Januar 2014 Archiv

Upgrade Fahrrad 3.0

Vor drei Jahren leistete mir ein Gegenstand hier in Sendai unsagbare Dienste: Obwohl Sendai eine Millionenstadt ist, ist das Fahrrad eines der wichtigsten Gegenstände, die ein Austauschstudent besitzen kann. Der Weg zur Uni, in die Innenstadt oder die Außenbezirke, ohne Fahrrad sind dies alles weite Wege, die kostbare Zeit beanspruchen. Vor drei Jahren entschied ich mich für eine relativ teure Variante eines Gebrauchtrades. Während die meisten Austauschstudenten Räder kauften, welche schon vom Ansehen zusammenbrachen, entschied ich mich für ein Alltagsrad mit vergleichsweise hohem Rahmen und einem gepflegteren Zustand. Dass das Rad blau war, half mir bei der Entscheidung natürlich auch.

Während in dem Jahr ein Rad nach dem anderen kaputt ging und ich mehr als einmal als Mechaniker einspringen musste, hielt mein Rad durch. Es fuhr die meisten Kilometer gegenüber den Rädern aller meiner Kommilitonen und trotzdem hielt es bis zum Schluss. Dank einer längeren Sattelstange aus Deutschland wurde das Rad zwar nicht sicherer, aber es erreichte eine Größe, welche für mich geeignet war. Dieses Rad, mit der passenden Aufschrift „Reisender“ wurde aus Shimizu Verwahrung gestohlen, als ich mich schon wieder in Deutschland befand. Dass ich noch bis heute auf Parkplätzen meinen Blick schweifen lasse, ob ich es nicht doch noch einmal erblicke, sagt wohl alles über seine Qualität aus.

fahrrad-reisender

Nach einem kurzen Abstecher auf ein anderes Allerweltsrad, welches schon beim Anschauen zusammenbrach, erhielt ich die Schlüssel zu meinem jetzigen Rad. Es ist ein silbernes Mountainbike, welches seine besten Tage schon vor Jahren hatte. Der Rahmen ist schwer, die Gänge funktionieren schon lange nicht mehr und ich möchte gar nicht wissen, auf wen das Rad eigentlich registriert wurde. Ich erhielt das Rad aus den Beständen eines alten Freundes aus Schweden, der vor drei Jahren hier mit mir in Sendai war. Aber die Vermutungen gehen davon aus, dass es sich um ein typisches Rad handelt, welches von Generation zu Genration von Ausländer zu Ausländer weitergereicht wurde. Trotz vieler Zuwendung, regelmäßigen Reparaturen und viel Pflege werden dieses Rad und ich wohl keine Freunde mehr. Nachdem die Bremsen trotz regelmäßiger Erneuerung sehr schnell den Geist aufgeben, habe ich dem Rad schon den Spitznamen „Kamikaze“ gegeben. Nicht, dass dieser Fahrstil nicht sowieso angeblich meinem sehr nahe stehen soll! Doch fände ich es sehr angenehm, an Bergen mein Rad auch zum Stehen zu bringen.

fahrrad-kamikaze

Es half alles nichts, es wurde Zeit, wieder auf die Suche zu gehen und ein neues Rad zu finden. Dank freundlicher Spenden aus Deutschland entschied ich mich, es dieses Mal richtig zu machen. Keine halben Sachen, sondern ein Rad, das halbwegs meiner Größe entspricht und mich für das anstehende Jahr auf meinen Wegen begleiten wird. Nach langer Suche ist es jetzt endlich da! Darf ich vorstellen: Das GT Transeo, ein Stadtfahrrad mit Bergqualitäten, 24 Gängen und Aluminiumrahmen, der fast meiner Größe entspricht. Und muss ich noch erwähnen, dass es blau ist? Ich hoffe, dass es mir so gute Dienste erweist, wie es seine Vorgänger taten!

