Der erste Gast

Heimat, dieser Gedanke prägte meine Gedanken, als der Shinkansen in Sendai einfuhr. Die Neonlichter von Loft, der Fernsehturm und der Blick Richtung Innenstadt. Ja, so kenne und liebe ich diese Stadt! Leider kommt es bekanntlich ja immer anders als man denkt und aus diesem Grund blieb es nicht lange bei dem gemütlichen Gefühl, den ganzen Stress hinter mir zu haben.

Nachdem ich früher regelmäßig die Taxis verweigert habe und meine Füße bevorzuge, muss ich ja so langsam eingestehen, dass man nicht jünger wird und mit knapp 55-60 kg Gepäck, verteilt auf zwei Personen, muss das Wandern ja nicht sein. Kurzerhand wurde ein Taxi gerufen und der Fahrer vor das logistische Problem des Transports gestellt. Schlussendlich wurde der größte Koffer auf den Beifahrersitz gestellt und so gefahren. Dieses ungesicherte Arrangement wäre in Deutschland durch jede Sicherheitskontrolle gefallen, aber hier machte man sich keinen Kopf darüber. Kein Wunder, Taxifahren ist hier eh anders, als man es in Deutschland gewöhnt ist. In Japan ist der Taxifahrer von seinem Navi abhängig. Das Fahren von Abkürzungen oder anderen Wegen ist nicht gewollt, schließlich könnte man so den Kunden um sein Geld betrügen. Dementsprechend unbedarft sind die Taxifahrer auch, wie wir kurze Zeit später erfahren mussten. Zwar kamen wir gut in unserer Wohnung an, doch war damit der Tag noch nicht gelaufen.

Christoph, ein Bekannter aus Göttingen, befand sich auch auf Reisen in Japan und erbat Asyl in Sendai. Kurz nachdem wir ankamen, gab es einen verzweifelten Anruf, wo man uns denn nun finden könnte. Kurzerhand nannte ich die Adresse, vergaß aber, eine Zahl zu erwähnen. Normalerweise sollte das kein Problem sein, für Christoph war es aber eines, denn der Taxifahrer verfuhr sich. Einen verzweifelten Anruf bei uns später fand er aber noch in die Wohnung. Nachdem gerade dieses Problem gelöst war, kam auch schon der nächste Anruf: Shimizu verweilte extra einen Tag länger in Sendai, um mich noch vor seinem Flug nach Wien zu treffen. Wie es sich gehört, verpassen wir guten Freunde uns natürlich mit unseren Auslandsaufenthalten! Während ich 18 Monate in Japan bin, verbringt er 12 Monate in Wien. Zwar ist dies ein herber Verlust für mich, auf der anderen Seite schadet es aber nicht, neue Menschen kennenzulernen. Auf jeden Fall hatte Shimizu kurz Zeit für mich. Also Christoph in Empfang nehmen, Orsolya mit ihm betrauen und rüber zu Shimizu, der zum Glück nur um die Ecke wohnt. In dem Fall musste ich leider Prioritäten setzten. Bei Shimizu erwartete mich schon seine Mutter, welche die Wohnung für das Jahr verwalten wird, und eine große Portion selbst gemachte Misosuppe und bestelltes Sushi. So hatten wir noch mal für eine Stunde Zeit, uns zu unterhalten und auf den neuesten Stand zu bringen. Ich werde ihn auf jeden Fall vermissen, soviel ist klar!

Nun aber zurück zu Christoph. Dankbarerweise wohne ich in einem etwas älteren Apartment, welches zwar im Winter sehr kalt wird, dafür aber zwei große und für japanische Verhältnisse bezahlbare Zimmer besitzt. Aus diesem Grund ist im Wohnzimmer auch immer Platz für Gäste. So wurde ihm der Futon ausgerollt und der nächste Tag geplant. Da Christoph hier niemanden kennt fragte er, ob ich nicht doch eventuell etwas mehr Zeit für ihn aufbringen könnte. Kein Problem, Shimizu hatte gerade berichtet, dass Professor Morimoto in Yokohama bei seiner kranken Mutter verweilt und sich deshalb im Lab keiner um mich kümmern kann. So entstand der erste Plan: Vor 2 Jahren hielt ein japanischer Professor an der Universität in Göttingen einen Vortrag über Strahlung und lud Christoph und mich ein, ihn doch unbedingt mal in seinem Lab zu besuchen. Nichts leichter als das. So ging es mit Wein bewaffnet in sein Lab. Leider war er selber nicht da, aber wir hinterließen eine kurze Nachricht und den Wein. Tage später sollte uns ein ausführliches Dankschreiben von ihm in unseren E-Mail Accounts erwarten und der Hinweis, dass, wenn wir in Sendai studieren wollen, sein Lab immer für uns offen steht. Gut, das ist etwas zu spät, aber wer weiß, wann man sowas mal braucht. Wie heißt es so schön: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

Bei den weiteren Planungen fiel mir ein, dass ich Christoph vor drei Jahren ja durch Masami kennengelernt hatte. Kurzerhand wurde diese angerufen und überzeugt, früher mit der Uni aufzuhören. Dies fiel ihr als japanische Studentin schwerer, als es bei deutschen wohl der Fall gewesen wäre. Wir entschieden, gemeinsam nach Matsushima zu fahren. Zwar hatten die meisten Sachen schon geschlossen, trotzdem konnte uns Masami einiges zeigen, was noch nicht mal ich bis dato gesehen hatte. Manchmal sollte man sich doch an die Japaner halten! So wurde es ein sehr lustiger Tag, der bis in die späten Abendstunden weiterging. Am nächsten Tag ging es noch rauf zum Sendai Castle, wo uns ein freundlicher Wachmann noch für eine Weile in ein Gespräch über Gott, die Welt und Sendai verwickelte. Das erste Mal, dass Christoph es so extrem erlebte, da die Tokyoter Japaner doch etwas unterkühlter sind, als es in Sendai oftmals der Fall ist. Gegen Mittag stieg Christoph dann in den Zug. Der Kurzaufenthalt  war lustig und ich freue mich über jeden Besucher. Nach der stressigen Abfolge der Ereignisse erhielt ich jetzt zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Japan nun wirklich die Möglichkeit durchzuatmen, wenigstens für eine kurze Zeit.

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