Wir schreiben den 24. Dezember 2013 und nach europäischen Standards steht Weihnachten vor der Tür. Während in Europa die Weihnachtsbäume geschmückt werden und die Kinder auf die Geschenke starren, ist hierzulande Weihnachten nur das Fest für Verliebte. Man geht mit der Freundin aus, schenkt den Kindern eventuell eine Kleinigkeit, aber ansonsten läuft das Fest ganz normal ab. Zu allem Überfluss ist auch nur Silvester das wirklich wichtige Fest, das man mit seiner Familie verbringt. Da man als guter Student natürlich nicht in der gleichen Stadt wohnt wie die Eltern, verschwinden so langsam alle Japaner in Richtung der Heimat, um mit ihren Familien zu feiern. Da es gleichzeitig auch die Ausländer wie Orsolya in Richtung Heimat zu ihren Familien zieht, ist das Leben in Sendai ruhiger geworden, wenn nicht eventuell sogar etwas langweilig. Was liegt also näher, als selber für etwas Spannung zu sorgen.
Es ist Weihnachtsmorgen, eigentlich habe ich nur zwei Pläne: Erst einmal will ich die Fahrräder von Orsolya und mir wintertüchtig machen und dann Weihnachten mit den wenigen verbliebenen Japanern in meinem Büro verbringen. Was ich bei dieser Planung nicht bedacht habe war, dass die Gangschaltung von Orsolyas Fahrrad etwas dagegen haben könnte. Auf unerklärliche Weise schnitt ich mir den halben linken Zeigefinger beim Reparieren auf. An sich finde ich derartige Wunden nicht weiter tragisch, sie bluten halt nur ein wenig. Aber ist Weihnachten nicht eh mit der Farbe Rot verbunden? Kurzerhand suchte ich etwas Küchenpapier und das „Ilka mega-deluxe Survival-Paket“ für Unfälle aller Art heraus, welches meine Mutter mir für den Notfall in meine Tasche gesteckt hat. Mit einer interessanten Konstruktion verband ich den Finger, nicht ohne wunderschöne rote Handabdrücke auf der Tür zu hinterlassen, um die mich jeder Horrorfilm beneidet hätte und welche ich noch tagelang entfernen durfte.
Gut, das Blut wurde aufgefangen, aber die Lust auf Fahrrad war mir herzlich vergangen. Dann gehe ich halt zum zweiten Tagespunkt über, das Büro. Auf dem Weg dorthin rief noch Orsolya an und meinte, ob ich nicht doch lieber einen Arzt besuchen wollte. Kein Problem, ein wenig desinfizieren kann ich bestimmt auch im Büro, so ein Gebäude sollte doch ein Erste Hilfe Set rumstehen haben. Dem war leider nicht so, aber eine sehr besorgte 25jährige Japanerin opferte sehr besorgt ihre Bärchenpflaster für meinen Finger. Man stelle sich das mal vor: 25jährige Japaner benutzen Pflaster, für dich sich bei uns im Lande jedes Kind über zehn schämen würde! Anbringen musste das Pflaster ein Kommilitone, der halb in Ohnmacht fiel und blind arbeitete. Na gut, die Reaktion überzeugte mich, ich beschloss doch mal meinen Arzt aufzusuchen. So konnte ich auch wenigstens die seltsamen Pflaster wieder loswerden. Vorher musste aber noch für die Anwesenden eine Entschuldigung für das Nichterscheinen beim Unterricht am nächsten Tag erstellt werden, da die Anwesenden einen Tag vorher in die Heimat wollten. So viel Zeit muss sein!
Kurzerhand ging ich zu meinem alten Hausarzt, welcher mich gleich fachmännisch versorgte und sich sehr freute, mit einem Deutschen zu arbeiten. Bei jedem Schritt erklärte er seiner Schwester die deutschen Fachbegriffe wie „Schnittwunde“ und freute sich wie ein Kind, dass er nach vierzig Jahren sein Universitätsdeutsch noch konnte. Auf jeden Fall ist ansonsten nichts Schlimmes geschehen und am Abend konnte ich noch mein Weihnachtsgeschenk aus Deutschland öffnen, für welches ich mich auf diesem Weg noch einmal herzlich bedanken will. Ich versuche die nächsten Tage dann mal, etwas vorsichtiger zu sein.
Neueste Kommentare