fahrrad-paketfahrrad-neu

Der Weg zu diesem Rad war aber ein sehr holpriger. Man sollte meinen, ein Fahrrad zu kaufen kann doch gar nicht so schwer sein. Tja, dachte ich auch. Schon am Anfang meines Aufenthaltes hatte ich begonnen, mich nach Rädern umzuschauen. Aber nicht einmal ein normales Rad wie ich es 2010 hatte, was auch nur halbwegs meiner Größe entsprochen hätte, konnte ich finden. Zu meinem Glück traf ich Mohammed. Mein alter Doktor und Kumpel hatte sich gerade ein neues Rad gekauft und empfahl mir dieses sofort weiter. Am Abend wollte er mir die Adresse senden. Leider wurden aus dem Abend mehrere Monate und ich suchte weiter nach einem Rad. Nicht zuletzt auf Druck von Orsolya, die meine Flüche auf meinem Ersatzrad nicht mehr hören konnte und meinte, man bräuchte zum Radfahren Bremsen, intensivierte ich im Dezember meine Suche. Ich erreichte auch endlich Mohammed, der nach einigen Reisen mal wieder in Sendai weilte. Das Rad seiner Empfehlung gab es zwar online nicht mehr, aber einige größere Räder von dieser Marke. Da mir die Verarbeitung zusagte, begab ich mich in Sendai auf die Suche. Ganz ohne die Räder live gesehen zu haben, wollte ich dann doch nicht kaufen.

So begann meine Tour de Sendai. Ich besuchte jeden Radladen, den ich finden konnte und das Ergebnis war ernüchternd. Weder hatten sie auch nur in Ansätzen Räder in meinen Größen noch wollten sich die Mitarbeiter in einigen Läden mit mir beschäftigen. Die größte Enttäuschung war dabei der größte Sendaier Radladen in der Innenstadt. Dort hatte man zu meiner Überraschung eines der Räder, welches ich suchte. Das Problem ist dabei aber, dass die Rahmen trotz gleichem Hersteller unterschiedliche Beschriftungen haben. Einige Radtypen haben Größen zwischen S – M und L, während andere noch XL haben. Aber als Körpergröße für die XL-Räder werden die gleichen Werte angeben, wie für die L-Räder. Also ging ich zu einem Angestellten und erkundigte mich freundlich auf Japanisch, welches Rad denn nun bei meiner Größe angemessen wäre. Die Antwort überraschte mich, denn im gebrochenen Englisch erklärte mir der Herr, dass ich doch bitte Japanisch sprechen soll, er würde kein Englisch können. Ich stand da wie vor den Kopf geschlagen. Zwar versuchte ich es erneut und er verstand meine Frage. Die Antwort war aber so unbefriedigend, dass ich mir schwor, nie etwas in diesem Laden zu kaufen. Sowieso passiert mir derartiges öfter. Japaner sehen mich und gehen instinktiv davon aus, dass ich nur Englisch könnte und versuchen deshalb, mein Japanisch als Englisch zu verstehen. Zum Glück blieb dies bei der Radsuche aber ein Einzelfall und in anderen Läden entstanden interessante Gespräche, wie das Folgende, welches ich nicht vorenthalten möchte:

R: Ich brauche ein Rad in meiner Größe.

V: Mhhh, kein Problem, wir haben hier Räder in L, das geht bis 190.

R: Ich bin 194 cm.

V: 194, sage ich ja, gar kein Problem….. (Zu sich selber: 194… welches wäre da gut…)…. [überrascht] 194?

R: 194 cm.

V: Wer wird denn so groß? Ähmmmmm, ich muss dringend telefonieren…… [5 min später] Ich habe unseren Großhändler angerufen, das wird schwer. Sie sind wirklich 194 cm groß?

