Ich gebe es ungern zu, aber mein Leben in Sendai hat sich in den letzten Monaten verändert. Niemand hier im Büro spricht wirklich darüber, aber mein alter Kumpel Shimizu ist einfach das Herz des Studienganges. Vor einem halben Jahr wurde ich die meiste Zeit hier entweder ignoriert, oder ein paar Studenten gaben auch schon aus Angst vor mir den PC auf, denn ich könnte ihn ja nutzen wollen, obwohl ich einfach nur in den Raum kam. Es wäre ja kompliziert gewesen, sich mit mir auseinanderzusetzen und zu kommunizieren. Seit Shimizu wieder da ist, hat sich das stark geändert. Wir sprechen alle mehr miteinander und es hat sich ein echtes Gruppengefühl entwickelt. Auf der anderen Seite sehen die Studenten jetzt auch den Vorteil eines Deutschen im Büro und kommen schon mal mit Fragen zu mir, die ich zu gerne beantworte. Bei einer dieser Fragen erfuhr ich auch diese Geschichte, die ich euch nicht vorenthalten will:
Shimizu besucht einen Tagebuchkurs. Diesen hat er schon vor Jahren besucht und ich habe ihm bei besonders komplizierten Formulierungen immer mal geholfen. So war es auch dieses Mal. Sein Tagebucheintrag betraf eine Geschichte seines Europaaufenthaltes, welche er mir bisher noch nicht erzählt hatte. Im Gegensatz zu anderen Japanern hielt sich Shimizu bei diesem Aufenthalt an meine Aufforderung, viel zu reisen, und kam so sehr viel in Europa herum. Eine dieser Reisen führte ihn im Alleingang von Istanbul nach Athen und um diese Reise soll es hier gehen.
Es war Shimizus letzter Tag in Istanbul und bisher hatte er die Stadt bis auf sein Hotelzimmer, welches er als Absteige benennt, genossen. Am letzten Tag sollte es am Abend weiter nach Athen gehen. Aus diesem Grund wollte er sich nicht zu weit weg von seinem Hotel bewegen. Kurzerhand erkundete er die Umgebung einer Moschee in der Nähe, natürlich war das ein Touristenspot. Mit seinem auffälligen Hemd und allgemein als Alleinreisender stach er natürlich aus der Menge heraus und ein Ausländer suchte das Gespräch mit ihm. Ob er denn nicht kurz ein Foto machen könne. Hilfsbereit und vertrauenswürdig, wie es nur Japaner seien können, willigte er ein und ließ sich in ein Gespräch verwickeln. Sein Gegenüber sei aus Abu Dhabi und reise alleine, was ziemlich langweilig sei, ob Shimizu nicht als Dank für das Foto bereit wäre, mit ihm einen Cafe zu trinken. Begeistert von der neuen Bekanntschaft und von einigen Komplimenten an seinem ziemlich seltsamen Hemd, willigte er ein und ließ sich in eine Kneipe in den Gassen Istanbuls führen. Schnell wurde ihm klar, dass hier etwas nicht stimmt. Das Bier, welches serviert wurde, war das Schlechteste, was er jemals getrunken hatte. Aber auch ansonsten wurde es nicht besser. Der Araber versuchte, ihn mit einem Redeschwall in der Bar zu halten und ein paar einheimische Damen gesellten sich zu ihnen an den Tisch und versuchten, Getränke von dem reichen Japaner ausgegeben zu bekommen. Langsam kam selbst Shimizu auf die Idee, dass er in eine Falle geraten war. Jetzt war guter Rat teuer. Geistesgegenwärtig verabschiedete er sich auf die Toilette und versteckte sein Geld in den Ärmeln des Hemdes, welches der Fremde vor kurzen noch so gelobt hatte. So gewappnet bereitete er sich vor, das Etablissement zu verlassen.
Wie erwartet, sollte es aber nicht so leicht werden. Die Einladung war aufgehoben und der Barkeeper verlangte über 100 Euro. Ein Glück, dass Shimizu nur 10 Euro bei sich hatte! Dies führte zu Beschimpfungen und der Aufforderung, dass Shimizu einen Vertrag unterschreiben musste, dass er alles Geld abgeben würde, welches man bei ihm finden würde. Erst nach einer Durchsuchung sollte er gehen dürfen. Zu allem Überfluss konnte dazu niemand gut genug Englisch, so dass Shimizu sein eigenes Erpressungsschreiben anfertigen musste. Er hatte aber Glück im Unglück: Nach einer Durchsuchung seiner Schuhe ließ man von ihm ab und er durfte mit dem Geld im Ärmel den Laden verlassen. Die Sonne erschien ihm auf einmal noch heller als sonst und er beeilte sich, Istanbul so schnell wie möglich zu verlassen.
Die Geschichte zeigt einen Punkt an Japanern, der mir immer wieder auffällt. Besonders die jungen Japaner werden hierzulande so lange behütet und von der Welt abgeschirmt, dass viele von ihnen nicht das Schlechte im Menschen sehen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass Norihiro in einem zweiwöchigen Urlaub viermal in einem Park beziehungsweise im Bahnhof übernachtet hat oder Shimizu halt solche Dinge passieren. Hier in Japan ist das alles kein Problem. Um so leichter ist es dann für Schwindler, in Japan die Unbedarftheit der Japaner auszunutzen. So gibt es immer wieder die abstrusesten Erpressungsgeschichten, wo Japaner, obwohl sie nichts getan haben, lieber bezahlen, als ihr Gesicht zu verlieren und zur Polizei zu gehen. Wenn ihr also in Europa auf Japaner stoßt, die Hilfe brauchen, dann helft ihnen! Nicht, dass sie auf Leute stoßen, die es schlecht mit ihnen meinen.
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