März 2015 Archiv

11. März

Weshalb sollte ich für dieses Datum irgendeine besondere Überschrift nehmen? Es ist das vierte Jubiläum des Tages, welcher die Ostküste Japans für immer verändert hat. Tausende Tode, Familien, die auseinandergerissen wurden und die deutschen Medien schaffen es wieder einmal, nur über die Atomkraft zu berichten.

Egal, ob man nun auf den Kalender schaute oder nicht, jedem Bewohner von Sendai wurde klar, dass heute ein besonderer Tag war. Passend zum dunklen Wetter legte sich eine gespenstische Atmosphäre über die Stadt. Obwohl eigentlich nur die Flaggen auf Halbmast standen und die Menschen ihrem geregelten Leben nachgingen, fühlte sich alles doch irgendwie anders an. Der Tsunami 2011 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Bis heute gibt es ganze Regionen an der Küste, die nicht wieder aufgebaut wurden. Das wohl beklemmendste Erlebnis hatte dabei heute Orsolya. Zusammen mit einer ausländischen Delegation wurde sie von der Uni in das Tsunamigebiet gebracht. Dabei stießen sie auf menschliche Tragödien. Als Beispiel sei der Ort genannt, welcher schon vor Jahren von einem Tsunami schwer getroffen wurde und sich deshalb besonders mit Bunkern und Schutzwällen schützte, aber nicht mit der Höhe des Tsunamis gerechnet hatte. Im Endeffekt wurde der Bunker, welcher zum Schutz gedacht war, zur Todesfalle für die Schutzsuchenden. Oder der Fall einer Schule, die extra zum Schutz auf dem Berg errichtet wurde. Die Hälfte der Schülerschaft überlebte in der Schule, während ihre Freunde und viele Verwandte in der Stadt nicht so glücklich waren. Es gab nur 88 Überlebende in einem Ort mit mehreren tausend Einwohnern.

Ich persönlich suchte den Stadtpark auf. In diesem gab es ein Gedenkkonzert einer Schule. Während sich die Menschen um den Chor drängten und den Opfern gedachten, hatte auch die Natur ein Einsehen und untersetzte mit leichtem Schneefall die Stimmung.

Eins kann ich sagen: Ich habe nie bereut, wieder nach Japan gekommen zu sein! Die Angst, die viele Deutsche im Zusammenhang mit Japan betroffen hat, werde ich nie verstehen. Man sollte auf jeden Fall in meiner Umgebung auch nie heuchlerisch über die Opfer von Fukushima sprechen, aber die wirkliche Tragödie unerwähnt lassen. Die wahren Opfer verdienen, dass ihnen gedacht wird!

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Derbyzeit

2015 03 07 Vegalta 5Wir befinden uns in einem dunklen und stickigen Raum, gefüllt mit viel zu vielen Menschen in gelben T-Shirts. Alle Anwesenden schauen zum Ende des langen Tisches. Dort sitzt ER – der Chef der Gruppe. Wie in Japan üblich, hat er die Entscheidungsgewalt. Wenn er redet, sind alle ruhig, wenn er anfeuert, singen alle mit und wenn er die Unterstützung einstellt, dann fangen gestandene Männer schon einmal mit dem Weinen an. Heute müssen wichtige Entscheidungen fallen, denn es ist in einigen Tagen soweit, die J-League fängt wieder an. Es wird Zeit, um die letzten Pläne der Sendai Ultras für das Derby gegen Yamagata vorzubereiten. Eine Saison wie die letzte darf sich nicht wiederholen und den lautstarken Nachbarn aus Yamagata darf man gar nicht erst Gelegenheit geben, in Euphorie zu verfallen. Wie weit sind die Vorbereitungen für die Choreo? Aus dem Schatten löst sich die Nummer zwei und erklärt zitternd das Problem: Es ist maximal genug Konfetti vorhanden, um das halbe Stadion auszustatten! Während er dies berichtet, wirft er sich auf den Boden, um die entschuldigendste Geste, die Japaner kennen, auszuführen. Nein! Ein halbes Stadion nur? So etwas darf nicht passieren! Nach kurzem Überlegen richtet der Chef das Wort an seine Ultras: Kameraden, wie ihr wisst, gibt es nichts Wichtiger als den Verein. Jeder von uns muss Opfer bringen, um die Situation zu lösen. Es gibt nur einen Weg: Jeder von euch muss seine Pornosammlung opfern!