Nach langem hin und her hatte ich mich Anfang Januar aber endlich entschieden und wollte ein Rad kaufen. Zufällig gab es seit diesem Tag aber das Rad nicht mehr, welches ich eigentlich wollte. Die Situation stand also wieder auf Anfang. Während mich mehrere, ebenfalls nicht immer radkundige Menschen berieten, wofür ich mich hiermit noch einmal ausdrücklich bedanken möchte, kristallisierten sich zwei Räder heraus, welche interessant waren. Das eine verfügte dabei über konventionelle Bremsen und das andere über Scheibenbremsen. Beide Typen haben Vor- und Nachteile. Ich hatte mich aber natürlich noch nie mit dem Für und Wider beschäftigt. Erneut gingen Wochen ins Land, ehe ich mich (mehr oder weniger auch durch die Feststellung aller Beteiligter, dass ich mir langsam kein neues mehr kaufen muss, wenn ich mit der Geschwindigkeit weitermache) endlich für mein jetziges Rad entschied. Hoffentlich war es die richtige Entscheidung, aber jetzt ist sie nicht mehr zu ändern. Danke noch einmal an alle Gönner und Berater und entschuldigt mich bitte, es wird Zeit, mein Rad einzufahren und die Stadt weiter zu erkunden!

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/2369/

Dontosai

Es ist früher Montagmorgen und nach einigen Tagen in Tokyo freue ich mich, endlich mal wieder das Büro zu betreten. Immerhin gibt es einiges zu besprechen und das erste Mal meine Kommilitonen im neuen Jahr zu treffen. Eigentlich hätte es mir schon von vornherein komisch vorkommen müssen: Die Straßen sind relativ leer, keine Busse zu sehen und die Polizei fährt verdächtig viele Streifen, irgend etwas konnte nicht richtig sein. An der Uni kam dann die Erleuchtung: Es ist Feiertag. Anfang Januar feiern die Japaner am Sonntag den Übertritt ihrer Kinder ins Erwachsenenalter. Zu diesem Zweck geht es in die Heimat, die teuersten Kimonos werden übergeworfen und dann mit der Familie der örtliche Tempel besucht. Da solche Reisen Zeit brauchen, hat der japanische Staat den folgenden Montag auch gleich noch zum Feiertag ernannt. Schließlich sollen auch wirklich alle Kinder die Möglichkeit haben, diesen Tag zu begehen. Nur einer wurde mal wieder nicht informiert und so saß ich ziemlich alleine im Büro und nutzte die Zeit, meine zusammengescannten Unterlagen aus Tokyo auszudrucken. Immerhin ergaben sich dadurch neue Erkenntnisse.

Seit Monaten plane ich Archivbesuche in die Universitätsarchive von Tokyo. Dort wurde mir erklärt, dass dies momentan wegen Krankheit nicht möglich sei, aber ich mich doch einfach mittels E-Mail an die Verantwortlichen wenden solle. Die Unterlagen würde ich Online finden. Das wäre ja eigentlich kein Problem. In Deutschland sind die Archive auch immer sehr hilfreich und kümmern sich um ihre Nutzer. Nicht so hier in Japan. Auf Anhieb konnte ich keine Seite finden. Wofür habe ich aber eine Tutorin? Kurzerhand kontaktierte ich sie und bat, mir doch die Kontaktdaten herauszusuchen. Schade nur, dass sie das gesamte Konzept Archiv überraschte und sie noch nie von solchen Einrichtungen gehört hat. In meiner Verzweiflung versuchte ich am folgenden Tag, meinen Mitstudenten den Zusammenhang zu erklären, die es ebenfalls einfach nicht verstehen wollten. Also taten sie das einzig Richtige und holten die Sekretärin. Bekanntlich haben wir beide unsere Differenzen, welche sich eigentlich nur darin zeigen, dass sie einfach nicht mit mir spricht. Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Sie sprach mit mir und interessierte sich wirklich für mein Thema. Die Zusammenhänge meiner Arbeit mit Last Samurai, einem ihrer Lieblingsfilme, kannte sie so zum Beispiel noch gar nicht. Dabei basiert die Geschichte lose auf dem Leben eines französischen und eines deutschen Generals. Auch bezeichnend ist wohl, dass sie jetzt nach immerhin vier Monaten verstanden hat, dass ich kein Japanologe sondern Historiker bin. Mit ihrer Hilfe ging die Informationssuche weiter. Sie kennt sich bei Archiven zwar auch nicht aus, verstand aber genug, um zu suchen. Sie fand für mich eine Kontaktperson, an die ich mich jetzt als nächstes wenden werde. Immerhin scheint sich im Büro damit einiges zum Besseren zu wenden. Einen Kawamura kann sie leider zwar noch lange nicht ersetzen, aber mit ihrer Hilfe dürften meine weiteren Forschungen einfacher verlaufen.

