Der Lehrplan

Ich dachte nie, dass es soweit kommen würde, aber ja, Unterrichten kann wirklich Spaß machen! Wobei, eigentlich bin ich vermutlich der falsche Typ von Lehrer, aber zum Glück unterrichte ich ja nicht an einer Schule, sondern Studenten. Dabei muss man nicht genau dem Lehrplan folgen. So geschieht es immer wieder, dass wir vom Lehrplan und den Büchern abweichen, nur um einen besseren Einblick in die Gedankenwelt der Deutschen zu bekommen. Meiner Überzeugung nach lernt man dabei doch so einiges mehr, als man das unter normalen Umständen tun würde. Denn was bringt uns das oft übliche Lernen von Worte und Themen, wenn man sie dann trotzdem nicht versteht?

Allgemein finde ich, dass der Unterricht in Japan viel zu eingefahren verläuft. Der Lehrer steht vor der Klasse und wenn dieser spricht, haben alle ruhig zu sein. Er sagt nun ein Wort oder einen Satz und alle wiederholen dies und so vergeht die Stunde. Verbessern des Aufgesagten oder eventuell eine Erklärung, das wäre aber auch wirklich zuviel verlangt. Im Prinzip ist dies die gleiche Art von Unterricht, welche mir schon das Kanji-Studium verdorben hat.

Wozu dies führt, durfte ich erst kürzlich bei der Korrektur einer E-Mail erfahren: Eins zu eins wurden von dem Studenten die Worte ins Deutsche übersetzt, dabei wurde die bekannte Höflichkeit der Japaner verwendet. Wieso, so erhielt ich als Frage, antwortet der deutsche Professor, der diese E-Mail erhielt, nun nicht auf die E-Mail? Tja, nach kurzer Akteneinsicht war alles klar: Der Schreiber hatte es geschafft, die eine Frage, die er hatte, indirekt zu stellen und in 1,5 Seiten Text zu verstecken. Kein Wunder also, dass nie eine Antwort auf die eigentliche Frage kam. In solchen Momenten frage ich mich dann schon, wie es möglich ist, dass ich vor kurzem belehrt wurde, dass einer meiner Kurse aus Juristen besteht und wenn die die Grammatik und Wörter kennen, dann reicht das vollkommen. Zwischen den Zeilen lesen und ähnliches lernt man da meines Erachtens dann nicht.

Persönlich habe ich aus dieser ganzen Problematik nun Konsequenzen gezogen: Noch mehr als zuvor versuche ich, den Studenten Details näherzubringen. Zwar sind diese jedes Mal wieder überrascht, wenn ich wirklich Fragen an sie stelle, aber immerhin lernen sie dabei etwas. Bestes Beispiel war diese Woche ein Lehrbuchtext über die Kindererziehung. Eindeutig Süddeutsch geprägt, wurde dabei ein Loblied auf die Hausfrau und den Vater in Elternzeit gesungen, während durch Zeichnungen und gewisse Ausdrücke klar gemacht wurde, dass die Kinder, die alleine nach der Schule nach Hause müssen, also sogenannte Schlüsselkinder, eine sehr schlechte Kindheit haben. Keiner meiner Juristen schaffte es, diese Beeinflussung zu erkennen. Dabei war dies sehr einfach: Schon in den Karikaturen zum Text waren klar ersichtlich farbig gestaltete glücklich lachende Kinder mit ihren Eltern zu sehen, während das Schlüsselkind alleine und in grau gehalten war und einen sehr gedrückten Gesichtsausdruck hatte. Meine Studenten waren auf jeden Fall sehr überrascht über ihr neues Wissen, aber auch sichtlich erfreut, dass so etwas mal neben dem drögen Vokabellernen drankam. Falls also jemand von meinen geneigten Lesern einmal auf Asiaten stößt, die solche Dinge nicht beherschen, so nehmt euch Zeit und erklärt die Sachen. Es bringt nichts, einfach nur zu sagen, dass es so ist, sondern auch warum. Denn die japanische Ausbildung ist nicht unbedingt dafür gedacht, solche Dinge an den Mann zu bringen und nicht viele Japaner hatten das Glück bzw. das Pech, an mich als Lehrer zu geraten.

Leider neigt sich aber meine Lehrerzeit auch dem Ende entgegen. Ein wenig wehmütig wurde ich ja schon, meinen ersten Kurs in die Semesterferien zu entlassen. Und gleichzeitig war ich auch ein wenig besorgt, ob die Studenten nun froh waren, mich endlich los zu sein oder ob es ihnen doch ein wenig gefallen hat. Meine Sorgen waren aber unbegründet! Mehrere von ihnen kamen noch einmal zu mir, um sich für das Jahr zu bedanken. Dieser Jahreskurs mit 40 Studenten wird mir bestimmt ganz besonders in Erinnerung bleiben. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal sagen kann, dass ich über 80 Studenten unterrichtet habe.

Als Fazit bleibt zu sagen, dass ich viel Spaß hatte und mir so etwas nun auch in Deutschland vorstellen könnte. Im Zweifel bevorzuge ich aber Japan und da ich meine Sache gut gemacht habe, wurde mir auch gleich eine Neuanstellung bei einer Rückkehr angeboten. Nur zu gerne würde ich diese in Anspruch nehmen!!!

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