Von dieser persönlichen Tragodie, sollte wenige Tage später niemand etwas merken, als die Ultras ausschwärmten, um jeden einzelnen der 18.000 Anhänger auf Sendais Seite einen Stapel von zerschnittenem Zeitungspapier zu übergeben, getränkt mit den Tränen der edelen Spender……

So oder so ähnlich stellten wir uns am Wochenende das Entstehen der großen Choreo vor, aber ich berichte lieber von Anfang an: Endlich fängt die Fußballsaison wieder an und dann gleich mit einem Derby. Vegalta Sendai, mit Mühe und Not in der letzten Saison dem Abstieg entgangen, hat den großen Umbruch angefangen. Ein Gros wichtiger Spieler um den Kapitän haben den Verein verlassen und Sendai versucht, die Verluste durch Spieler, welche schon einmal eine gewisse Klasse gezeigt haben, aber jetzt in der 2. Liga spielten, aufzufangen. Besonders der Verlust von Akanime und Kakuda dürfte schwer ins Gewicht fallen. Akanime ist der beste Stürmer Sendais gewesen. Er hat sich dem japanischen Meister Gamba angeschlossen und der alternde 6er Kakuda war der Spieler, der als Kapitain das Spiel und die Mannschaft zusammenhielt. Alle Vorschauen sagen Sendai deshalb eine schwere Saison voraus und sehen den Verein als potentiellen Absteiger. Montedio Yamagata dagegen hat das Kunststück geschafft, als Sechster der 2. Liga aufzusteigen. Die Relegation konnten sie insbesondere dank einem Sieg gegen die hohen Favoriten aus Iwata mit einem Tor in der Nachspielzeit durch Torwart Yamagishi gewinnen. Es gilt wie in jedem Land, Relegation ist eine fragwürdige Art, den Aufstieg zu ermitteln. Seit dem Aufstieg ist in Yamagata der Fußballboom ausgebrochen und Yamagata versuchte, sein Team durch Einkäufe aus der ersten Liga zu stärken. Von besonderer Brisanz sind für das Spiel gegen Sendai aber die beiden Spieler, welche die Vereine jeweils vom Gegner geholt haben.

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Bei bestem Fußballwetter war das Stadion natürlich ausverkauft. Schon beim Verkaufsbeginn schockte mich mein örtlicher Händler, mit einem „Ausverkauft“ direkt eine Minute nach Verkaufsbeginn. Ich hatte aber Glück, nach großer Tour durch die Stadt im Fanshop noch Karten zu erhalten. Ein gut gefülltes Stadion, die zwei wohl lautstärksten Fangruppen der Liga, es war also alles für ein Fußballfest angerichtet. Nur bei meinen Freunden gab es einige Probleme. Zeitgleich fanden die Graduierungszeremonien der örtlichen Schulen statt, weshalb einige nicht konnten. Kuma erhielt so zum Beispiel von seinem Sohn die Sondererlaubnis, von der Veranstaltung fernzubleiben, damit wenigstens ein Familienmitglied beim Spiel sein konnte. Ein anderes Mädchen erschien erst zur Halbzeit, direkt von der Zeremonie. Am schwersten hatte es aber den neuen Star Sendais getroffen. Der 18-jährige Motegi verzichtete auf seine Abschlussfeier, um in der Startelf von Sendai zu stehen.

Als die Spieler den Rasen betraten, fing auch schon die Choreohölle an. Jeder Fan hatte einen Stapel von Zeitungspapier erhalten, welchen er werfen sollte. Es gab ein Banner und mehrere weitere Sachen, welche eine stadionweite Choreo erlaubten. Erst nach der Choreo wurde vielen von uns klar, was wir da eigentlich gerade geworfen haben. In Japan gibt es eine Vielzahl von Comics, welche ab 18 sind und relativ explizite Themen haben. Eine Vielzahl des Konfettis war aus eben jenen Zeitungen. Die Männer des Blocks hoben diese einzeln auf, amüsierten sich kurz, nur um sie mit rotem Kopf unter den Sitz zu werfen, um kurz später dann das Schauspiel zu wiederholen. Die Frauen im Block, besonders die mit kleinen Kindern, habe ich noch nie so schnell aufräumen sehen, wie es nach der Aktion der Fall war. Immerhin, nach dem Spiel gingen die Ultras durch alle Blöcke und reinigten diese zusammen mit den anderen Fans. Für uns Ausländer war es aber natürlich ein gefundenes Fressen, uns vorzustellen, wie die Fans im sonst so prüden Japan gerade auf die Idee gekommen sind, derartige Zeitungen als Wurfgut zu nehmen. In Deutschland hätten wir wohl eine PR-Katastrophe damit erreicht.

