Eine der Tatsachen, die mir seit meiner Rückkehr aufgefallen ist, ist, dass ich mittlerweile unhöfliche Japaner kennengelernt habe. Gut, das übertriebene Bild der immer freundlichen Japaner hatte ich eh noch nie, da ich bei meiner ersten Reise mit Dennis im Jahr 2006 noch regelmäßig auf die Aussage „Ausländer nicht erlaubt“ gestoßen bin. Heute kann man sich das kaum vorstellen, aber bis 2006 oder 2007 gab es hier vor Ort noch genug Geschäfte die es bevorzugten, nur von Japanern besucht zu werden. So aßen wir damals eine Woche lang Bento, was zwar billiger, aber nicht so von uns gewollt war. Seit 2007 hat sich dieses Problem aber eigentlich in Luft aufgelöst und die Japaner bleiben Ausländern gegenüber auch eigentlich immer superfreundlich. Diesmal fallen mir aber diese beiden unterschiedlichen Seiten stärker auf.
Auf der einen Seite hat man die unschlagbar freundlichen Japaner: So passierte es mir in den letzten Tagen, dass ich mit zwei Fahrrädern nach Hause laufen musste. An sich ist das kein Problem und ich bin gut in der Lage, auch das zu bewältigen. Nun fiel mir aber leider mein Kopfhörer runter und um ihn zu retten, stellte ich meine Räder etwas ungeschickt ab. Dieses reichte einer japanischen Rentnerin, ich habe sie auf ca. 80 geschätzt, mir eines der Räder abzunehmen. Ob denn alles in Ordnung sei? Natürlich, ich bin doch fast zu Hause! Nein, also, so geht das ja nicht! Und schon schob die resolute alte Dame das Rad und entschied, es für mich nach Hause zu bringen. Dass sie zu diesem Zweck an ihrem eigentlichen Ziel um mehrere hundert Meter vorbeischoss, störte sie dabei gar nicht. Beim Laufen erzählte sie mir vieles auf Japanisch und ich versuchte, so gut wie möglich zu antworten. Es entstand ein interessantes Gespräch, da sie Geschichte liebt. Was mich aber überraschte, war ihre Geschwindigkeit. Ich bin ja wahrlich nicht der Langsamste, wie meine eigenen Großmütter bestimmt bestätigen können, aber um mit dieser Dame mitzuhalten, musste ich schon mein schnellstes Schritttempo einlegen. Also, japanische Rentner haben auf jeden Fall einige Überraschungen auf Lager! Nach vielen Dankesworten stellte sie am Ziel endlich mein Rad ab und lief zurück zum Supermarkt.
Leider läuft es aber nicht immer so: Am Sonntag fand in Sendai ein großes Tanzfestival statt. Viele Bands versammelten sich, um dem begeisterten Publikum auf mehreren Bühnen ihre Künste zu zeigen. Dabei wurden Abarten traditioneller japanischer Tänze vorgeführt. Das Fest war auf alle Fälle gigantisch! Einige Bands waren unbeschreiblich und würden als Profibands und nicht als Hobbygruppen, die sie waren, durchgehen. Kein Wunder, dass ich aus der Schule nahe meiner Wohnung schon seit Tagen komische Gesänge gehört hatte, nahmen doch sogar Schulgruppen und teilweise auch Kindergartenkinder teil. Eines von diesen raubte dabei der ganzen Gruppe die Show. Die Aufgabe dieses Mädchens war es, in der ersten Reihe eine Laterne hochzuhalten. Leider war diese Aufgabe sehr langweilig, vor allem, wenn man nicht sieht, was die anderen machen und wenn die dann auch noch tanzen dürfen. Als die Kleine sah, dass die anderen tanzen, machte sie deshalb mit und schon hatte die Gruppe alle Aufmerksamkeit verloren. Zwar versuchte der neben ihr postierte Junge noch sie aufzuhalten, so recht gelang es ihm aber nicht.
Aber nun zum eigentlichen Problem: Es gab für das Fest eine große Plane, auf der die Zuschauer sitzen konnten. Dazu gab es noch einige Stühle. Für die Leute, die fotografieren wollten, war dagegen der Platz hinter den Stühlen vorgesehen. In der letzten Reihe sollten dann die Herrschaften Platz nehmen, die mit ihren Trittleitern gekommen waren. Dieses Arrangement hatte aber nicht mit einem großen Ausländer gerechnet. Schon kurze Zeit nach meinem Erscheinen signalisierte mir ein Japaner auf unflätige Weise von seiner Leiter aus, dass ich mich doch gefälligst verziehen soll. Nun, so einfach mache ich es ihm nicht, wenn er nicht erst mal nett fragen kann und so knipste ich fröhlich weiter. Außerdem hatte ich den Platz schließlich von einem der Ordner zugewiesen bekommen, weil ich dadurch den wenigsten Leuten die Sicht genommen habe. Auf einmal stand der „nette Herr“ neben mir und stellte erst einmal die Leiter auf Orsolyas Fuß ab, ohne sich auch nur im Geringsten zu entschuldigen. Das Verhalten fand ich schon frech, als er dann aber noch mit seiner Leiter auf einmal genau vor mir stand, da war der Bogen dann doch schon leicht überspannt. Er versuchte immer genau so zu stehen, um mir den besten Fotorahmen zu nehmen und nahm damit den Leuten hinter uns, die vorher keine Probleme hatten, auch noch die Sicht. Gleichzeitig postierte er noch seine Tasche und sein Prospekt so, um mir damit bei jeder seiner Bewegungen aus Versehen eine zu verpassen. Nun, solch ein Spiel kann ich auch spielen! Der nette Herr hatte bestimmt nicht damit gerechnet, dass ich die Kamera über seinen Kopf halten ich und die Fotos machen konnte, obwohl er auf der Leiter stand. Und wer meint, mich bei meinen Fotos anstoßen zu wollen, dessen Leiter steht auch nicht am stabilsten, wenn er trotz total freier Sicht vor ihm noch auf der obersten Stufe stehen muss. Sagen wir einfach so, wenn mehr als 50 Prozent seiner Fotos etwas geworden sind, dann hat er Glück gehabt. Eigentlich hatte ich keine Lust auf so einen Wettstreit, aber nachdem normale Worte nicht halfen und er sich nicht mal bei den Damen um uns herum für sein rüpelhaftes Verhalten entschuldigte, da musste ich ihm zeigen, dass seine Spiele auch von mir gespielt werden können. Am interessantesten war dann aber der Punkt, dass genau in dem Moment, als ich ging, der werte Herr auch auf einmal nach Hause ging. Er blieb also wirklich nur dort, um mich zu ärgern. Die Japaner um uns herum bestätigten mich mit meiner Meinung.
Egal, nach der Aktion wurde es wieder ein tolles Fest und im Vergleich zu Europa sind solche Fälle doch die absolute Ausnahme.
Neueste Kommentare