Ein Tag am „Meer”

Es gibt Orte in Sendai, die haben eine spezielle Bedeutung für mich. Einer der wichtigsten Punkte ist wohl ein kleiner Küstenabschnitt am Meer, an dem ich im Jahr 2010 so einige Stunden verbracht habe. Leider sagt die Standortbestimmung schon einiges aus. Er liegt halt am Meer und damit an dem Ort, der am meisten vom Erdbeben 2011 betroffen war. Schon vor zwei Jahren machte ich mich deshalb auf die Spurensuche, um herauszubekommen, wie es um meinen Lieblingsort steht. Damals konnte ich leider nur die Zerstörung der ganzen Umgebung feststellen und nicht einmal in die Nähe des Küstenabschnittes gelangen. Aus Erinnerung an diesen Fehlschlag hatte ich es bis dato auch noch nicht wieder versucht, besonders, da ich ja nun auch für über vier Monate kein Fahrrad zur Verfügung hatte und das eben jene Monate waren, wo das Wetter mitgespielt hätte.

Jetzt habe ich aber wieder ein Rad und SendaiMeer_04das Wetter ist trotz all der Winterjacken und Handschuhe der Japaner noch sehr gut. Mal ernsthaft, muss man wirklich bei 15 bis 20 Grad rumlaufen, als ob der Winter eingebrochen ist? Auf jeden Fall ging es heute für mich zum Meer und es sollte eine interessante Tour werden. Das erste Problem, was sich mir stellte, war, überhaupt den Weg zu finden. Seit 2012 hat sich einiges geändert und besonders in der näheren Umgebung des Meeres sind sogar wieder vereinzelte Häuser zu finden. Die Landmarken von früher sind aber allesamt nicht mehr auffindbar und wenn man ein Bild von früher im Kopf hat, ist das schon deprimierend. So verfuhr ich mich erst einmal, bis ich es kurz vor dem SendaiMeer_02Einbruch der Dunkelheit doch noch zur Fabrik neben dem Strand schaffte. Der Strand selber ist aber im Moment gar nicht betretbar und von der Fabrik aus konnte man sehen, dass er vermutlich gar nicht mehr existiert. Mehrere Schichten an Wellenbrechern stehen jetzt da, wo ich früher noch schwimmen war, beziehungsweise die erste Sonne 2011 gesehen habe.

SendaiMeer_01Schockierender war aber die Fabrik. Wenn man Japan bereist, merkt man zwar noch die Resultate des Erdbebens, aber nur sehr gefiltert. Einige Stationen des Zuges sind noch nicht in Betrieb, was auf die komplette Auslöschung ihres dazugehörigen Ortes zurückzuführen ist. Andersorts zeugen nur Gedenktafeln von der Tragödie, die Japan im Jahr 2011 getroffen hat. Der Flughafen von Sendai war zum Beispiel mehrere Meter unter Wasser, heute zeugt aber nur eine Marke über die Höhe des Wassers davon, der Rest wurde wieder hergestellt. Was nicht wiederhergestellt wurde, sind dagegen die Wohnviertel neben dem Flughafen, welche nur Leute vermissen, die die Gegend vorher kannten. An der Fabrik ist es aber anders. Zwar wird dort auch gebaut, die Schäden sind aber noch zu finden. Man kann sich erst vorstellen, was für eine Kraft auf das Land getroffen sein muss, SendaiMeer_03wenn man die dicken Eisenstützpfeiler des Gebäudes sieht, welche einfach wie Streichhölzer nach außen gedrückt wurden. Betrachtet man dann noch die Arbeitszeiten von Japanern und das Innere der Lobby, so kann man nur hoffen, dass möglichst wenige Leute gerade dort waren. Ein wirklich gruseliger Gedanke, was dort am 11.03.2011 passiert ist.

Nach meiner Ankunft wurde es aber leider dunkel und ich war gezwungen, mich in der Nacht auf den Rückweg zu machen. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, musste ich doch nur geradeaus fahren. Leider nervte man mich auf der Straße, auf der ich fuhr, so dass ich notgedrungen auf dem Gehweg fahren musste. Im Dunkeln konnte man kaum die Straße erkennen, was sich für mich als goldrichtig erwies. So erkannte ich rechtzeitig ein Loch im Weg, um noch ausweichen zu können, nur um bei diesem Manöver in ein nächstes Loch zu geraten, was mich seitlich überkippen ließ. Nicht auszudenken, was bei einer höheren Geschwindigkeit oder beim Fallen auf die andere Seite passieren hätte können! So hatte ich nur einen schmerzenden Arm und eine Schürfwunde am anderen Arm. Das Fahrrad hatte es dankbarerweise bis auf ein paar Kratzer an der Gangschaltung komplett überstanden. So rettete ich mich bis zu einer großen Baustelle, wo ich einige Bauarbeiter fand, die mich verbanden. So konnte ich mich auf den eine Stunde langen Rückweg machen.

Ich konnte meinen linken Arm, auf den das Rad gefallen war, nicht mehr richtig anwinkeln. Deshalb beschloss ich, noch einen kurzen Besuch in der Notfallaufnahme des Krankenhauses zu machen. Diese hat ihren Namen wirklich verdient. Ich erschien sichtlich mit Wunden, welche noch deutlicher sichtbar waren, da der Verband der Bauarbeiter nicht auf eine Stunde Radfahren ausgelegt war und für dreißig Minuten passierte erst einmal nichts. Dann schaffte es immerhin eine Schwester mal zu fragen, was ich denn überhaupt habe. In diesem Moment erschien dann auch Orsolya und als man feststellte, dass wir ja doch Japanisch können, zeigte sich die Erleichterung und man kümmerte sich langsam um mich. Die Qualität war dabei interessant. So wurde meine offensichtlich noch leicht blutende und etwas dreckige Schürfwunde als letztes behandelt, nachdem ich das Röntgen über mich ergehen lassen musste. Ich hätte es wohl andersherum gemacht. Immerhin waren die Ärzte nett. Im Endeffekt war es aber, wie ich schon vermutet habe, nichts Ernstes und in ein paar Tagen soll ich, und besonders der nur unter Schmerzen bewegbare Arm, wieder fit sein. Dann kann es ja bald zur nächsten Tour gehen! Mich ärgern die Kratzer auf der Gangschaltung eh viel mehr als die Wunde am Arm, die schon verheilen wird. Vom Radfahren hält mich das auf jeden Fall nicht ab, maximal werde ich auf dunklen Straßen noch mehr achtgeben.

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