Wer kennt das als Student nicht: Der Unterricht wird länger und länger, während ein Professor mal wieder über die Unterschiede von Schuhleistenkeilen schwadroniert. Geschlafen hat man natürlich ebenfalls nicht genug und eigentlich wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt, um diesen Schlaf nachzuholen oder um mit dem Handy etwas zu surfen. Der Professor an der Tafel wird es schon nicht bemerken, schließlich haben wir alle Tricks drauf und wissen, mit solchen Situationen umzugehen. Soweit die normale Einschätzung von Studenten und natürlich auch zu Schulzeiten im täglichen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Lehrkräften und Schülern.
Tja, leider sieht die Lehrkraft halt eigentlich doch alles und man muss von Glück reden, wenn diese aus Freundlichkeit oder Ignoranz nicht reagiert. In meinem Deutschkurs mache ich auch immer wieder die Entdeckung, dass die Studenten denken, ich kenne die Tricks nicht. Besonders betraf das eine Studentin, welche der Meinung war, sie könne die Aufforderung, die letzte Reihe zu räumen und sich nach vorne zu setzen, umgehen, indem sie sich hinter einem großen und breiten Japaner versteckt. Leider hatte sie die Rechung ohne mich und meine Körpergröße gemacht. Bei der Professorin mit ihren 1,60 m hätte es wohl geklappt. Mehr verwunderte mich aber die Gelassenheit, mit der japanische Professoren in solchen Situationen mit den Studenten umgehen. Ich würde einfach aus Prinzip die schlafenden Studenten rannehmen, um von ihnen auf diese Weise eine Besserung zu erzwingen. Dagegen werden hierzulande die Studenten noch entschuldigt. Sie müssen ja so hart arbeiten und deshalb müsse man da auch Rückssicht nehmen. Als jemand, der die japanische Arbeitsweise an der Uni kennt, fand ich die Einschätzung schon fragwürdig, aber am Mittwoch konnte ich am eigenen Leib erfahren, wie hier in Japan gearbeitet wird:
Nach einem langen Tag mit Arbeiten und Forschen entschied ich mich um 8.00 Uhr, doch einmal nach Hause zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt erschienen Norihiro und Shimizu im Lab. Besonders Norihiro sehe ich in letzter Zeit fast gar nicht und immer wieder erklärt mir Shimizu, der im Lab zu wohnen scheint, dass Norihiro doch täglich da wäre. In der Nacht sollte ich dann erfahren, dass dem wirklich so ist. Es handelt sich nur um etwas andere Arbeitszeiten. In Vorbereitung auf das DFB Pokalspiel am selben Tag um drei Uhr morgens, musste ich feststellen, dass mein Tab, auf dem ich Ticker lesen wollte, zu Hause nicht auffindbar war. Zum Glück habe ich ja wieder ein Fahrrad und zur Uni ist es nicht weit. So ging es um 1.30 Uhr noch einmal schnell los. Entgegen der Erwartung, fand ich aber keine Universität vor, welche komplett verlassen war, sondern überall war noch Licht an. So fand ich also um 1.30 Uhr Shimizu und Norihiro in unserem Lab sitzend vor und sie waren in die Sagen von Troja vertieft. Kein Wunder, dass ich Norihiro nie treffe, wenn er sich zur Geisterstunde im Lab aufhält! Es ist wohl einfach so, dass Japaner zwar sehr arbeitsam sind, aber sich auch leicht ablenken lassen. Anstatt einfach durchzuarbeiten, gibt es immer Kleinigkeiten, die wichtiger sind und aus diesem Grund braucht alles halt ein wenig länger. In diesem Fall ging es um das Lesen und Übersetzen der Sagen, welches die Beiden für einen freiwilligen Literaturzirkel bearbeiten müssen. Dabei wird von einer griechischen Sage in Versform eine Grammatikanalyse vorgenommen, was ich persönlich eigentlich relativ sinnlos finde. Aber jedem das Seine! Im Endeffekt konnte ich die Beiden nicht leiden sehen und half ihnen noch ein wenig, eh es zum Spiel nach Hause ging. In Zukunft werde ich wohl etwas mehr Verständnis für meine Studenten zeigen müssen, wenn diese ebenso Nachtschichten übernehmen, wie es bei den Beiden der Fall war.
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