Gleichzeitig zeigte es sich am Tag nach dem Feiertag, dass die Polizei nicht deswegen verstärkt Präsenz gezeigt hatte. Ich bemerkte, dass die Straße an meiner Wohnung einmal mehr festlich geschmückt war. Es bestand auch fast keine Möglichkeit, in Richtung Universität zu kommen, da dies entgegen der Stromrichtung vieler Menschen verlief. Es war Dontosai. Das ist ein Fest, bei dem die Glücksbringer des letzten Jahres verbrannt werden, weil sie sonst Unglück bringen würden. Nebenbei gesagt, ist dies eine geniale Marketingkampagne! Auf diese Weise sind die Menschen gezwungen, die überteuerten Glücksbringer erneut zu kaufen. Gleichzeitig wird ein Fest, ähnlich wie ein Osterfeuer, am Tempel veranstaltet. Dazu schicken alle Firmen der Stadt Läufer in Sühneroutfits, um Gaben für das Glück im neuen Jahr zu bringen. Das kann Fisch sein, aber auch andere Gaben sind möglich. Die Outfits entsprechen dabei weißen Binden, welche den Bauch verdecken, aber die Brust und den ganzen Oberkörper der männlichen Läufer frei lassen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist dies eine zumindest fragwürdige Kleidung. Während ich mir das Schauspiel mit kurzärmligem Hemd und Jacke anschaute, trugen die restlichen Zuschauer zumeist mehrere Schichten an Kleidung und Schals und erfreuten sich sichtlich, nicht an dem Fest als Läufer teilnehmen zu müssen. Wer kann es ihnen verübeln?

dontosai-1dontosai-2dontosai-3dontosai-4

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/dontosai/

Reise in die Hauptstadt

Vor dreihundert Jahren musste eine Gesandtschaft der Holländischen Faktorei in Dejima ein bis zwei Mal im Jahr nach Eddo, dem heutigen Tokyo, reisen, um dem Shogun über die neuesten Ereignisse in Europa Bericht zu erstatten. Glücklicherweise sind diese Zeiten lange vorbei, doch lässt sich feststellen, dass immer noch viele Wege nur über Tokyo laufen, besonders was meine Forschungen anbelangt. Dank der durch die Tokugawa Dynastie eingeführten Zentralisierung in die östliche Hauptstadt sah sich auch der Kaiser nach der Rückübernahme der Herrschaft gezwungen, seinen Sitz nach Tokyo zu verlegen.

Dementsprechend wurde Tokyo immer größer und die Anpassung des Landes an die Bedingungen der restlichen Welt gingen zentral von Tokyo aus. Aus diesem Grund gibt es drei Orte, an denen sich die Ausländer nach der Zwangsöffnung Japans sammelten. Tokyo, Yokohama und Kobe waren diese Zentren und die Orte, an denen ich mit meinen Forschungen beginnen muss.

Zu diesem Zweck ging es in der letzten Woche nach Tokyo. Normalerweise ist das eine Reise für das sehr gut ausgebaute Fernbusnetz Japans, aus Zeitgründen genoss ich aber einmal den Luxus eines Shinkansen. Mit 300 km/h erreicht man die Stadt doch um einiges schneller und bequemer. Besonders die Beinfreiheit der Züge hat es mir angetan, denn bequem Reisen ist in Deutschland selbst in den Luxuszügen nicht immer gegeben.

