Es ist Wochenende, die perfekte Zeit für Ruhe, Entspannung und längeres Schlafen. Leider machte ich einmal mehr nicht die Rechnung mit der Technik und der Langeweile von japanischen Hausfrauen. Ich erhielt einen Anruf von Yoko vom Hippo Family Club, einer Sprachgruppe, mit der ich schon vor einigen Monaten meine Bekanntschaft gemacht hatte. Sie fragte, ob ich nicht nächste Woche zu ihrem Treffen kommen will. Im Januar hatte ich doch schließlich die Bewerbung eines Mitgliedes für einen Schulaustausch geschrieben. Die Schule des Mädchens fängt jetzt wieder an und sie möchte mir noch Fragen stellen. Da meine Eltern mich hier in einer Woche beehren wollen, ist es eigentlich eine ziemlich blöde Zeit, aber wenn der Austausch bald ansteht, will man ja nicht so sein. Wie sich herausstellte, hatte sich die Welt aber gegen mich verschworen. Orsolya, welche auch eingeladen wurde, wurde spontan krank und eigentlich gab es noch viele andere Sachen zu erledigen, welche viel wichtiger gewesen wären. Da es aber mit dem Absagen zu kurzfristig wurde, entschieden die sichtlich angeschlagene Orsolya und ich, uns trotzdem auf den Weg zu machen.
So ganz geheuer ist mir der Club ja immer noch nicht. Es handelt sich um einen Sprachlernclub, welcher davon ausgeht, dass man mindestens 7 Sprachen auf einmal lernen kann, wenn man die Lernmethoden von kleinen Kindern verwendet und versucht, Worte zu lernen und viele Texte nachzusprechen. Der Spaß soll dabei aber im Vordergrund stehen. Da dieses starke Wiederholen der abstrusen Texte aber etwas absonderlich anmutet, wird der Club von uns auch gerne als Sekte bezeichnet, wenn auch die Idee dahinter nicht schlecht ist, wie sich herausstellen sollte. Zwar ist es das Motiv des Clubs, eine Sprache zu lernen, aber eigentlich geht es wohl darum, dass japanische Hausfrauen die Wohnung zur Abwechslung verlassen und Zeit mit den Kindern und im Idealfall auch mit den Ehemännern verbringen können. Bei den Spielen, welche oftmals an Kindergartenspiele erinnern, haben die sonst stark in festen Regeln und Verhaltensweisen eingebundenen Japaner einmal die Möglichkeit, sich komplett zu entfalten. Normalerweise sieht man ja nicht, dass sich ein japanischer Geschäftsmann im Anzug mit den Kindern auf dem Boden wälzt und ringt oder sie auf seinem Rücken reiten lässt. Wie stark die japanischen Regeln dabei auf den Menschen lasten, konnte man sehr gut an einem Kind sehen. Ein Mädchen, die Tochter der Leiterin Yoko, spielte komplett verrückt. Sie lief, konnte keine Sekunde still sitzen und ließ sich nicht einmal von den Ermahnungen ihrer Eltern aufhalten. Auf unsere Nachfrage berichtete man, dass die Kleine die erste Schulwoche hatte. Unterricht und Schulverpflichtungen bis spät am Abend waren zu viel für sie und ihr Verhalten stellte einfach ihren stillen Protest dar. Was dagegen traurig ist, ist der Umstand, dass man sich trotz bestem Wetter und Beschäftigungen, die bestens für den benachbarten Park geeignet gewesen wären, in einem relativ kleinen Raum ohne offenes Fenster aufhielt, so dass keiner in der Außenwelt das Verhalten kritisieren konnte.
Vom eigentlichen Inhalt des Clubs bin ich aber immer noch nicht überzeugt. Lieder wie „Ich bin ein Nilpferd (Hippo), du bist ein Nilpferd“ finde ich genauso fehl am Platz wie den Umstand, dass die Kids zum Auswendiglernen eine Geschichte über die USA nutzen müssen, welche ins Deutsche übersetzt wurde. Ein wenig Mühe, um Dinge wie American Football durch Fußball zu ersetzen, hätte ruhig sein können. Auch dass bei Anfängern das Wort „Delikatessenfachgeschäft“ verwendet wurde, fand ich schon gewagt. Ich nutzte auf jeden Fall meine Vorbereitungen für den Unterricht, welchen ich in der Uni gebe, und brachte ihnen praktische Sachen bei, wie man sich zum Beispiel vorstellt und richtig die Hand gibt.
