Zeiten ändern sich

Ende 2010, wann immer ich ein Problem hatte, wusste ich, ich brauche nur in das Kenkyushitsu gehen und die Lösung sitzt schon bereit. Für offizielle Dokumente war Kawamura-san immer zur Stelle. Der Sekretär verfügte über sehr gute Deutschkenntnisse, eine sehr soziale Ader und versprühte einen Charme, der es ihm erlaubte, sehr gut mit den Studenten umzugehen. Jeder wusste, gibt es ein Problem steht Kawamura bereit und sei es aus einer Postbox einen Computer zu bauen, er konnte es. War er mal nicht zur Stelle, gab es da noch meinen Tutor Shimizu, der 24 Stunden im Lab zu sitzen schien und sowieso für jeden Spaß zu haben war. Und dann gab es immer noch das Ass im Ärmel in Form von Rieko, die gegen ein Stück Schokolade förmlich als meine Sekretärin zu arbeiten schien.

Kehren wir zurück in das Jetzt, dann hat sich die Situation gewandelt. Kawamura ist mittlerweile ein Professor in  Morioka, Shimizu in Wien Student und Rieko genießt das Leben als Mutter in Akita. Nur ein Punkt hat sich seit damals nicht geändert und zwar, dass ich immer noch einen Haufen Probleme habe, die es zu lösen gilt. Das Rückspiel bei der Bank erwies sich als sehr einfach. Am Morgen verbrachte ich etwa 45 Minuten dort, bis das Bankbuch geändert wurde und der Hinweis kam, dass ich meine Karte einfach mit dem falschen Namen nutzen soll. Man stelle sich das Bild in Deutschland vor, wenn eine falsche Bankkarte herausgegeben würde. Gut, die Karte ist nur zum Abheben gedacht, aber selbst dann hätte ich erwartet, eine neue Karte zu bekommen. Wie soll man bitte bei Nachfragen belegen, dass man berechtigt ist, die Karte zu nutzen? Die meiste Zeit des Wartens in der Post verbrachte ich aber damit, Kinder zu unterhalten. Zwar sind japanische Postfilialen modern und verfügen über Spielzeug und Lesebücher für Kinder, die Eltern sind aber doch immer beschäftigt. So fing neben mir ein Kind im Kinderwagen an zu weinen und jedes Mal, wenn ich mich kurz mit ihm beschäftigte, hörte es auf. Besser war aber eine grobgeschätzte 5 jährige, die sich neben mich setzte und lautstark verlangte, ich solle ihr doch bitte vorlesen. Man stelle sich mal vor, ein Land, in dem viele Erwachsene sich in die Hosen machen, wenn sie einen Ausländer nur sehen und die Kinder stürmen auf einen los und wollen unterhalten werden. Diese Abschottung in den Köpfen der Japaner scheint also erst in der Schule antrainiert zu werden, wie es meine Begegnungen mit jungen Japanern zeigen.

Auf jeden Fall war ein Problem beseitigt. Nun wollte die Verwaltung nur noch einen Zettel haben, in dem mein Forschungsziel  auf Japanisch erklärt werden sollte. So weit – so klar, außer dass ich den Zettel nicht so wirklich verstand. Nun gut, Probleme sind dafür da, gelöst zu werden. Also ging ich ins Kenkyoshitzu, es wird sich schon jemand finden, welcher mir helfen kann. Weit gefehlt!  Erste Ansprechperson war die neue Sekretärin. Diese unterscheidet sich schon in ihrer ruhigen Art und der Abschottung durch Trennwände von den Studenten sehr stark von Kawamura. Noch schlimmer war ihr Abwiegeln. Ich zeigte ihr mein Schreiben und sie stellte nur lapidar fest, sie habe keine Ahnung und ich solle doch gefälligst jemanden anderes fragen. Eventuell wisse die Verwaltung ja mehr. Diese Antwort hatte ich nicht erwartet, also Versuch Nummer 2: Eine junge Studentin saß bereit und ich hielt ihr mein Schreiben unter die Nase. Sie wusste zwar auch nicht wirklich, was gefordert war, übersetzt mit mir zusammen aber die einzelnen Teile, bis zur eigentlichen Beschreibung des Projekts. Das sei doch etwas für die Sekretärin und kurzerhand fragte sie diese erneut, nur um wieder abgewiegelt zu werden. Als ich mich schon langsam fragte, wie ich nur an diesen Teil käme und immer noch eine Standpauke der Sekretärin erhielt, öffnete sich die Tür und vor mir stand die Rettung. Professor Morimoto war aus Yokohama zurückgekommen.  Seine Nachfrage, wie lange ich schon in Japan sei, war in Anbetracht der Tatsache, dass er den Flug organisierte hatte, zwar etwas seltsam, aber er nahm sich gleich meines Problems  an und löste es selber. Auch die Sekretärin erhielt erst einmal den Hinweis, dass ich jetzt Student dieses Kenyoshitsus sei und sie sich um mich kümmern soll. Widerwillig sagte sie zu. So ging es in die Verwaltung, welche höchst erfreut war, alle Unterlagen so stressfrei und schnell zu haben. Studenten, die sich um sich selbst kümmern, sind ihnen doch am liebsten. Bei meiner Rückkehr ins Kenkyoshitzu stand mir dann auch schon die nächste freudige Überraschung bevor. Norihiro war endlich da! Norihiro, Shimizus bester Freund, und teilweise mein Schützling bei seinem einjährigen Göttingenaufenthalt begrüßte mich gleich überschwänglich und auf Deutsch, sehr zur Überraschung der anderen, die ihn nicht so kennen. Mit ihm und Morimoto, welchen ich jetzt schon mehr gesehen habe, als im ganzen Jahr 2010 zusammen, sollte es kein Problem werden, alle Hürden zu überstehen und mir einen neuen Kern an Studenten aufzubauen, mit denen es Spaß macht, im Kenkyushitsu nicht nur zu forschen, sondern auch den Alltag zu verbringen.

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