Oktober 2014 Archiv

Die Nachtschicht

Wer kennt das als Student nicht: Der Unterricht wird länger und länger, während ein Professor mal wieder über die Unterschiede von Schuhleistenkeilen schwadroniert. Geschlafen hat man natürlich ebenfalls nicht genug und eigentlich wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt, um diesen Schlaf nachzuholen oder um mit dem Handy etwas zu surfen. Der Professor an der Tafel wird es schon nicht bemerken, schließlich haben wir alle Tricks drauf und wissen, mit solchen Situationen umzugehen. Soweit die normale Einschätzung von Studenten und natürlich auch zu Schulzeiten im täglichen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Lehrkräften und Schülern.

Tja, leider sieht die Lehrkraft halt eigentlich doch alles und man muss von Glück reden, wenn diese aus Freundlichkeit oder Ignoranz nicht reagiert. In meinem Deutschkurs mache ich auch immer wieder die Entdeckung, dass die Studenten denken, ich kenne die Tricks nicht. Besonders betraf das eine Studentin, welche der Meinung war, sie könne die Aufforderung, die letzte Reihe zu räumen und sich nach vorne zu setzen, umgehen, indem sie sich hinter einem großen und breiten Japaner versteckt. Leider hatte sie die Rechung ohne mich und meine Körpergröße gemacht. Bei der Professorin mit ihren 1,60 m hätte es wohl geklappt. Mehr verwunderte mich aber die Gelassenheit, mit der japanische Professoren in solchen Situationen mit den Studenten umgehen. Ich würde einfach aus Prinzip die schlafenden Studenten rannehmen, um von ihnen auf diese Weise eine Besserung zu erzwingen. Dagegen werden hierzulande die Studenten noch entschuldigt. Sie müssen ja so hart arbeiten und deshalb müsse man da auch Rückssicht nehmen. Als jemand, der die japanische Arbeitsweise an der Uni kennt, fand ich die Einschätzung schon fragwürdig, aber am Mittwoch konnte ich am eigenen Leib erfahren, wie hier in Japan gearbeitet wird:

Nach einem langen Tag mit Arbeiten und lab_2Forschen entschied ich mich um 8.00 Uhr, doch einmal nach Hause zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt erschienen Norihiro und Shimizu im Lab. Besonders Norihiro sehe ich in letzter Zeit fast gar nicht und immer wieder erklärt mir Shimizu, der im Lab zu wohnen scheint, dass Norihiro doch täglich da wäre. In der Nacht sollte ich dann erfahren, dass dem wirklich so ist. Es handelt sich nur um etwas andere Arbeitszeiten. In Vorbereitung auf das DFB Pokalspiel am selben Tag um drei Uhr morgens, musste ich feststellen, dass mein Tab, auf dem ich Ticker lesen wollte, zu Hause nicht auffindbar war. Zum Glück habe ich ja wieder ein Fahrrad und zur Uni ist es nicht weit. So ging es um 1.30 Uhr noch einmal schnell los. Entgegen der Erwartung, fand ich aber keine Universität vor, welche komplett verlassen war, sondern überall war noch Licht an. So fand ich also um 1.30 Uhr Shimizu und Norihiro in unserem Lab sitzend vor und sie waren in die Sagen von Troja vertieft. Kein Wunder, dass ich Norihiro nie treffe, wenn er sich zur Geisterstunde im Lab aufhält! Es ist wohl einfach so, dass Japaner zwar sehr arbeitsam sind, aber sich auch leicht ablenken lassen. lab_1Anstatt einfach durchzuarbeiten, gibt es immer Kleinigkeiten, die wichtiger sind und aus diesem Grund braucht alles halt ein wenig länger. In diesem Fall ging es um das Lesen und Übersetzen der Sagen, welches die Beiden für einen freiwilligen Literaturzirkel bearbeiten müssen. Dabei wird von einer griechischen Sage in Versform eine Grammatikanalyse vorgenommen, was ich persönlich eigentlich relativ sinnlos finde. Aber jedem das Seine! Im Endeffekt konnte ich die Beiden nicht leiden sehen und half ihnen noch ein wenig, eh es zum Spiel nach Hause ging. In Zukunft werde ich wohl etwas mehr Verständnis für meine Studenten zeigen müssen, wenn diese ebenso Nachtschichten übernehmen, wie es bei den Beiden der Fall war.