Mein Ziel der Reise war die Ostasiatische Gesellschaft. Sie wurde im neunzehnten Jahrhundert durch die Leute gegründet, die ich derzeit erforsche. Diese Organisation hat eine der besten Bibliotheken über die deutschen Tätigkeiten in Japan. Da ich diese Bibliothek noch einige Zeit nutzen möchte und es im Allgemeinen auch nicht schadet, Kontakte mit den einzelnen Institutionen zu unterhalten, wurde ich gleich im ersten Schritt Mitglied. Begeistert davon erklärte man mir die Bibliothek noch genauer und die Untersuchungen konnten beginnen. Man muss sagen, die erste Person, die ich erforschen will, Max Fesca, scheint dabei ein interessanter Fall zu werden. Fesca veröffentlichte mehrere Artikel in der Vereinszeitschrift und hielt einige Vorträge, aber in der heutigen Zeit hat keiner der Angestellten seinen Namen bisher gehört. Auch die Untersuchung der dazugehörigen Materialien ergaben ein interessantes Bild. So wird er von Bälz, dem vermutlich bekanntesten und wichtigsten Deutschen in Japan zu der betrachteten Zeit, als einer der drei wichtigsten Autoren über Japan genannt. Auch in den Tagebüchern von einigen wichtigen Persönlichkeiten taucht er wie selbstverständlich auf und war die Person, welche man vor dem Verlassen Japans noch einmal treffen musste. Trotz allem ist sein Wirken in den deutschen Quellen auf Nebensätze beschränkt. Der nächste Gang ist deshalb in das Archiv der Tokyo Universität, um seine Akten zu suchen. Diese Anfrage, welche sich als komplizierter erwies, als es in einem deutschen Archiv der Fall sein würde, ist dann im Zusammenhang mit Fesca der nächste Schritt. Trotz allem erweist sich Fesca als eine sehr interessante Person. So konnte ich ein Zitat von ihm auffinden, welches im Zusammenhang eines Vortrags über Landwirtschaft in Japan als Abschlusswort fiel. Er stellte fest, dass, wenn den Japanern eines fehlen würde, dies eindeutig ein anständiger Misthaufen sei. Aber auch neben Fesca war die Bibliothek ziemlich interessant. So ergaben sich Ansätze zu neuen Personen, welchen ich in meinen weiteren Untersuchungen mehr Gewicht einräumen werde.

Auch neben den Forschungen hatte ich eine sehr gute Zeit in Tokyo, wobei ich fast auf dem Bahnhof nächtigen durfte. Als ich erschöpft abends mein Hotel erreichte, konnte der Azubi an der Rezeption meinen Namen in den Buchungen nicht finden. Dieses Problem hätte man leicht aus der Welt schaffen können, wenn er mir einfach mal auf Japanisch berichtet hätte, wo es Probleme gibt. Leider war der Herr der Meinung, ich verstehe nur Englisch und da er nur die Worte „Sorry“, „Thank you“ und „Please wait“ konnte, wurden dies sehr anstrengende 15 Minuten, in denen er sich tausendmal entschuldigte und mich immer wieder alleine ließ, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was er denn überhaupt wollte. Als es mir dämmerte, dass er meinen Namen nicht findet, erklärte ich ihm, dass meine Buchungswebsite auf eine japanische Umschrift bestand. Also suchte er auf Japanisch, ohne mich aussprechen zu lassen, dass eine Umschrift immer eine Lautumschrift ist und deshalb anstelle eines „re i“ ein „ra i“ zu suchen ist. So vergingen wieder kostbare Minuten, bis ich ihm dann doch meine Registrierung unter die Nase hielt. Aber er konnte mich immer noch nicht finden. Langsam reichte es mir und ich überlegte schon, welcher Japaner mir um diese Uhrzeit noch Asyl anbieten würde, als ich ihm eine letzte Chance gab und auf Japanisch meinen Namen noch einmal laut nannte. Jetzt kapierte er, dass ich besagte Person auf der Reservierung war. Meinen Nachnamen konnte er finden, aber da ja ein anderer Vorname da war, konnte ich das ja nicht sein. Schon alleine, dass er lieber mit seinem Vorgesetzten sprach, als einfach mich zu fragen, ließ mich nur ungläubig zurück. Zum Glück war es aber endlich in Ordnung und ich erhielt für einen super Preis ein perfektes Zimmer, auch wenn ich der Meinung war, dass ein Manga über die Geschichte des Hotels auf dem Zimmer doch etwas übertrieben war.

