Was soll man sagen, wenn man mit Kindern unterwegs ist, werden die Nächte kürzer. Um 5 Uhr waren die Kinder schon auf den Beinen und die Betreuer hingen etwas in den Seilen. Wir Lehrer konnten dank separater Zimmer etwas länger schlafen, aber auch so wurde es eine kurze Nacht. Heute stand also ein kompletter Tag auf dem Zettel und das Wetter meinte es nicht gut mit uns. Ein Sommerregen prasselte vormittags auf uns nieder, so dass die geplanten Aktivitäten ausfallen mussten und unser Unterricht zusammengelegt wurde. Nach der Probe des Vortags verlief dieser aber auf alle Fälle flüssiger und man merkte uns unsere Erfahrung an. Unser Hauptproblem war einzig ein achtjähriger Junge. Dieser hat, seit er zweieinhalb Jahre alt ist, kindgerechten Englischunterricht und war im Gegensatz zu einigen der Älteren unterfordert, wodurch er oftmals Lösungen vorsagte. Auch ansonsten war sein Verhalten ziemlich selbstbewusst und er strahlte dieses auch gegenüber den Lehrern aus. Er erinnerte mich die gesamte Zeit an jemanden und im Endeffekt fiel mir ein, an wen. Er war ein wenig wie ich in dem Alter und nachdem ich ihn behandelte, wie ich es damals gewollt hätte, war er der beste Schüler, den ich mir wünschen konnte. Da er immer relativ schnell mit allem fertig war, fing er auf meine Bitte an, die anderen zu unterstützen und genoss das vollauf. Für mich wiederum war es ideal, weil ich mich so um die Schwächeren genauer kümmern konnte.
Problematisch wurde im Anschluss dagegen eine Mädchengruppe. Insgesamt fiel auf, wie es die Kinder genossen, einfach mal Kinder zu sein, aber diese Gruppe war besonders aufmerksamkeitsbedürftig. Ihre Betreuerin wusste schon nicht mehr, was sie machen sollte, da jede der fünf auf ihr rumsprang, hochgehoben werden wollte oder Umarmungen verlangte. Aus Mitleid hob ich einige von ihnen an und im Endeffekt hatte ich keine Ruhe mehr. Es ging so weit, dass sie sogar versuchten, mir auf die Toilette zu folgen, was nun wahrlich zu weit ging. Trotzdem mochten mich die Kinder, wodurch einige, die vorher kein Wort sagten, auf einmal auftauten. Ein für mich interessanter Sonderfall war unser ADHS-Patient. Er hatte keine Medizin dabei und die Betreuer baten mich deshalb, ein Auge auf ihn zu werfen, aber das war total unnötig. Aus meiner Sicht war er ein ganz normales Kind, das nur etwas mehr Auslauf benötigte, als es zu Hause bekommt. Man konnte überhaupt keinen Unterschied zu den anderen Kindern feststellen. Meine Vermutung war mehr, dass es sich hier um einen Kandidaten handelt, der nicht dem japanischen Standard des ruhigen Kindes entspricht und deshalb krank sein muss, aber das ist nur meine laienhafte Einschätzung.
Nach dem Unterricht hatte sich das Wetter gebessert und die Beschäftigung für den Nachmittag war ein Waldorientierungslauf. Ohne Erklärung erhielten die Kinder eine Karte und sollten auf einem Wanderweg Verstecke finden. Dabei sollten die Betreuer nur vorsichtig lenken und nicht zu viel eingreifen. Die Jungengruppe, bestehend aus 8 Jungen im Alter zwischen 7 und 9, erhielt für diese Wanderung Unterstützung durch die Lehrer, da ihre Betreuerin die Kleinen nicht alleine vom Ausbüchsen abhalten konnte. Die drei Stunden Wanderung wurden interessant. Zum einen ist es einfacher, einen Sack Flöhe zu hüten, als acht kleine Jungen. Immer wieder verschwand einer, entweder wurde die Umgebung interessanter als der Weg und man blieb stehen oder man lief schon mal voraus, so dass man sie nicht mehr sehen konnte. Alle hatten zudem Antiinsektenspray dabei und wo unsereins sich einmal damit bespritzt, folgte uns eine Dampfwolke des Sprays. Japanische Kinder lieben es zwar Käfer zu sammeln, in der freien Wildbahn sind diese aber nicht gerne gesehen. Jedes Lebewesen, was zu nah kam, wurde gnadenlos besprüht. Auf der anderen Seite amüsierte mich die Beeinflussung durch die Betreuerin. Sie hatte keinen echten Plan, wo sie eigentlich war und beeinflusste die Jungs dadurch unbeabsichtigt, den falschen Weg zu gehen. Selbst meinen Einführung zum Thema „wie lese ich eine Karte“ ignorierte sie standhaft. Vielmehr versuchte sie eine falsche Art der Demokratie. Die Jungs entschieden, wie es wohl viele in ihrem Alter machen würden: die Lautesten legten fest und die anderen folgten ihrem Führer ins Verderben. Das sollte den Kindern aber nicht beigebracht werden und deshalb wurden sie, obwohl sie bis auf einmal immer den richtigen Weg wählten, zurückgerufen und sollten demokratisch entscheiden. Das führte in diesem Fall aber dazu, dass sie den Erklärungen der Betreuerin zuhörten und daraus schlussfolgerten, dass sie ja auf dem falschen Weg sein müssen. So war die Demokratie nur scheinbar gegeben. Im Endeffekt fanden wir auf jeden Fall gerade einmal die Hälfte der Ziele, obwohl wir wohl alles gefunden hätten, wenn wir den Jungs den Vortritt gelassen hätten. Trotzdem schafften wir es mit allen acht nach Hause, was nach der Wanderung auch schon einem Wunder gleicht.
Als Belohnung für die Kinder wurde im Anschluss gegrillt. Dazu mussten sie nicht einmal selber Feuerholz besorgen, sondern sie erhielten einen Grill mit Kohle und sollten ihr Essen selber grillen. Der YMCA hatte sich dazu nicht lumpen lassen und wirklich gutes Fleisch aufgefahren. Eines der Grillgüter war dabei Nürnberger Bratwurst am Spieß. Leider wurde diese etwas verschwendet. Die Kinder sollten sie alleine braten und fragten die Betreuer nach dem richtigen Zeitpunkt, der auf jeden Fall zu früh angegeben wurde. So haben fast alle rohe Wurst gegessen. In der zweiten Ladung bei meiner Gruppe hat dann der Vegetarier das Braten der Wurst übernommen und siehe da, die Kleinen bestätigten mir überrascht, dass es ja nun ganz anders schmeckte. Gebratenes Fleisch ist wohl doch besser als rohes. Das restliche Fleisch war aber zum Glück bekannt, so dass es von hier an keine Katastrophen mehr gab. Alle Kinder wurden satt, nur der Vegetarier grummelte etwas über den hohen Fleischanteil, hatte aber trotzdem Spaß. Abgeschlossen wurde der Tag dann mit einem Lagerfeuer, wo ein Scheiterhaufen verbrannt wurde und alle Kinder begeistert den Flammen zuschauten.
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