Besuch

Es ist Oktober und Dennis ist schon wieder viel zu lange zurück in Deutschland. Das Ganze ist aber kein Problem, da wir im Gegensatz zum Jahr 2010 alle älter und weiser sind und über bessere finanzielle Voraussetzungen verfügen. Deshalb hatte ich auch die Chance, den nächsten Bekannten aus Deutschland zu treffen. Leider verpasste ich Daniel, der eine Rundreise über Japans südliche Inseln unternahm, worauf ich schon ein wenig neidisch bin. Neben der Rundfahrt mit dem Auto auf Hokkaido, ist diese Tour einer meiner zwei großen Pläne, welche ich in Japan noch habe. Da Daniel aber leider nur kurz Zeit für ein Treffen hatte, schaffte ich es nicht, rechtzeitig nach Tokyo zu kommen. Dafür tauchte Christoph in Sendai auf. Christoph ist ein Mitstudent aus Göttingen, welcher sich dort sehr aktiv im Japantreff einsetzt. Als letztes Jahr, einen Tag vor meiner Abreise, mit Mai eine Bekannte von Masami nach Göttingen kam, verwies Masami Mai an mich. Da ich natürlich nicht einmal annähernd genug Zeit für sie hatte, veranstaltete ich ein Treffen mit Christoph und stellte so eine Verbindung der Beiden als Tandempartner her.

Nachdem Mais Aufenthalt in Göttingen nun vorbei ist, ist sie zurück in Sendai und ich bin wieder für sie verantwortlich. Wie es sich für einen Studenten, der im Ausland gelebt hat, gehört, versucht sie alles in ihrer Macht stehende, um wieder zurück ins Ausland zu gelangen. Ich helfe ihr, ihre Bewerbung für das notwendige Stipendium fertigzustellen. In diesem Rahmen eröffnete sie mir, dass es Christoph letztes Jahr bei seinem Kurzbesuch in Sendai so gefallen hat, dass er eine erneute Reise nach Japan machen wird. Dabei ist auch ein Aufenthalt in Sendai einplant, um uns beide zu besuchen. Diese Reise begann letzte Woche. Das war gerade rechtzeitig zu einem der größten Taifune, die Japan dieses Jahr getroffen haben. Dankbarerweise war es aber nicht so schlimm, wie man sich dies eigentlich vorstellt und Christophs Besuch konnte ungehindert ablaufen. Taifune sind eigentlich nur aufgrund des extremen Regens nervig und auf Anhöhen ist der Wind gefährlich, weshalb zum Beispiel der naturwissenschaftliche Bereich der Uni auf dem Berg abgesperrt wurde. Ich selber hatte nur damit zu kämpfen, dass ich nicht auf die Warnungen meiner Freunde gehört hatte und gerade mit dem Rad und ohne Jacke unterwegs war, als der Regen auf Sendai traf. Die Sachen bekam ich erst nach einigen Tagen trocken, aber sowohl innerstädtischer Verkehr als auch der Zugverkehr blieben bestehen und so konnten wir uns ungehindert mit Christoph treffen.

Wir, das waren Mai, welche super nervös war, ob denn alles klappt, ein Japaner, der ein Jahr in Wien verbracht hat und zu meinem Bedauern den Wiener Dialekt erlernt hat, was sich bei einem Japaner einfach zu seltsam anhört, Masami und ich. Besonders, dass Masami da war, war für mich eine Erleichterung. Christoph wollte natürlich sein Japanisch trainieren, während die Japaner eindeutig ihr Deutsch üben wollten, aber sich nicht trauten, es laut auszusprechen. Da Masami aber schon so verwestlicht ist, dass sie so etwas nicht stört, gelang es uns beiden, zu vermitteln. Auch bei der Restaurantwahl waren wir gefragt, da Mai sich in ihrer Aufregung nicht entscheiden konnte.