Damit war mein Tag aber noch nicht zu Ende. Nun ging es zum angenehmen Teil des Lebens über. Ich traf meine alte Freundin Yuka und wir hatten einen tollen Abend in einem Fischrestaurant. Neunzig Prozent der Leute, die ich kenne, hätten zwar bei dem Essen etwas geschluckt, denn zum Beispiel frittierte Tintenfischsaugnäpfe ist nicht gerade Standardessen in Europa, aber es war sehr lecker und wir hatten eine schöne Zeit.

yukaessen

So verbrachte ich drei Tage über Büchern, bis es wieder in das beschaulichere Sendai ging, wo ich jetzt einige Tage brauchen werde, um mich mit dem Gefundenen auseinanderzusetzen. Auf jeden Fall werde ich die Tour nach Tokyo nun häufiger machen, denn nur so kann ich die Resultate erreichen, welche ich für meine Forschungen benötige.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/reise-in-die-hauptstadt/

Wer braucht schon Schlüssel?

Wir merken, mein Weihnachten war nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es kann ja nicht immer so laufen. Es gibt ja noch das Neujahr und das ist auch viel wichtiger, als Weihnachten. Der Finger ist halb verheilt, mit Norihiro, meinem alten Kumpel, ist ausgemacht, dass wir uns im Büro treffen und dann eventuell etwas zusammen unternehmen. Nachdem Professor Morimoto sich am Vortag erst lustig gemacht hatte, dass wir uns doch gefälligst ein Leben suchen sollen, weil wir abends noch im Büro saßen, war dieser Punkt eigentlich Ehrensache. Wobei, mein werter Professor soll sich nicht beschweren, schließlich saß er auch am 30.12. um 18 Uhr noch im Büro, wenn das keine Arbeitsmoral ist, weiß ich es auch nicht. Meine Spiegelreflexkamera war auch eingepackt und bereit, um Mitternacht die besten Fotos vom Tempel zu knipsen, die ich je gemacht habe. Was könnte schon schiefgehen?

Eigentlich alles, schließlich wäre das Leben ja auch viel zu langweilig, wenn alles nach Plan verläuft. Da muss man schon selber für etwas Stimmung sorgen. Als ich gegen drei Uhr das Büro betrat, gab es die erste Überraschung: Norihiro war nicht da. Bis heute weiß ich nicht genau, was ihm dazwischen gekommen ist, aber ich hatte ja eh noch Zeit und wollte sowieso  noch ein paar Dokumente lesen. Doch plötzlich klingelte das Telefon. Lars rief aus Deutschland an und in meinem Büro saß noch eine Person, welche ausgiebig an ihrer Masterarbeit schrieb. Ich entschuldigte mich für das Klingeln, ließ meine Sachen liegen und begab mich in den gegenüber liegenden Nachbarraum, den man nur mit einem Schlüssel aus dem Hauptbüro betreten kann. Es ist hinlänglich bekannt, dass die meisten Leute, die dort hingehen, ihre Sachen im Büro liegen lassen und man nachfragt, bevor man das Hauptbüro abschließt, aber leider war es Silvester und normale Dinge zählen nicht. Nach einer halben Stunde Gespräch mit Lars erinnerte ich mich an meinen Schlüssel und beschloss, ihn lieber zu holen. Ich wollte ja nicht, dass noch ein Unglück geschieht, aber es war zu spät. Die Dame war gegangen und meine Tasche, mein Büro- und Haustürschlüssel und natürlich meine Kamera lagen allesamt im Büro und ich hatte kein Mittel, um sie zu erreichen. Ich tat das einzig Logische und rief bei Norihiro an, der leider nicht heranging und den ganzen Abend nicht zurückrief. Da stand ich nun, mit einer Strickjacke, einem Schlüssel für das falsche Büro und Lars am Telefon, welcher mir moralischen Beistand leistete. Was sollte ich machen?

