20 Jahre habe ich darauf gewartet, um endlich mal schreiben zu können, dass wir Meister sind und dann ist das „wir“ auch noch die falsche Mannschaft, der falsche Sport und auch noch der falsche Kontinent. Japan verfügt über zwei große Sportevents: Auf Platz Nummer zwei steht der Fußball, im Falle von Sendai vertreten durch Vegalta Sendai. Auf der anderen Seite ist der Volkssport Nummer eins immer noch Baseball. So wirklich zu verstehen ist das nicht, denn Baseball ist ein Sport, bei dem man Stunden im Stadion verbringt und ohne ein 150 Euro Ticket eigentlich nur auf die Anzeigetafel schauen kann, was gerade geschehen ist. Ein Baseball ist so klein, dass es schon sehr schwer ist, ihn mit bloßem Auge überhaupt zu sehen. Schlimmer wird es dann, wenn es um den eigentlichen Spaß am Baseball geht. Die Werfer haben verschiedene Wurftechniken, bei denen der Ball unterschiedliche Laufbahnen nimmt und so die Schläger überrascht. Wie soll man bitte so etwas sehen, wenn man schon kaum den Ball erkennt? Im Endeffekt gehen die meisten Leute deshalb wohl nur ins Stadion, um einen Foulball oder Homerun zu fangen, da man diesen Ball behalten kann.
Ok, auf jeden Fall hat Sendai auch ein Baseballteam. Es wurde 2004 unter dem Namen Tohoku Rakuten Eagles gegründet und sollte den Sport im Norden Japans bekannter machen. 2011 hatte der Verein dann ein riesen Unglück zu verkraften, da das Stadion genau in einem bei Erdbeben besonders anfälligen Gebiet liegt. Dadurch wurde das Stadion schwer beschädigt und an gleicher Stelle größer und besser wieder aufgebaut. Die folgenden beiden Jahre waren für den Sendaier Baseballfan nicht leicht. Rakuten, vorher ein Team aus dem besseren Mittelfeld, wurde durchgereicht und kämpfte schwer, um nicht ganz hinten zu landen. Dies sollte sich dieses Jahr ändern. Rakuten hat es dank einer seltsamen Meisterschaftsregelung geschafft, den Ostmeistertitel zu holen. Schon seit meiner Ankunft spielt fast jeder Shop in Sendai deshalb die Hymne von Rakuten, sehr zum Ärgernis der umstehenden Nicht-Baseballfans. Die Hymne ist schließlich vom Ton her an Soldatenlieder der 40er Jahre angelehnt und diese in Wiederholung zu hören strengt schon an.
Nun ist es mit einer Meisterschaft alleine noch nicht getan. Wo es eine Ostliga gibt, gibt es auch eine Vertretung im Westen. Den Titel dort gewannen die Tokyo Giants. Das sind die Serienmeister in Japan und sie sind auf der Jagd nach dem 23. Ganzjapantitel. Von der Beliebtheit her ist der Verein dabei zu vergleichen mit dem FCB hier in Deutschland. Letzte Woche war es dann endlich soweit. Der japanische Meister wurde in sieben Spielen ausgespielt und als Sportfan habe ich es natürlich beobachtet. Letzten Samstag war das Unmögliche dann zum Greifen nahe. Die Eagles führten 3:2 in Spielen und im 4. Inning mit drei Schlägen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte in keinem Spiel der Gegner so ein Ergebnis umdrehen können und Sendai stand vor der Meisterschaft. Irgendwie musste man das doch nutzen können? Im Anschluss an die Meisterschaft gab es doch überall Angebote und etwas von der Stimmung bei einer ersten Meisterschaft wollte ich auch irgendwie mitbekommen. Kurzerhand überredete ich Orsolya, mit mir zum Sushiladen einige Häuser weiter zu gehen. Der Laden ist zwar nicht billig, aber sehr gut und der Besitzer glühender Eagles Fan. So betraten wir den Laden im 5. Inning, nur um zu sehen, dass das Spiel gedreht war und der Werfer der Eagles auf einmal unerklärliche Fehler machte. Mein Plan ging nicht auf, denn Rakuten verlor das Spiel haushoch. Trotzdem war es ein Genuss zu sehen, wie die sonst so ruhigen Japaner auf den Fingern kauten, der Koch in jedem Inning in der Küche verschwand, um das Drama nicht mit anzusehen und er nach dem Spiel sich zum ersten Mal in 3 Besuchen im Laden hinsetzte, weil ihn seine Beine nicht mehr halten wollten. So wurde es leider nichts mit dem Siegsushi, was ich mir insgeheim erhofft hatte, aber das normale Sushi ist trotzdem das beste Sushi, welches ich je gegessen habe. Aufbauend war dabei auch, dass nicht nur ich Fotos von den Sushi machte, sondern auch ein japanisches Paar so begeistert war vom Essen, dass jedes Stück einzeln fotografiert wurde.
Zu den Eagles ist zu sagen, dass sie am nächsten Tag den Titel holten, es aber nicht wirklich irgendwelche Feierlichkeiten gab, was mich schon enttäuschte. Dafür kamen unter den Ausländern schon die ersten Verschwörungstheorien auf. Die Spiele mussten doch in ein entscheidendes letztes Spiel gehen, sonst hätte die Spannung gefehlt. Und dass der letztjährige Prügelknabe der Liga auf einmal ohne große Verstärkung Meister wird und damit die Auferstehung von Tohoku in der Presse gefeiert werden kann, hat natürlich auch einige Verschwörungstheorien auf den Plan gerufen. Für uns war es aber auf jeden Fall ein gutes Ergebnis, nicht umsonst gibt es jetzt in der Stadt überall Sonderangebote.
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