Wir fanden ein Akita-Restaurant, welches sich auf Spezialitäten der nordwestlichsten Region der Hauptinsel spezialisiert hat. Das sind vor allem Garnelen, die ich nun so gar nicht esse. Aber es gibt auch Nabe, eine heiße Brühe, in der man am Platz selber essen zubereitet, und spezielle Salate. Das Highlight in der Akita-Region sind die verschiedenen Sake-Varianten. Akita selber ist aber für zwei Dinge besonders berühmt. Zum einen ist das die Tatsache, dass angeblich die schönsten Frauen Japans aus dieser Region stammen. Dies lässt sich auf die Sage von einer Konkubine am japanischen Hof zurückführen, welche perfekt in den Künsten ausgebildet war und dazu den Schönheitsidealen – kleine Nase, weiße Haut und schwarze Augen – entsprochen haben soll. Laut der Sage verdrehte sie allen Männern am Hof den Kopf und der Ruf Akitas verfestigte sich. Aus heutiger Sicht kommt noch das „Wilde“ dazu. Während Japaner von Frauen erwarten, dass sie zurückhaltend und zuvorkommend sein sollen, heißt es über Frauen aus Akita, dass sie „Mannsweiber“ sind, welche sich nichts gefallen lassen und sehr dominant auftreten. Das ist ein exotisches Merkmal für Japaner, was sie interessant erscheinen lässt. Auf der anderen Seite ist es die Sagenwelt, welche Akita besonders erscheinen lässt. Die meisten der japanischen Monsterbilder stammen aus Akita. Besonders sei das teuflische Weib, die sogenannte Onibaba, genannt. Aber auch eine ganze Reihe anderer Monstersagen haben ihren Ursprung in Akita.

Um dies zu würdigen, waren die Abteile in unserem Restaurant so designt, als ob wir uns in kleinen Hütten befanden. Zu einer gewissen Uhrzeit wurde das Licht ausgeschaltet und gespenstische Geräusche, unterlegt mit den Warnungen der Onibaba, abgespielt. Interessanterweise wirkte diese Untermalung auf alle unterschiedlich. Christoph machte die Kamera bereit, der andere Japaner berichtete uns im Detail über die Sage und Masami ignorierte gekonnt alles. Nur Mai war aus unerfindlichen Gründen richtig nervös und erschrak bei jedem Geräusch. Nach zehn Minuten war es dann so weit, es gab einen lauten Schlag gegen die Tür und ein „Dämon“ stand auf einmal in unserer Tür. Er drohte uns und Mai versteckte sich immer mehr vor der Person mit einem Kostüm aus viel Gestrüpp, durch das sie höher aussah, und mit einem Holzschwert. Masami, die immer noch mehr mit dem Essen als mit dem Dämon beschäftigt war, wollte er sogar mitnehmen. Da hatte er aber nicht mit der jungen Dame gerechnet! Mitnehmen geht nicht so einfach, er muss sich laut seiner eigenen Sage einem Zweikampf stellen. Deshalb forderte Masami den deutschen „Dämonen“ auf, doch bitte diese Rolle einzunehmen. Na ja, so ein 1,80 Meter großes Kostüm mag zwar bei den maximal 1,70 Meter großen Japanern Respekt verursachen, als meine gesammelten 1,94 Meter vor ihm standen, wirkte unser Gast auf einmal gar nicht mehr so erschreckend. Masami durfte bleiben und ich erhielt das Angebot, doch ab jetzt in diesem Restaurant die Rolle des Dämons zu übernehmen, denn ich wäre perfekt für die Rolle geeignet.

Tja, so kommt es halt. 2010 wurde ich ausländischer Teufel gerufen, jetzt habe ich Jobangebote als Dämon, vielleicht ist ja doch etwas dran. Wir hatten auf jeden Fall eine gute Zeit im Restaurant und es war schön, mal wieder Neuigkeiten aus Deutschland zu hören. Mal schauen, wer es sonst noch so nach Japan schafft, ich kann nur betonen, dass es sich lohnt, wie all meine bisherigen Gäste bestätigen können.

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