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Das Spiel selber lief dagegen relativ langsam an. Yamagata verteidigte eisern und Vegalta in einer Behelfsaufstellung fehlten ein wenig die Mittel, um die gegnerische Abwehr auszuhebeln. Besonders erschwerend war die Tatsache, das Ramos, ein Brasilianer, als Stürmer aushelfen musste, da der beste Sendaier Stürmer Wilson nicht fit ist. Schon vor einem Monat musste er öffentlich versprechen, auf Cola und Chips zu verzichten, um für die Saison in Form zu kommen, aber bis heute reicht es noch nicht. Ohne Ramos im Mittelfeld, wurde dieses des Öfteren überrannt und es fehlte der entscheidene Pass. Was Ramos aber anbot, hatte etwas und er dürfte Sendais meist unterschätzter Spieler sein. Ab der 63. Minute änderte sich das Spiel. Vegaltas Nozawa erhielt eine Gelb-Rote Karte und Vegalta wurde immer mehr in die eigene Hälfte gedrückt. Lustig war, dass die Gelb-Rote uns erst später auffiel. Niemand regte sich auf und der Spieler hatte das Feld ohne Diskussion so schnell verlassen, das bin ich gar nicht gewöhnt.

In der 78. Minute entschied sich der Trainer nun zu einem interessanten Wechsel. Anstatt das Mittelfeld zu stärken, nahm er den Aktivposten im Sturm Ramos heraus und brachte seinen Landsmann Wilson. Der ist wirklich noch nicht bei 100 Prozent und im Vergleich zum Vorjahr spannt das Trikot auch etwas mehr. Dementsprechend wenig lief er auch und wir fragten uns schon, ob der Wechsel nicht ein riesiger Fehler war. Wilson mag zwar nicht so fit sein, seinen Torriecher hat er aber nicht verloren. In seinem ersten Sprint stand er gleich richtig, um eine gefühlvolle Flanke zum vielumjubelten 1 : 0 zu verwandeln. Jetzt hieß es, Ruhe zu bewahren. Yamagata wollte das Tor und kam nun immer öfter zu guten Chancen. In der 87. Minute passierte nun das Unglaubliche. Yamagatas Yamagishi stand auf einmal bei einer Ecke im gegnerischen Strafraum, in der Hoffnung, sein Tor gegen Iwata zu wiederholen. Dieser Versuch scheiterte und obwohl Vegaltas Konter sehr langsam verlief, kam es im Endeffekt zu einem Zweikampf zwischen Wilson und Yamagishi, welchen dieser, aus der Puste wie er war, nicht gewinnen konnte. Wilson hatte Sendai zum Sieg geschossen und Yamagata konnte in den nächsten 8 Minuten nichts mehr erreichen. Die Motivation war mit dieser Aktion eindeutig gebrochen. So feierte das Stadion den Auftaktsieg und wir hoffen, dass die Saison so weitergeht.

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Japan und die Mode

Wer sich mit Japan schon einmal näher beschäftigt hat, dem wird eine Sache besonders aufgefallen sein: die Unterschiede in der japanischen Mode. Wir sprechen von einem Land, welches von Uniformen dominiert wird. Egal, welcher Arbeitsbereich es ist, überall wird eine Uniform getragen. Das gilt sowohl für die Schüler als auch für die Putzfrau oder die normalen Angestellten in einem Büro. Bestes Beispiel dafür ist das Rathaus. Findet man hier in Deutschland eine breit gefächerte Auswahl an Kleidungsstücken vor, so sind in Sendai im Kundenkontakt Uniformen vorgeschrieben, welche mit denen von Bahnangestellten zu vergleichen sind. Sollte es wider Erwarten dann doch einmal nicht vorgeschrieben sein, so kann man sich über das weiße Hemd mit schwarzem Sakko eigentlich von vornherein als Kleidungsstück der Wahl bei einem Mann sicher sein.

