Es gibt viele Sachen, an welche man sich gewöhnt, wenn man eine Weile in Japan gelebt hat. Diese gewohnte Freundlichkeit und das Niveau der Japaner lässt einen innerlich immer zusammenzucken, wenn man wieder einmal auf einen ungehobelten Ausländer trifft, welcher sich nicht zu benehmen weiß. Auch das Verbeugen geht mit der Zeit ins Blut, aber auch die Pünktlichkeit der Bahn ist hierzulande legendär. Nur einmal, und dann bei einer Regionalbahn, habe ich hier eine Verspätung erlebt. Ich spreche hier noch nicht einmal von den 1-Stunden-Verspätungen, wie die Bahn sie auf meinen Strecken in Deutschland gerne mal hat, sondern noch nicht einmal 1 Minute ist ein Zug hierzulande zu spät. Nach all der Erfahrung ist die Überraschung für jemanden aber umso größer, wenn es doch einmal passiert. Nachdem meine Forschungen in Tokyo endlich abgeschlossen waren, hieß es heute für mich, die Sachen zu packen und zurück nach Sendai zu reisen. Zeit wurde es, ich vermisste meine Millionenstadt an der Ostküste schon sehr und kann mir immer noch nicht vorstellen, wie es sein soll, nicht zu wissen, wann ich das nächste Mal hierher zurückkomme. Auch Orsolyas Vater konnte endlich von der Schönheit des Landes überzeugt werden und er hatte unter Schwüren, dass er wiederkommt, wieder im Flugzeug Platz genommen. Um etwas Zeit zu sparen, entschieden wir uns, mit dem Zug heimzufahren.
So standen wir also auf der Abfahrplattform des Tokyoter Bahnhofes, als plötzlich die Erde bebte. Das ansich ist nichts besonderes, schließlich bebt die Erde in Japan regelmäßig, nur die Dauer des Bebens überraschte. Kaum hatte es aufgehört, ging es dann auf einmal schon wieder weiter und diesmal länger und stärker, so dass alles auf dem Bahnhof wackelte. Böse Erinnerungen an das große Erdbeben 2011 kamen auf und einigen der Wartenden war der Schrecken sichtlich in die Knie gefahren. Schließlich hatten die Meisten, die jetzt nach Sendai fahren wollten, im Jahr 2011 das große Erdbeben live miterlebt und werden es wohl nie vergessen. Zu unserem Glück war es aber nicht das große Erdbeben, welches seit Jahrzehnten in Tokyo überfällig ist, sondern nur ein Seebeben an der Küste Tokyos. Damit war das Desaster aber trotzdem angerichtet. Unser Zug fuhr zwar ein, wir wurden aber aufgefordert, bitte noch nicht einzusteigen, während die Strecke und der Zug überprüft wurden. Sie hatten es dabei noch nicht einmal geschafft, den Zug an der richtigen Stelle zu parken und waren darüber sichtlich selber überrascht, als einige besorgte Japaner dem Bahnpersonal von diesem Problem berichteten. Nach zehn Minuten konnten wir dann doch einsteigen und in mir keimte die Hoffnung, bald zu Hause zu sein. Leider wurde daraus nicht. Der Bahnmitarbeiter entschuldigte zwar seine Kollegen regelmäßig, es war aber ein Zug auf der Strecke liegengeblieben und wir kamen nicht aus Tokyo heraus. Mehr noch, die Entschuldigungen des Bahnmitarbeiters klangen sehr leidend und obwohl er ja eindeutig nichts für die Probleme konnte, klang er, als ob er befürchtete, gleich rituellen Selbstmord für das Versagen nehmen zu müssen. Dazu kam es hoffentlich nicht, wir steckten aber halt trotzdem fest. Schlimmer noch, es war nicht klar, wie lange es noch dauern sollte. Es vergingen zwei Stunden, während wir im Zug auf dem Bahnhof gefangen waren und mit ansehen mussten, wie auch noch alle Läden im Schnellzugbereich schlossen und wir damit auch noch von Lebensmitteln und Getränken abgeschnitten wurden. Endlich, nach zwei Stunden, setzte sich der Zug in Bewegung und aus unserem Schnellzug, welcher eigentlich nur an drei Stationen halten sollte, wurde die langsame Edition, welche jede Station anlief, um auch die Nachzügler, deren Züge ganz wegfielen, nach Hause zu bringen.
Ich muss sagen, ich habe schon viele Zugprobleme miterlebt, aber dieses war das unkomplizierteste und durchorganisierteste von allen. Keiner der Kunden murrte, es gab regelmäßige Durchsagen und bei der Ankunft am Bahnhof lange nach Mitternacht gab es beim Auschecken unkompliziert einen Stempel auf die Karte, mit der wir morgen den halben Fahrpreis zurückbekommen werden. Unkomplizierter geht es nicht. Bei einigen der Sachen könnte sich die Bahn in Deutschland da wirklich einmal eine Scheibe abschneiden.
Was wir aber danach sahen, war ein Schauspiel sondergleichen: In Sendai regnete es und nach Mitternacht ist der gesamte Nahverkehr der Stadt eingestellt. Nicht einmal Nachtbusse verkehren und dementsprechend scharten sich die Leute um die Taxistände, welche heute extremen Umsatz machen sollten. Während sich aber in Europa nun Gespräche entwickeln würden, welche zu Fahrgemeinschaften führen würden, wenn man in die selbe Richtung möchte, so fuhr hier wirklich jeder für sich. Es bildeten sich drei Schlangen mit jeweils 150 Leuten und im Minutentakt kamen Taxis angerauscht, welche eine einzelne Person in Sekunden aufnahmen und dann mit quietschenden Reifen wieder losfuhren. Tja, so kann man auch seine Wirtschaft unterstützen. Ich war nur froh, relativ weit vorne in der Schlange gewesen zu sein, wodurch ich nach zehn Minuten endlich endgültig Richtung Heimat aufbrechen konnte.
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