlerweile wieder in Japan bin und fragte an, ob ich nicht Lust hätte, zu erscheinen. Bekanntlich sagt man bei kostenlosem Essen nie nein und schon befand ich mich auf dem Weg zu der Feier. Wie sich herausstellte, war der verwendete Name „Party“ aber ziemlich optimistisch gewählt. Zum Schock der Anwesenden 4 Deutschen und des einen Österreichers befanden wir uns in feinster Gesellschaft mit rund 40 Leuten, wovon etwa 30 über 70 Jahre alt gewesen sein dürften. Der allgemeine Altersdurchschnitt wurde nur durch den Österreicher und mich gesenkt und dürfte wohl gut und gerne bei ca. 60 Jahre gelegen haben. Die Anwesenden waren dementsprechend auch sehr fein angezogen und alle im Anzug erschienen. Gut, wir waren Ausländer, also stachen wir ja eh hervor, da fällt so ein kleiner Fauxpas schon gar nicht mehr auf.
Die Feier selbst fand in einer edlen Bar mit zwei Etagen statt, in der normalerweise Hochzeiten gefeiert werden. Etwas verwunderte der Name der Bar, denn „Palinka“ ist ja eigentlich ein hochprozentiger ungarischer Obstbrand, aber der Laden machte an sich keine Anzeichen, etwas mit Ungarn zu tun zu haben. Das zeigte sich auch schon bei den Anwesenden bei unserer Ankunft, als ein Japaner versuchte, uns eine Flasche Palinka anzudrehen, um mit uns zu trinken. Schließlich sei Palinka ja „polnisch“ und damit fast deutsch. In diesem Satz fanden sich so viele Fehler, dass ich froh war, dass er wegen unserem Desinteresse aufgab und von dannen zog. Schade, dass Orsolya nicht anwesend war, um den Herrn zu berichtigen. So begann die Feier glücklicherweise trocken und mit einer Ansprache von Frau Wilhelm, wo wir öffentlich vorgestellt wurden. Schon hier stellten wir unseren größten Fehler fest: Während der japanerfahrene Professor sich aus der Affäre gezogen hatte und gleich den oberen Rang besuchte, standen wir unten bei Frau Wilhelm und der „über 60 Gesellschaft“. Uns wurde erklärt, dass hier nur Leute über 60 seien und die jüngeren oben wären. Dummerweise mussten wir uns durch die Masse der älteren Herrschaften kämpfen, die uns mit Fragen löcherten und den 2-Minuten-Gang zu einem halbstündigen Spießrutenlauf verkommen ließen. Besonders vorsichtig wurde ich, als ich es mit Professor Morimotos Vorgänger zu tun bekam, denn man möchte ja kein falsches Wort verlieren. Immerhin stellte sich heraus, dass der österreichische Japanologe weniger Japanisch sprach als ich, was schon einmal ein kleiner innerer Vorbeimarsch für mich war. Nach einer Weile retteten wir uns aber nach oben, wo wir mit einigen Japanern und allen Deutschen eine Lästergruppe über die deutsche Terrorpresse und unsere Japanerfahrungen aufmachten. Allgemein war es sehr angenehm, mich mit einigen Professoren mit Geschichtsinteresse zu unterhalten und so meine Netzwerke für meine Doktorarbeit zu verbessern. Aber auch einige Japaner fanden sich als Gesprächspartner. So wollen zwei Damen unbedingt mal mit mir zum Fußball gehen. Wie lange habe ich auf solche Worte in Deutschland gewartet, wo noch nicht mal Lars mit mir auf der gleichen Seite ein Magdeburgspiel besuchte. Auf diesem Weg nebenbei mal kurz noch ein „gute Besserung“ an ihn, ich hoffe deine Schuler ist nach der OP bald wieder normal. Aber nicht nur in Deutschland gibt es medizinische Notfälle, auch unter den Anwenden Rentnern kippte auf einmal einer um und der Notarzt musste gerufen werden. Eine sehr lustige Szene ereignete sich dabei nach der Frage, wer Arzt ist, da eine Vielzahl der Anzugträger früher in diesem Gebiet agierte und sich dann eine Traube von ihnen um ihn drängelte und über die Behandlung diskutierte. Währenddessen ließen sich die Veranstalter aber nicht beirren und mit einer Seelenruhe wurde das Programm durchgezogen. Ein Teil des Programms war dabei ein Theaterstück über Frau Wilhelms Deutschunterricht und eine Sängerin gab erst japanische Lieder und dann deutsche Weihnachtslieder zum Besten, wo dann alle aufgefordert wurden, doch bitte bei „O Tannenbaum“ einzustimmen.

weihnachtsfeierbier

So erlebte ich nun für einige Stunden ein deutsches Weihnachtsfest, inklusive des ersten Weihnachtsbaums mit echten Kerzen in meinem Leben, am anderen Ende der Welt, wo ich doch eigentlich froh war, dem Chaos in Deutschland entkommen zu sein. Trotzdem war es ein interessanter und aus Sicht der neuen Bekanntschaften auch erfolgreicher Abend.

 

sangerin

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/alle-jahre-wieder/

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.