Kostenlose Schokolade

„Hey Reik, kennen Sie eigentlich den japanischen Valentinstag? Da müssen Sie unbedingt da sein, denn es gibt viel Schokolade für die Männer. Das ist einer der wichtigsten Tage hier im Büro für diesen Monat!“ Solch ein Gespräch erwartet man normalerweise zwischen Studenten, aber das „Sie“ zeigt es schon an, es handelt sich um ein Gespräch zwischen meinem Professor und mir, welches ich vor einigen Tagen im Fahrstuhl führte. Diese Vorfreude ist für einen Europäer eventuell etwas schwerer zu verstehen. Hier in Japan wird der „Tag der Liebe“ aber etwas anders begangen, als man das bei uns kennt. Zum Valentinstag wird von den Frauen erwartet, Schokolade für die Herrenwelt zu besorgen. Dabei wird die Schokolade in verschiedene Kategorien eingeordnet. Ein einfacher Kollege oder Mitstudent erhält eine Verpflichtungsschokolade. Diese Schokolade ist meist relativ klein und wird nur aufgrund der sozialen Konventionen besorgt. Im Fall von Studenten fällt es dabei natürlich schwer, genug Schokolade für jeden Anwesenden zu besorgen. Deshalb werden meist Schokoladensets auf dem Tisch zurückgelassen und wer rechtzeitig da ist, bekommt etwas davon. Erwartet wird diese Schokoladenverteilung dabei von allen weiblichen Mitgliedern eines Büros, also auch von den Ausländern. Orsolya, vergesslich wie eh und je, hatte natürlich an diese Konvention nicht gedacht und musste kurzerhand deutschen Lebkuchen, welcher zum Glück noch von Weihnachten übrig war, als Ungarischen verteilen.
Neben dieser Schokolade gibt es dann auch noch die normale Valentinsschokolade. Diese wird besonders gerne selber gemacht und möglichst Pink verpackt. Je mehr Pink bei der Verpackung eingesetzt wird, desto mehr bedeutet einem der Beschenkte. Für uns Männer dagegen ist der Valentinstag ein einziger Schlemmertag. Rückgeschenke werden erst einen Monat später, am 14. März, erwartet. Dabei muss man dann noch nicht mal allen Damen, die dich beschenkt haben, weiße Schokolade überreiche. Nein, es reicht, wenn die Schenkerinnen von echter Valentintagsschokolade bedacht werden. Die Schenkerinnen von Verpflichtungsschokolade bleiben außen vor. Man merkt, bei Frauen ist der Tag weniger beliebt als bei Männern. Das ist ein Umstand, der in Deutschland wohl komplett entgegengesetzt wäre.
In Anbetracht dieser Aussichten entschied ich mich, den Tag schon sehr früh im Büro zu beginnen und mir das Schauspiel genau anzuschauen. Man muss feststellen, dass wir in unserem Lab ein ungleiches Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Mitgliedern haben. Der Frauenanteil ist um einiges höher als der Männeranteil. An diesem Tag sollte es aber umgekehrt sein. Nur wenige Frauen mit Schokolade verirrten sich ins Lab, während alle männlichen Gesichter, auch die, welche seit Wochen nicht anzutreffen waren, den Weg in das Büro fanden. Die Schokolade war dabei sehr reichhaltig. Aber ich musste trotzdem enttäuscht feststellen, dass eine Rieko fehlt, welche mir bei meinem letzten Valentinstag immerhin ein persönliches Stück Schokolade schickte, wenn es auch in Blau verpackt war.
Den Abend verbrachten wir dann in der Innenstadt und besuchten ein japanisch-französisches Restaurant. Dafür, dass dieses Restaurant nach deutschem Vorbild einem Sternerestaurant ähnlich war, waren die Preise angenehm gering. Auch die Verbindung von japanischen Zutaten wie Tofu und Natto mit der traditionellen französischen Küche war schon ziemlich genial. Als erste europäische Ausländer, die dazu noch an Valentinstag vorbeischauten, erzeugten wir aber beim Personal für meinen Geschmack etwas zu viel Aufmerksamkeit. Alle paar Minuten schaute ein Kellner über die Balustrade um zu fragen, ob es schmeckt und wie unsere Meinung zu den Gerichten sei. Der Kellner ging so weit, kurz mit mir Deutsch zu sprechen, wobei seine Sprachkenntnisse nicht weit über das Wort „Scheiße“ hinaus gingen, er hatte aber sichtlich seinen Spaß. Verabschiedet wurden wir mit einem Gutschein für den nächsten Besuch und ein Koch, ein Kellner und der Besitzer entließen uns mit Verbeugungen in den Schnee. Es lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass es trotz der guten japanischen Küche nicht schadet, auch mal andere Sachen zu probieren. Der Schnee aber sollte sich noch zu einem Problem entwickeln….

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