Wer braucht schon Schlüssel?

Wir merken, mein Weihnachten war nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber es kann ja nicht immer so laufen. Es gibt ja noch das Neujahr und das ist auch viel wichtiger, als Weihnachten. Der Finger ist halb verheilt, mit Norihiro, meinem alten Kumpel, ist ausgemacht, dass wir uns im Büro treffen und dann eventuell etwas zusammen unternehmen. Nachdem Professor Morimoto sich am Vortag erst lustig gemacht hatte, dass wir uns doch gefälligst ein Leben suchen sollen, weil wir abends noch im Büro saßen, war dieser Punkt eigentlich Ehrensache. Wobei, mein werter Professor soll sich nicht beschweren, schließlich saß er auch am 30.12. um 18 Uhr noch im Büro, wenn das keine Arbeitsmoral ist, weiß ich es auch nicht. Meine Spiegelreflexkamera war auch eingepackt und bereit, um Mitternacht die besten Fotos vom Tempel zu knipsen, die ich je gemacht habe. Was könnte schon schiefgehen?

Eigentlich alles, schließlich wäre das Leben ja auch viel zu langweilig, wenn alles nach Plan verläuft. Da muss man schon selber für etwas Stimmung sorgen. Als ich gegen drei Uhr das Büro betrat, gab es die erste Überraschung: Norihiro war nicht da. Bis heute weiß ich nicht genau, was ihm dazwischen gekommen ist, aber ich hatte ja eh noch Zeit und wollte sowieso  noch ein paar Dokumente lesen. Doch plötzlich klingelte das Telefon. Lars rief aus Deutschland an und in meinem Büro saß noch eine Person, welche ausgiebig an ihrer Masterarbeit schrieb. Ich entschuldigte mich für das Klingeln, ließ meine Sachen liegen und begab mich in den gegenüber liegenden Nachbarraum, den man nur mit einem Schlüssel aus dem Hauptbüro betreten kann. Es ist hinlänglich bekannt, dass die meisten Leute, die dort hingehen, ihre Sachen im Büro liegen lassen und man nachfragt, bevor man das Hauptbüro abschließt, aber leider war es Silvester und normale Dinge zählen nicht. Nach einer halben Stunde Gespräch mit Lars erinnerte ich mich an meinen Schlüssel und beschloss, ihn lieber zu holen. Ich wollte ja nicht, dass noch ein Unglück geschieht, aber es war zu spät. Die Dame war gegangen und meine Tasche, mein Büro- und Haustürschlüssel und natürlich meine Kamera lagen allesamt im Büro und ich hatte kein Mittel, um sie zu erreichen. Ich tat das einzig Logische und rief bei Norihiro an, der leider nicht heranging und den ganzen Abend nicht zurückrief. Da stand ich nun, mit einer Strickjacke, einem Schlüssel für das falsche Büro und Lars am Telefon, welcher mir moralischen Beistand leistete. Was sollte ich machen?

Nachdem nach über einer Stunde noch kein Lebenszeichen von meinen Mitstudenten auftauchte entschied ich, bei Temperaturen um 0 Grad nach Hause zu laufen und den dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite ansässigen Norihiro direkt aufzusuchen. Es kam, wie es kommen musste, er öffnete natürlich nicht. Ich holte mein Rad und fuhr wieder zurück zu meinem Büro. Mittlerweile waren drei Stunden vergangen, Lars war immer noch nahe des Telefons, meine Suche nach einem Hausmeister erwies sich auch nicht als erfolgreich und eine leichte Unterkühlung hatte ich mir auf dem Rad auch noch zugezogen. Perfekt, warum sollte nach dem blutigen Weihnachten auch mein Neujahr klappen? Ich konnte ja im Büro schlafen. Langsam genervt von der Situation fing ich an, bei anderen Laboren zu klopfen. Die meisten mit Licht hatten natürlich vergessen, das Selbige beim Verlassen auszumachen und das, wo ich besonders Hoffnung in die englische Literatur gesetzt hatte, die eventuell ja meine Erklärung des Problems verstanden hätte. Schweren Herzens versuchte ich es bei den Franzosen. Man kennt ja die Bereitschaft der echten Nation, Englisch zu sprechen und nach den Erfahrungen mit meinem Lab hatte ich kaum Hoffnung, dass sie mich verstehen würden. Zu meiner Überraschung war eine Studiengruppe von 6 Leuten da, welche mich mit Tee aufwärmten, gutes Englisch sprachen und dazu ihren Professor zuhause rausklingelten, der ihnen erklärte, wo ein Zentralschlüssel zu finden sei. Zusammen ging es also zum Wachmann, der mich endlich an meine Sachen kommen ließ. Eigentlich hatte ich für mein Lab eine große Packung von Süßigkeiten von der MafuMafu-Weihnachtsparty mitgebracht, nach der Aktion hatten sie es aber nicht mehr verdient und die rettenden Franzosen bekamen die Sachen. Mein Büro kann sich dagegen schon mal freuen, wenn die Feierlichkeiten zu Ende sind. Das muss noch mal ausgewertet werden.

Auf jeden Fall schaffte ich es gegen 19 Uhr nach Hause und anstelle meines geplanten Ganges in die Innenstadt, blieb ich zuhause und verbrachte die nächsten Stunden in Ruhe und Gemütlichkeit. Erst um 23.30 Uhr ging es los in den benachbarten Tempel, wo schon eine ewig lange Schlange bereitstand, um in den Tempel zu gehen. So wichtig ist mir das Beten nicht, denn ich will ja Bilder machen, also schlich ich mich auf Umwegen nach vorne, um einige Fotos zu machen, nur um bei den Neujahrstrommeln in den Tempel geschliffen zu werden und nach fünf Minuten schon meine Neujahrsglocken zu klingeln. Nach all den Erlebnissen des Tages musste ich mir natürlich auch eine Zukunftsvorhersage besorgen, schließlich kann es nach den letzten zwei Wochen nur vorwärts gehen und was soll ich sagen, mittleres Glück steht im nächsten Jahr an. Da ich letztes Neujahr eine Vorhersage für schlechtes Glück hatte, welches mir nur versicherte, dass ich dorthin komme, wo ich hin möchte, ist das eine klare Steigerung.

Ich freue mich auf das neue Jahr und wünsche allen ein frohes und gesundes Jahr 2014!

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