Abschied von der medizinischen Abteilung

„Sind wirklich schon vier Jahre rum? Ich kam als normaler Mediziner aus Lybien und jetzt bin ich Doktor und habe Freunde überall auf der Welt! Wer hätte gedacht, dass so viel passiert, als wir uns im April 2010 zum ersten Mal im Internationalen Haus gesehen haben?“
„Genau Mohamed, du bist mittlerweile sogar verheiratet, auch wenn ich noch nicht glauben kann, wie spontan das war.“
„Stimmt …, erinnere mich daran, dass ich das gleich gegenüber meiner Frau erwähne, wenn ich heimkomme.“

Diesen Dialog führte ich heute mit Mohamed. Aber was ist genau passiert? Ein guter Freund ist in seine Heimat heimgekehrt. Normalerweise würde mich das für ihn freuen und es würde gegenseitige Urlaubsversprechen geben. Die Frage ist, was soll man davon halten, wenn der Besagte nun gerade Libyer ist, noch nicht einmal direkt in seine Heimat fliegen kann, sondern sich vom Nachbarland aus in die Heimat durchschlagen muss. So ein wenig mulmig ist mir bei der Sache schon, denn allzu viel Positives hört man nicht aus seiner Heimat, aber ich hoffe das Beste.

Eigentlich fing der Tag aber ganz normal an. Es ist ein gewöhnlicher Feiertag, an dem der Herbstanfang begangen wird und eigentlich erwartete ich nichts Besonderes. Ich hatte nichts geplant und Japaner sind nicht dafür bekannt, mal spontan zu sein. Auf einmal erschien aber die Meldung, dass ich mich in zwei Stunden auf dem Fußballplatz einzufinden habe, weil Nezars Abschied ansteht. Nezar, der Zahnarzt meines Vertrauens, Leidensgenosse in unzählbaren Kanjikursen und auch im Allgemeinen eine Person, mit der man gut auskommen kann, hat seinen Doktor geschafft und wollte noch ein letztes Mal mit seinen Freunden Fußball spielen. Dieses Ereignis wurde mir schon vor einigen Wochen angedroht. Um meinen Saudi Arabischen Freund ist es schon schade, aber so oft habe ich ihn auch wieder nicht gesehen.

Was mich aber mehr überraschte war der Einschub, dass es wohl auch Mohameds letztes Spiel sein wird. Das hatte ich nicht erwartet! Mohamed, seit der ersten Stunde ein guter Freund in Japan, hatte immer angedeutet, dass er noch hier sein würde, wenn ich das zweite Mal gehe. Es ist aber nicht das erste Mal, dass er mich so überrumpelt. Im Januar ist er nach Libyen zu seiner Familie geflogen und kam verheiratet wieder und das kurz nachdem er mir noch von seiner Exfreundin hier in Sendai erzählt hatte. Mehr noch, vor dem Flug hatten wir noch nie ein Wort über die Dame gehört. Wie dem auch sei, ich werde ihn sehr vermissen und aus diesem Grund ging es auch zum Spiel, obwohl ich nicht wirklich fit war. Wenn, dann muss man sich auch richtig verabschieden! So wurde es ein sehr langer Tag. Drei Stunden Fußball und am Abend ging es noch zu einem Essen in die Stadt. Seine weiteren Freunde aus Südamerika blamierten uns zwar einige Mal, da sie jeder Dame hinterher starrten und selbst nicht davor zurückschreckten dafür aufzustehen, um am Fenster besser zu schauen. Aber es wurde ein sehr schöner Tag, wenn auch leider sehr melancholisch. Highlight war aber, von Nezars über zwanzig Geschwistern zu hören, die sein Vater mit seinen vier Ehefrauen hat. Andere Länder haben eben andere Sitten!

Auch die Wünsche von Mohameds Familie waren interessant. Sie wünschten sich das, was auch überall sonst auf der Welt gewünscht wird. So wollten sie zum Beispiel Schmuck oder iPhones und Mohamed versuchte, alle Wünsche zu erfüllen. Nur einen Wunsch seines Cousins musste er schweren Herzens ablehnen. In Anbetracht der Situation in Libyen wollte dieser einen Dieselstromgenerator. Wie Mohamed diesen über die Grenze schmuggeln sollte, war dabei egal. Ich glaube, da muss selbst die Familienliebe mal Grenzen kennen.

Mir bleibt eigentlich nur zu sagen: Nezar und Mohamed, ich werde euch vermissen! Als ich am Abend dann aber im Büro vorbeischaute zeigte sich, dass sich mit jeder geschlossenen Tür eine neue öffnet. Schon am Licht an einem Feiertag hatte ich eine Ahnung, dass es eigentlich nur eine Person sein kann, die spät am Abend im Büro sitzt und ich hatte recht: Bewaffnet mit einer Gitarre saß da Shimizu, als ob er nie weg gewesen war. Endlich ist er wieder da!

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