Nach der Veranstaltung ging es zusammen mit all den Kindern und mehreren Familien zum örtlichen Spirituosenfachgeschäft um die Ecke, um deutsches Bier und andere alkoholhaltige Getränke und Süßigkeiten für die Kleinen zu kaufen. Ein 3jähriger war von der Sache so überfordert und sein Vater und seine Mutter waren so mit den anderen Kindern beschäftigt, dass er in der Ecke saß und nichts mit sich anfangen konnte. Deshalb freundeten wir uns an und ich musste ihn auf den Schultern durch das Geschäft tragen, auch wenn er mich gegenüber Orsolya in Ermangelung meines Namens einfach einen seltsamen Deutschen nannte.
Anschließend ging es zusammen in drei Autos zur Familie der Schülerin, welche zur Party einlud und dafür groß gekocht hatte. Wie sich herausstellte, war ihre Tochter aber noch da und die Information über ihre Abreise falsch. Wir hätten also alles etwas später machen können. Trotzdem wurde es ein interessanter Abend. Da das gesamte Essen (eine Suppe mit gekochten Paprikaschoten und Fleisch, Lachs mit Rettich und Reis mit Zitrone und Fleisch) ziemlich fleischhaltig wurde, musste ich in unbeobachteten Momenten den Teller mit Orsolya tauschen, man möchte ja nicht die Gastgeber verärgern. Anschließend gaben wir viele Tipps über Deutschland und Orsolya war so beliebt, dass Yuko, die besagte Tochter, sich jetzt unbedingt mit ihr treffen und shoppen gehen will. Aus dem aufgrund Orsolyas Gesundheit geplanten kurzen Aufenthalt wurde es natürlich auch nichts und erst um 23.30 Uhr machten wir uns auf den Heimweg. Natürlich nicht, ohne fast noch einen Eklat zu verursachen. Um ihre Englischkenntnisse zu belegen, rezitierte Yuko uns die Englisch CD des Clubs. Dabei sprach sie so schnell und ohne Betonung, dass wir nichts verstanden. Da man dachte, dass dieses Rezitieren schon gutes Englisch wäre, wurde unser wirklich vorsichtiger Einwurf schon als Kritik am Club ausgelegt und nur mit Engelszungen konnten wir darlegen, dass es ja nicht schlecht war, sondern nur noch besser sein könnte. Auch ansonsten muss ich sagen, dass mir das Auswendiglernen auf die Nerven ging. Im Rahmen ihrer Bewerbung hatte Yuko einen langen Text schreiben müssen, warum sie in Deutschland zur Schule gehen möchte. Die komplette für die Bewerbung geschriebene Begründung wollte sie jetzt auswendig lernen, um sie in Deutschland vortragen zu können, falls sie die gleiche Frage erhält – und ich sollte es ihr für eine Aufnahme vorsprechen. Das Gesicht der deutschen Schüler hätte ich zu gerne gesehen, wenn die junge Japanerin versucht zu erklären, dass die japanische Religion ja Buddhistisch sei und Deutschland in einer christlichen Tradition stehen würde und sie deshalb mit ihren eigenen Augen den Unterschied zwischen diesen religiösen Kulturen sehen möchte. Diese Aussage war dabei noch die am wenigsten Hochtrabende. Kurzentschlossen verfassten wir ihr ein Set von Antworten, welche sie als 15jähriges Mädchen auch wirklich verwenden kann. Auch allgemeine Regeln, dass ihr 4 cm Minirock, mit nicht ganz knielangem durchsichtigen Überrock, eventuell nicht die perfekte Schulkleidung in Deutschland darstellt, sind wir mit ihr durchgegangen.
Es war auf jeden Fall ein lustiger Abend, auch wenn ich befürchte, von Yuko habe ich noch nicht zum letzten Mal berichtet. Das wird noch wirklich lustig. Trotzdem habe ich nach der Feier jetzt einen besseren Eindruck von dem Klub und freue mich schon darauf, mal wieder dort vorbeizukommen.
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