Nachdem nach über einer Stunde noch kein Lebenszeichen von meinen Mitstudenten auftauchte entschied ich, bei Temperaturen um 0 Grad nach Hause zu laufen und den dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite ansässigen Norihiro direkt aufzusuchen. Es kam, wie es kommen musste, er öffnete natürlich nicht. Ich holte mein Rad und fuhr wieder zurück zu meinem Büro. Mittlerweile waren drei Stunden vergangen, Lars war immer noch nahe des Telefons, meine Suche nach einem Hausmeister erwies sich auch nicht als erfolgreich und eine leichte Unterkühlung hatte ich mir auf dem Rad auch noch zugezogen. Perfekt, warum sollte nach dem blutigen Weihnachten auch mein Neujahr klappen? Ich konnte ja im Büro schlafen. Langsam genervt von der Situation fing ich an, bei anderen Laboren zu klopfen. Die meisten mit Licht hatten natürlich vergessen, das Selbige beim Verlassen auszumachen und das, wo ich besonders Hoffnung in die englische Literatur gesetzt hatte, die eventuell ja meine Erklärung des Problems verstanden hätte. Schweren Herzens versuchte ich es bei den Franzosen. Man kennt ja die Bereitschaft der echten Nation, Englisch zu sprechen und nach den Erfahrungen mit meinem Lab hatte ich kaum Hoffnung, dass sie mich verstehen würden. Zu meiner Überraschung war eine Studiengruppe von 6 Leuten da, welche mich mit Tee aufwärmten, gutes Englisch sprachen und dazu ihren Professor zuhause rausklingelten, der ihnen erklärte, wo ein Zentralschlüssel zu finden sei. Zusammen ging es also zum Wachmann, der mich endlich an meine Sachen kommen ließ. Eigentlich hatte ich für mein Lab eine große Packung von Süßigkeiten von der MafuMafu-Weihnachtsparty mitgebracht, nach der Aktion hatten sie es aber nicht mehr verdient und die rettenden Franzosen bekamen die Sachen. Mein Büro kann sich dagegen schon mal freuen, wenn die Feierlichkeiten zu Ende sind. Das muss noch mal ausgewertet werden.

Auf jeden Fall schaffte ich es gegen 19 Uhr nach Hause und anstelle meines geplanten Ganges in die Innenstadt, blieb ich zuhause und verbrachte die nächsten Stunden in Ruhe und Gemütlichkeit. Erst um 23.30 Uhr ging es los in den benachbarten Tempel, wo schon eine ewig lange Schlange bereitstand, um in den Tempel zu gehen. So wichtig ist mir das Beten nicht, denn ich will ja Bilder machen, also schlich ich mich auf Umwegen nach vorne, um einige Fotos zu machen, nur um bei den Neujahrstrommeln in den Tempel geschliffen zu werden und nach fünf Minuten schon meine Neujahrsglocken zu klingeln. Nach all den Erlebnissen des Tages musste ich mir natürlich auch eine Zukunftsvorhersage besorgen, schließlich kann es nach den letzten zwei Wochen nur vorwärts gehen und was soll ich sagen, mittleres Glück steht im nächsten Jahr an. Da ich letztes Neujahr eine Vorhersage für schlechtes Glück hatte, welches mir nur versicherte, dass ich dorthin komme, wo ich hin möchte, ist das eine klare Steigerung.

