Es sollte ein ganz normaler Arbeitstag in Sendai werden. Früh aufstehen, ins Büro gehen und dann lange arbeiten, eigentlich also wie immer. Letzte Woche wurden meine Pläne aber schnell umgestoßen, dabei fing der Tag ganz normal an. Aber von vorne:
Mein Kenkyushitsu verfügt über drei Kommilitonen, welche für mich als Ansprechpartner für wirklich interessante Gespräche zur Verfügung stehen. Zum einen wäre da natürlich Shimizu zu nennen, welcher noch für sechs Monate Wien unsicher machen wird. Zum anderen gibt es noch Norihiro, welcher immer gut als Gesellschaft geeignet ist, aber leider eine sehr hohe Arbeitsmoral hat und aus diesem Grund kaum Freiheit. Die dritte Person im Bunde ist Kei. Kei ist eine junge Japanerin, welche schon zwei Jahre im Rahmen von Austauschprogrammen in Deutschland gelebt hat. Leider fand ihr letzter Austausch dabei in den letzten 12 Monaten statt, weshalb ich seit meiner Ankunft eigentlich nur Norihiro hatte. Dies ändert sich nun. Ihr Austausch ist beendet und ich schaffte es natürlich, ihr an ihrem ersten Tag gleich auf dem Weg in die Universität zu begegnen. Nach einem langen Kaffeegespräch lud sie mich ein, doch ihren alten Tandempartner aus Heidelberg zu treffen. Ein Angebot wie dieses kann ich natürlich unmöglich ausschlagen. Mit Robin traf ich erst den dritten deutschsprachigen Studenten seit meiner Ankunft im letzten Jahr und es entstand das längste Gespräch mit einem deutschen Studenten.
Da die Frage immer wieder aufkommt muss ich gleich sagen, dass ich nicht so etwas wie Heimweh empfinde. Natürlich vermisse ich manchmal Sachen und Menschen aus Deutschland. Ich würde natürlich auch nicht abgeneigt sein, einem Spiel des ruhmreichen 1. FC Magdeburg beizuwohnen. Aber ich empfand in Deutschland ein größeres Fernweh als hier in Japan Heimweh. Im Endeffekt ist Sendai auch schon meine zweite Heimat geworden, mehr als es Göttingen je sein könnte, da es auch von der Größe näher an meinen Vorstellungen liegt. Trotz dieser Umstände und der Tatsache, dass ich fließend Englisch spreche, war es trotzdem angenehm, mal wieder in der eigenen Sprache zu sprechen und jemanden gegenüber stehen zu haben, der den gleichen kulturellen Hintergrund hat. Einzig die obligatorisch erste Frage, in welchem Programm ich hier sei, fand ich immer noch fehl am Platz. Bei meinem ersten Aufenthalt hier in Sendai haben wir uns als Vertreter einer Uni vorgestellt, um gewisse Voreinordnungen vornehmen zu können. Dieses System finde ich persönlich immer noch viel besser, als die Gruppierung nach dem Programm, in dem ich die Universität besuche. Die Mentalität, nur mit den Leuten aus dem eigenen Programm näher zu kommunizieren, scheint aber neuerdings hier stark vertreten zu sein.
So verbrachten wir den halben Tag miteinander und das Arbeiten kam etwas zu kurz. Aber es muss ja auch solche Tage geben. Er zeigte sich sehr beeindruckt von unserem Lab und meine Tutorin, welche seit Wochen nicht mehr ihren Tutorpflichten nachgekommen ist, nutzte gleich die Möglichkeit, mit ihm zu flirten. Ein Freund von Shimizu wusste gar nicht wie ihm geschah, als Robin in das Lab kam und meine Tutorin ihn gleich zusammenfaltete, er soll doch gefälligst schnell Tee machen. Aus Solidarität stellte ich mich zu ihm und wir kamen in ein kurzes Gespräch, wonach er auf einmal mein Tutor für das nächste Semester werden möchte. Es freut mich ja, beliebt zu sein. Aber ich muss unbedingt mit Herrn Professor Morimoto sprechen, nicht dass der arme Norihiro schon wieder übergangen wird.
So vergingen die Stunden in Erzählungen über Deutschland und Lästereien über Japan, bis sich Kei und Robin verabschiedeten. Nun endlich, so dachte ich jedenfalls, könnte ich mit dem Arbeiten anfangen. Eine Fehleinschätzung, wie mir der anschließende Feueralarm zeigte. Wie sich herausstellte, sollten die Aufnahmetests für die Uni stattfinden und das Gebäude sollte in Anbetracht der vorlesungsfreien Zeit dafür geräumt werden. Wie immer hatte mich natürlich niemand gewarnt und so verbrachte ich auch noch die nächsten Tage damit, am Morgen vor der Tür des Gebäudes zu stehen, nur um festzustellen, dass immer noch geprüft wurde. Besonders ins Auge fielen dabei die Eltern, welche bei Minusgraden vor der Tür warteten, nur um dem Kind bei einer Pause noch einmal die wichtigsten Fakten um die Ohren zu hauen.
So wurde aus meinem vollen Arbeitstag, einige Stunden Deutsch reden und im Anschluss eine Zwangspause im Verbund mit Bibliotheksarbeiten, aufgrund der Prüfungen. Trotzdem hat es sich gelohnt und ich freue mich Kei, wieder im Lab zu haben, besonders, da Masami, eine weitere Bezugsperson hier im Gebäude, wohl auch bald Sendai verlassen wird.
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