Eine derartige Uniformität spiegelt sich natürlich auch im allgemeinen Leben wider. Extravagantes oder gar gefärbtes Haar ist nicht vorgesehen, Schulen und viele Arbeitgeber gehen sogar so weit, das schwarze Haar vorzuschreiben. Der Ausbruch aus dieser Einengung erfolgt nun am Wochenende. Während die meisten Japaner trotzdem ihre Uniformen auftragen, so sieht ein Teil der Japaner sich genötigt, aus den Grenzen auszubrechen. An der Kleidung sieht man das besonders schön. Grelle Farben, wie Pink, sind sogar bei Männern beliebt und auch zumindest zweifelhafte Schnitte der Kleidung sind vielerorts anzutreffen. Bestes Beispiel dafür sind auch die Schuhe, wie ich sie ja schon öfter im Bilderblog verlinkt habe. Alles was süß und extrem ist, kommt bei den Frauen besonders gut an, während Männer versuchen, sich besonders lässig zu geben. Wie sehr sich diese Mode lohnt, zeigen auch die Kaufhäuser. In Europa sind Punkmode und Subkulturenkleidung nur in bestimmten Läden zu finden und zumeist abseits der Mainstreamläden. Hierzulande dagegen hat das führende Kaufhaus eine eigene Etage für Gothik- und Lolitakleidung. Kleinmädchenkleider mit „Alice im Wunderland“-Bedruckung findet man hier ebenso, wie ein mit einer Katze bedruckter Pullover, welcher am Saum eine Kette befestigt hat, die zu einem Halsband führt, das entweder als eben jenes verwendet werden kann, oder als Hundeleine – ganz im Motto des Pullovers also. Nun sollte man meinen, derartige Kleidung würde aber sehr selten verkauft werden, aber dem ist nicht so. Eine Mitstudentin kam letztens in einem schwarzen Gothiklolitakleid in die Uni, inklusive angebrachtem Schwanz und niemand sagte auch nur ein Wort zu der Bekleidung, nicht einmal hinter ihrem Rücken. Man muss den Leuten abseits der Arbeit halt ihre Freiheiten lassen, solange sie zur Arbeit (wie diese Studentin dann einen Tag später auch wieder) mit einem Anzug erscheinen.

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Ein weiteres Mittel neben der Mode sind die Haare. Ich gebe es zu, als jemand, der relativ lange Haare hatte, fragte ich mich schon mehr als einmal, wie es die Japaner schaffen, abends ihre Frisuren zu gestalten, welche selbst Comicfiguren vor Neid erblassen lassen würden. Vor ein paar Wochen kam ich dann darauf: Während in Europa Haarverlängerungen gemacht werden, würde dies hier den Verpflichtungen auf der Arbeit entgegenstehen. Aus diesem Grund kauft man hierzulande Perücken. Hierbei handelt es sich nicht einmal um Subkulturen. Wenn man mit offenen Augen durch Japan geht, so kann man bei einer Vielzahl von Leuten das Nachhelfen leicht erkennen. Die Kunden sind dabei sehr verschieden. Ob Paare, Rentner oder die Geschäftsfrau im Anzug, wenn man nur einmal fünf Minuten vor einem der vielen Perückenstände verbringt sieht man alle Personengruppen, welche sich auf diese Weise zumeist offensichtlich die Friseurbesuche ersparen. Aber auch abseits der Perücken gibt es viele Hilfsmittel für eine andere Frisur. Ob Einhängehaar, falsche Pferdeschwänze oder Kreide zum tageweisen Färben der Haare, hierzulande wird alles angeboten.

Dem geneigtem Leser, welcher also einmal Interesse an Japan hat und hierzulande dann die Möglichkeit eines Flirts erhält, kann ich nur raten genau hinzuschauen, wenn er sich auf jemanden einlässt. Ansonsten kann es passieren, dass man nach dem Date seinen Partner auf einmal nicht mehr wiedererkennt und eine böse Überraschung erlebt. Dies Phänomen ist dabei so verbreitet, dass selbst das japanische Fernsehen diese Handlungen als festen Bestandteil in sein Programm aufgenommen hat. Immer wieder kommt es in Fernsehserien vor, dass eine Frau versucht, ihr wirkliches Ich vor ihrem Ehemann bis nach der Ehe zu verheimlichen. Nicht nur Ausländer sind also von der Problematik betroffen.

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