Ich freue mich auf das neue Jahr und wünsche allen ein frohes und gesundes Jahr 2014!

imgp0137

imgp0161

imgp0177

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/wer-braucht-schon-schluessel/

Es weihnachtet sehr

Wir schreiben den 24. Dezember 2013 und nach europäischen Standards steht Weihnachten vor der Tür. Während in Europa die Weihnachtsbäume geschmückt werden und die Kinder auf die Geschenke starren, ist hierzulande Weihnachten nur das Fest für Verliebte. Man geht mit der Freundin aus, schenkt den Kindern eventuell eine Kleinigkeit, aber ansonsten läuft das Fest ganz normal ab. Zu allem Überfluss ist auch nur Silvester das wirklich wichtige Fest, das man mit seiner Familie verbringt. Da man als guter Student natürlich nicht in der gleichen Stadt wohnt wie die Eltern, verschwinden so langsam alle Japaner in Richtung der Heimat, um mit ihren Familien zu feiern. Da es gleichzeitig auch die Ausländer wie Orsolya in  Richtung Heimat zu ihren Familien zieht, ist das Leben in Sendai ruhiger geworden, wenn nicht eventuell sogar etwas langweilig. Was liegt also näher, als selber für etwas Spannung zu sorgen.

Es ist Weihnachtsmorgen, eigentlich habe ich nur zwei Pläne: Erst einmal will ich die Fahrräder von Orsolya und mir wintertüchtig machen und dann Weihnachten mit den wenigen verbliebenen Japanern in meinem Büro verbringen. Was ich bei dieser Planung nicht bedacht habe war, dass die Gangschaltung von Orsolyas Fahrrad etwas dagegen haben könnte. Auf unerklärliche Weise schnitt ich mir den halben linken Zeigefinger beim Reparieren auf. An sich finde ich derartige Wunden nicht weiter tragisch, sie bluten halt nur ein wenig. Aber ist Weihnachten nicht eh mit der Farbe Rot verbunden? Kurzerhand suchte ich etwas Küchenpapier und das „Ilka mega-deluxe Survival-Paket“ für Unfälle aller Art heraus, welches meine Mutter mir für den Notfall in meine Tasche gesteckt hat. Mit einer interessanten Konstruktion verband ich den Finger, nicht ohne wunderschöne rote Handabdrücke auf der Tür zu hinterlassen, um die mich jeder Horrorfilm beneidet hätte und welche ich noch tagelang entfernen durfte.

Gut, das Blut wurde aufgefangen, aber die Lust auf Fahrrad war mir herzlich vergangen. Dann gehe ich halt zum zweiten Tagespunkt über, das Büro. Auf dem Weg dorthin rief noch Orsolya an und meinte, ob ich nicht doch lieber einen Arzt besuchen wollte. Kein Problem, ein wenig desinfizieren kann ich bestimmt auch im Büro, so ein Gebäude sollte doch ein Erste Hilfe Set rumstehen haben. Dem war leider nicht so, aber eine sehr besorgte 25jährige Japanerin opferte sehr besorgt ihre Bärchenpflaster für meinen Finger. Man stelle sich das mal vor: 25jährige Japaner benutzen Pflaster, für dich sich bei uns im Lande jedes Kind über zehn schämen würde! Anbringen musste das Pflaster ein Kommilitone, der halb in Ohnmacht fiel und blind arbeitete. Na gut, die Reaktion überzeugte mich, ich beschloss doch mal meinen Arzt aufzusuchen. So konnte ich auch wenigstens die seltsamen Pflaster wieder loswerden. Vorher musste aber noch für die Anwesenden eine Entschuldigung für das Nichterscheinen beim Unterricht am nächsten Tag erstellt werden, da die Anwesenden einen Tag vorher in die Heimat wollten. So viel Zeit muss sein!

Kurzerhand ging ich zu meinem alten Hausarzt, welcher mich gleich fachmännisch versorgte und sich sehr freute, mit einem Deutschen zu arbeiten. Bei jedem Schritt erklärte er seiner Schwester die deutschen Fachbegriffe wie „Schnittwunde“ und freute sich wie ein Kind, dass er nach vierzig Jahren sein Universitätsdeutsch noch konnte. Auf jeden Fall ist ansonsten nichts Schlimmes geschehen und am Abend konnte ich noch mein Weihnachtsgeschenk aus Deutschland öffnen, für welches ich mich auf diesem Weg noch einmal herzlich bedanken will. Ich versuche die nächsten Tage dann mal, etwas vorsichtiger zu sein.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://rj-webspace.de/es-weihnachtet-sehr/