Dontosai

Es ist früher Montagmorgen und nach einigen Tagen in Tokyo freue ich mich, endlich mal wieder das Büro zu betreten. Immerhin gibt es einiges zu besprechen und das erste Mal meine Kommilitonen im neuen Jahr zu treffen. Eigentlich hätte es mir schon von vornherein komisch vorkommen müssen: Die Straßen sind relativ leer, keine Busse zu sehen und die Polizei fährt verdächtig viele Streifen, irgend etwas konnte nicht richtig sein. An der Uni kam dann die Erleuchtung: Es ist Feiertag. Anfang Januar feiern die Japaner am Sonntag den Übertritt ihrer Kinder ins Erwachsenenalter. Zu diesem Zweck geht es in die Heimat, die teuersten Kimonos werden übergeworfen und dann mit der Familie der örtliche Tempel besucht. Da solche Reisen Zeit brauchen, hat der japanische Staat den folgenden Montag auch gleich noch zum Feiertag ernannt. Schließlich sollen auch wirklich alle Kinder die Möglichkeit haben, diesen Tag zu begehen. Nur einer wurde mal wieder nicht informiert und so saß ich ziemlich alleine im Büro und nutzte die Zeit, meine zusammengescannten Unterlagen aus Tokyo auszudrucken. Immerhin ergaben sich dadurch neue Erkenntnisse.

Seit Monaten plane ich Archivbesuche in die Universitätsarchive von Tokyo. Dort wurde mir erklärt, dass dies momentan wegen Krankheit nicht möglich sei, aber ich mich doch einfach mittels E-Mail an die Verantwortlichen wenden solle. Die Unterlagen würde ich Online finden. Das wäre ja eigentlich kein Problem. In Deutschland sind die Archive auch immer sehr hilfreich und kümmern sich um ihre Nutzer. Nicht so hier in Japan. Auf Anhieb konnte ich keine Seite finden. Wofür habe ich aber eine Tutorin? Kurzerhand kontaktierte ich sie und bat, mir doch die Kontaktdaten herauszusuchen. Schade nur, dass sie das gesamte Konzept Archiv überraschte und sie noch nie von solchen Einrichtungen gehört hat. In meiner Verzweiflung versuchte ich am folgenden Tag, meinen Mitstudenten den Zusammenhang zu erklären, die es ebenfalls einfach nicht verstehen wollten. Also taten sie das einzig Richtige und holten die Sekretärin. Bekanntlich haben wir beide unsere Differenzen, welche sich eigentlich nur darin zeigen, dass sie einfach nicht mit mir spricht. Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Sie sprach mit mir und interessierte sich wirklich für mein Thema. Die Zusammenhänge meiner Arbeit mit Last Samurai, einem ihrer Lieblingsfilme, kannte sie so zum Beispiel noch gar nicht. Dabei basiert die Geschichte lose auf dem Leben eines französischen und eines deutschen Generals. Auch bezeichnend ist wohl, dass sie jetzt nach immerhin vier Monaten verstanden hat, dass ich kein Japanologe sondern Historiker bin. Mit ihrer Hilfe ging die Informationssuche weiter. Sie kennt sich bei Archiven zwar auch nicht aus, verstand aber genug, um zu suchen. Sie fand für mich eine Kontaktperson, an die ich mich jetzt als nächstes wenden werde. Immerhin scheint sich im Büro damit einiges zum Besseren zu wenden. Einen Kawamura kann sie leider zwar noch lange nicht ersetzen, aber mit ihrer Hilfe dürften meine weiteren Forschungen einfacher verlaufen.

Gleichzeitig zeigte es sich am Tag nach dem Feiertag, dass die Polizei nicht deswegen verstärkt Präsenz gezeigt hatte. Ich bemerkte, dass die Straße an meiner Wohnung einmal mehr festlich geschmückt war. Es bestand auch fast keine Möglichkeit, in Richtung Universität zu kommen, da dies entgegen der Stromrichtung vieler Menschen verlief. Es war Dontosai. Das ist ein Fest, bei dem die Glücksbringer des letzten Jahres verbrannt werden, weil sie sonst Unglück bringen würden. Nebenbei gesagt, ist dies eine geniale Marketingkampagne! Auf diese Weise sind die Menschen gezwungen, die überteuerten Glücksbringer erneut zu kaufen. Gleichzeitig wird ein Fest, ähnlich wie ein Osterfeuer, am Tempel veranstaltet. Dazu schicken alle Firmen der Stadt Läufer in Sühneroutfits, um Gaben für das Glück im neuen Jahr zu bringen. Das kann Fisch sein, aber auch andere Gaben sind möglich. Die Outfits entsprechen dabei weißen Binden, welche den Bauch verdecken, aber die Brust und den ganzen Oberkörper der männlichen Läufer frei lassen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist dies eine zumindest fragwürdige Kleidung. Während ich mir das Schauspiel mit kurzärmligem Hemd und Jacke anschaute, trugen die restlichen Zuschauer zumeist mehrere Schichten an Kleidung und Schals und erfreuten sich sichtlich, nicht an dem Fest als Läufer teilnehmen zu müssen. Wer kann es ihnen verübeln?

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