Vor dreihundert Jahren musste eine Gesandtschaft der Holländischen Faktorei in Dejima ein bis zwei Mal im Jahr nach Eddo, dem heutigen Tokyo, reisen, um dem Shogun über die neuesten Ereignisse in Europa Bericht zu erstatten. Glücklicherweise sind diese Zeiten lange vorbei, doch lässt sich feststellen, dass immer noch viele Wege nur über Tokyo laufen, besonders was meine Forschungen anbelangt. Dank der durch die Tokugawa Dynastie eingeführten Zentralisierung in die östliche Hauptstadt sah sich auch der Kaiser nach der Rückübernahme der Herrschaft gezwungen, seinen Sitz nach Tokyo zu verlegen.
Dementsprechend wurde Tokyo immer größer und die Anpassung des Landes an die Bedingungen der restlichen Welt gingen zentral von Tokyo aus. Aus diesem Grund gibt es drei Orte, an denen sich die Ausländer nach der Zwangsöffnung Japans sammelten. Tokyo, Yokohama und Kobe waren diese Zentren und die Orte, an denen ich mit meinen Forschungen beginnen muss.
Zu diesem Zweck ging es in der letzten Woche nach Tokyo. Normalerweise ist das eine Reise für das sehr gut ausgebaute Fernbusnetz Japans, aus Zeitgründen genoss ich aber einmal den Luxus eines Shinkansen. Mit 300 km/h erreicht man die Stadt doch um einiges schneller und bequemer. Besonders die Beinfreiheit der Züge hat es mir angetan, denn bequem Reisen ist in Deutschland selbst in den Luxuszügen nicht immer gegeben.
Mein Ziel der Reise war die Ostasiatische Gesellschaft. Sie wurde im neunzehnten Jahrhundert durch die Leute gegründet, die ich derzeit erforsche. Diese Organisation hat eine der besten Bibliotheken über die deutschen Tätigkeiten in Japan. Da ich diese Bibliothek noch einige Zeit nutzen möchte und es im Allgemeinen auch nicht schadet, Kontakte mit den einzelnen Institutionen zu unterhalten, wurde ich gleich im ersten Schritt Mitglied. Begeistert davon erklärte man mir die Bibliothek noch genauer und die Untersuchungen konnten beginnen. Man muss sagen, die erste Person, die ich erforschen will, Max Fesca, scheint dabei ein interessanter Fall zu werden. Fesca veröffentlichte mehrere Artikel in der Vereinszeitschrift und hielt einige Vorträge, aber in der heutigen Zeit hat keiner der Angestellten seinen Namen bisher gehört. Auch die Untersuchung der dazugehörigen Materialien ergaben ein interessantes Bild. So wird er von Bälz, dem vermutlich bekanntesten und wichtigsten Deutschen in Japan zu der betrachteten Zeit, als einer der drei wichtigsten Autoren über Japan genannt. Auch in den Tagebüchern von einigen wichtigen Persönlichkeiten taucht er wie selbstverständlich auf und war die Person, welche man vor dem Verlassen Japans noch einmal treffen musste. Trotz allem ist sein Wirken in den deutschen Quellen auf Nebensätze beschränkt. Der nächste Gang ist deshalb in das Archiv der Tokyo Universität, um seine Akten zu suchen. Diese Anfrage, welche sich als komplizierter erwies, als es in einem deutschen Archiv der Fall sein würde, ist dann im Zusammenhang mit Fesca der nächste Schritt. Trotz allem erweist sich Fesca als eine sehr interessante Person. So konnte ich ein Zitat von ihm auffinden, welches im Zusammenhang eines Vortrags über Landwirtschaft in Japan als Abschlusswort fiel. Er stellte fest, dass, wenn den Japanern eines fehlen würde, dies eindeutig ein anständiger Misthaufen sei. Aber auch neben Fesca war die Bibliothek ziemlich interessant. So ergaben sich Ansätze zu neuen Personen, welchen ich in meinen weiteren Untersuchungen mehr Gewicht einräumen werde.
Auch neben den Forschungen hatte ich eine sehr gute Zeit in Tokyo, wobei ich fast auf dem Bahnhof nächtigen durfte. Als ich erschöpft abends mein Hotel erreichte, konnte der Azubi an der Rezeption meinen Namen in den Buchungen nicht finden. Dieses Problem hätte man leicht aus der Welt schaffen können, wenn er mir einfach mal auf Japanisch berichtet hätte, wo es Probleme gibt. Leider war der Herr der Meinung, ich verstehe nur Englisch und da er nur die Worte „Sorry“, „Thank you“ und „Please wait“ konnte, wurden dies sehr anstrengende 15 Minuten, in denen er sich tausendmal entschuldigte und mich immer wieder alleine ließ, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was er denn überhaupt wollte. Als es mir dämmerte, dass er meinen Namen nicht findet, erklärte ich ihm, dass meine Buchungswebsite auf eine japanische Umschrift bestand. Also suchte er auf Japanisch, ohne mich aussprechen zu lassen, dass eine Umschrift immer eine Lautumschrift ist und deshalb anstelle eines „re i“ ein „ra i“ zu suchen ist. So vergingen wieder kostbare Minuten, bis ich ihm dann doch meine Registrierung unter die Nase hielt. Aber er konnte mich immer noch nicht finden. Langsam reichte es mir und ich überlegte schon, welcher Japaner mir um diese Uhrzeit noch Asyl anbieten würde, als ich ihm eine letzte Chance gab und auf Japanisch meinen Namen noch einmal laut nannte. Jetzt kapierte er, dass ich besagte Person auf der Reservierung war. Meinen Nachnamen konnte er finden, aber da ja ein anderer Vorname da war, konnte ich das ja nicht sein. Schon alleine, dass er lieber mit seinem Vorgesetzten sprach, als einfach mich zu fragen, ließ mich nur ungläubig zurück. Zum Glück war es aber endlich in Ordnung und ich erhielt für einen super Preis ein perfektes Zimmer, auch wenn ich der Meinung war, dass ein Manga über die Geschichte des Hotels auf dem Zimmer doch etwas übertrieben war.
Damit war mein Tag aber noch nicht zu Ende. Nun ging es zum angenehmen Teil des Lebens über. Ich traf meine alte Freundin Yuka und wir hatten einen tollen Abend in einem Fischrestaurant. Neunzig Prozent der Leute, die ich kenne, hätten zwar bei dem Essen etwas geschluckt, denn zum Beispiel frittierte Tintenfischsaugnäpfe ist nicht gerade Standardessen in Europa, aber es war sehr lecker und wir hatten eine schöne Zeit.
So verbrachte ich drei Tage über Büchern, bis es wieder in das beschaulichere Sendai ging, wo ich jetzt einige Tage brauchen werde, um mich mit dem Gefundenen auseinanderzusetzen. Auf jeden Fall werde ich die Tour nach Tokyo nun häufiger machen, denn nur so kann ich die Resultate erreichen, welche ich für meine Forschungen benötige.
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