Eine schöne Sache an Auslandsaufenthalten ist die Tatsache, dass man am eigenen Leib die verschiedenen Weltanschauungen erlebt, welche je nach Kultur auftreten. So sieht es auch im Moment aus. Orsolya hat im Laufe der Jahre viele Freunde kennengelernt. Viele davon kenne ich ebenfalls schon eine ganze Weile. Aufgrund ihrer Kochkünste waren deshalb Besuche bei ihr auch an der Tagesordnung, aber dies hat sich von einem zum anderen Tag geändert. Der erste Fall war Fumiyo. Fumiyo, eine Mitte dreißigjährige Japanerin, deren genauere Lebensumstände niemand so wirklich kennt, hat nur ein Hobby: Sie verbringt gern Zeit mit Ausländern, besonders gerne mit Nordeuropäern. Mir persönlich erschien sie schon immer etwas seltsam, da man über sie nie etwas erfährt, aber sie im Gegenzug über alle Ausländer in Sendai bestens Bescheid weiß. Im Gegensatz dazu wird Orsolya zwar nicht gerade schlauer aus ihr, ist in diesem Zusammenhang aber toleranter und trifft sich regelmäßig mit ihr, gerne auch zum Kochen in unserer WG hier. Als klar wurde, dass ich es schaffe, nach Japan zu kommen, trat Fumiyo nun mit einer etwas seltsam erscheinenden Bitte an sie heran. Könne sie nicht noch einmal vorbei kommen vor meiner Ankunft und am besten bei ihr übernachten? Auf die Frage, warum unbedingt davor, gab es nur die Antwort, na ja, danach ist doch Reik da. Was man als persönliche und auch vollkommen vertretbare Angst oder Respekt vor mir sehen könnte, erwies sich am Samstag dann als japanische Kultur.
Den Samstag verbrachte Orsolya als Lehrerin. Da ich persönlich nicht so viel zu tun hatte, verbrachte ich etwas Zeit in der Innenstadt und besuchte dann die MafuMafu Sprachschule. Seit meinen Tagen als Englischlehrer beim Kidscamp bin ich dort bekannt und gern gesehener Gast. Nach einigen Gesprächen und dem sachten Hinweis, dass Japaner eventuell nicht ein Buch lesen wollen, welches in ihrer Bibliothek liegt und den Titel „Warum Japaner nerven“ trägt, wurde ich kurzerhand zu einer Geburtstagsfeier einer der Angestellten am Abend im Cafe eingeladen. Zuvor blieb aber an mir die ehrenvolle Aufgabe des Unterrichtens hängen. Eine Gruppe von Studenten hatte Konversationsunterricht und hatte explizit gefragt, ob ich nicht mal kurz mit ihnen sprechen könnte. Kurz war es natürlich nicht, was jedem, der mich kennt, bekannt vorkommen dürfte. Wir sprachen über Gott und die Welt und besonders als ich über meine Doktorarbeit befragt wurde, hielt ich einen kürzeren Monolog, der dazu führte, dass die Japaner freiwillig auf ihre Pause zwischen den Stunden verzichteten und mich mit immer neuen Nachfragen malträtierten. Am Abend war es dann soweit, der Einzug ins MafuMafu Cafe, meiner alten Heimat, für die Geburtstagsfeier stand an. Ich fühlte mich zwar leicht fehl am Platz, kam aber mit einem der führenden Köpfe der Sprachschule ins Gespräch. Wenn ich möchte, könnte ich wohl Kinder unterrichten. Interessanter war aber der Teil über das Cafe. Es schließt! Eine Welt brach für mich zusammen. Das Cafe, in dem ich unzählige schöne Stunden verbrachte, wird geschlossen und neu ausgerichtet, weil es sich nicht rechnet. Kein Wunder, seit Thomas weg ist, sind die Öffnungszeiten nur noch zwei Tage in der Woche und die Preise des Cafés sind für ein heruntergefahrenes Sortiment zu gering. Seit dieser Situation bleiben besonders die japanischen Gäste weg und es rechnet sich nicht mehr. Ich legte gleich mündlich Verbesserungsvorschläge ein, welche man dem obersten Chef mitteilen wolle und meine Chancen, falls es zu der vom obersten Chef angedachten Neuausrichtung kommt, einen Platz als Kellner zu bekommen, sind sehr gut. Leider wäre das wohl erst im nächsten Frühjahr der Fall.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Als das Geburtstagskind sich verabschiedete, sie ist jetzt 26 Jahre alt und lebt noch bei den Eltern und musste deswegen bald nach Hause, wurde von Orsolya das Angebot unterbreitet, man könne ja mal zusammen kochen. Quittiert wurde dies durch eine Nachfrage ihrerseits, ob dies denn überhaupt möglich wäre, da ich jetzt da sei. Es liegt also offensichtlich nicht an meiner Art, die sie nicht wirklich kennenlernen konnte. Angestachelt durch diese Erkenntnis fragte ich in meinem Lab nach und es stimmt wirklich, normalerweise ist es sowieso unüblich, jemanden zuhause zu besuchen. Nun, da ich aber auch in dieser WG lebe, ist die Gefahr, die Ruhe des Hauses zu stören, natürlich noch größer und ein normaler Japaner überlegt sich zweimal, ob er noch zu Besuch kommen kann. Die Aussage, dass die Einladung ja von uns beiden käme und dass dies für Europa total normal sei, wurde mit großen Augen und einem „ohhhh, Europa ist so komisch“ quittiert.
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