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Der Oktober in Sendai

Orsolya hat ein gutes Leben! Erst hat sie für zwei Wochen eine Tagung in San Franzisco und jetzt auch noch drei Tage in Shizuoka. Ich habe wirklich das Falsche studiert, da ich irgendwie nie Tagungen habe. Wobei, im Endeffekt konnte ich bis jetzt schon zwei Jahre meines Lebens für mein Studium in Japan verbringen, was wohl auch nicht so schlecht ist! Auf jeden Fall sollte man meinen, dass ohne sie und mit dem konstanten Regen, welchem wir seit Wochen ausgesetzt sind, das Leben hier ruhiger wird. Aber weit gefehlt! Seit Shimizu wieder da ist, ist das Leben in Sendai interessanter geworden. Ich bin eingebunden in den Alltag der Japaner und so langsam sehen es auch einige, dass ich so etwas wie ein Senpai bin, also ein älterer Student. Diesem soll zwar Respekt entgegengebracht werden, dafür soll dieser aber auch bereit sein, den jüngeren Studenten zu helfen. Wenn ich also nicht Sachen zu meiner Doktorarbeit lese, bin ich immer mehr in den Uniprozess eingebunden. Eine Mitstudentin will sich zum Beispiel für ein Auslandsjahr in Saarbrücken bewerben und ich sollte ihr die Details dafür herausfinden. Schade nur, dass wir, nachdem ich eine ganze Weile an diesen Unterlagen saß, feststellten, dass sie sich nicht einschreiben will, wie sie erst behauptete. Sie will nur einen Austausch machen, der komplett von der Uni hier organisiert wird. Ein anderer Student möchte nach Wien und hat zu diesem Zweck unser Lab aufgesucht, um mit Norhiro oder Shimizu darüber zu sprechen und die Hilfe für eine Übersetzung zu erbitten. Leider waren beide nicht da und so musste ich ihm Kästners bildhafte Sprache irgendwie erklären. Ich frage mich wirklich, wie der Student in Wien überleben will. Zum einen kann er kein Deutsch und zum anderen ist sein Englisch fast nicht existent. Das wird nie etwas! Aber er soll machen, was er denkt.

Aber auch ansonsten gibt es viel Interaktion zwischen Studenten. Ich habe das Gefühl, es handelt sich um einiges mehr an Interaktion, als sie in Göttingen vorkommt. Während in Göttingen oftmals ein Art Wettbewerbsgedanke existiert und die Leute nur in ihren Gruppen bleiben, so ist hier in Sendai das Ziel das gemeinsame Bestehen, was ich als sehr angenehm empfinde. So philosophiere ich zum Beispiel nur allzu gerne mit einer Bekannten über ihre Masterarbeit über deutsche Glücksbringer, denn woher soll sie es denn sonst auch lernen. Es ist nicht so, als ob die Professoren ihr helfen würden und Bücher sind halt doch sehr theoretisch. Übertrieben wird es nur in gewissen Fällen. Vielen Studenten wird hier beigebracht, internationale Quellen zu lesen. Leider wird dies so interpretiert, dass man auch in der Sprache des Landes lesen muss, über das man schreibt. So hatte eine Bekannte von Mai einen Vortrag über das Bankenwesen in Rotterdam in der frühen Neuzeit und sie wollte dazu Quellen auf Niederländisch lesen. Das wäre an sich ja kein Problem, wenn sie die Sprache könnte. So erschien Mai vor mir und bat mich, doch bitte den Text zu lesen. Niederländisch mag zwar nahe am Deutsch sein, aber trotzdem braucht man viel Fantasie. Besonders beim Chronistenniederländisch aus dem 17. Jahrhundert wird das aber schon leicht fragwürdig. Drei Stunden saß ich an der Übersetzung, nur damit wir später herausfanden, dass in der Quelle gar nicht stand, was die Studentin wissen wollte. Eine Doktorandin hatte wirklich noch nicht gehört, wie Fußnoten in der Forschung funktionieren. Sie hatte eine Fußnote gefunden und daraus geschlossen, dass dort weiterführende Informationen zu ihrem Thema stehen müssen. Leider war es aber nur eine Belegfußnote, welche auf den vollen Beschluss einer Ratssitzung verwies, welche im Fließtext nur in einem Nebensatz erwähnt wurde. So musste ich einer Doktorandin wirklich noch die fundamentalsten Dinge über Forschung erklären und Material ausfindig machen. Ein wenig fragwürdig ist das schon. Die Frage kommt da auf, ob ich nicht gleich die ganze Arbeit hätte hier schrieben sollen, wo augenscheinlich weniger Qualität erwartet wird. Vermutlich ist es aber für die Zukunft eh besser, mehr Mühe investiert zu haben. Immerhin wird mir immer klarer, weshalb meine Methoden in der Anfangszeit meines Aufenthalts nicht fruchten wollten. Es wird von den Studenten einfach nicht erwartet.

Insgesamt mache ich das Helfen aber gerne. Das Gemeinschaftsgefühl hier an der Uni ist wirklich riesig. Nur ein Problem hatte ich vor kurzem: Als einer meiner Schüler mich im Supermarkt erkannte und mich mit „Herrn“ ansprach, fühlte ich mich auf einmal so alt.

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Skat

Wie ich in vielen vorherigen Einträgen ja schon so leicht angedeutet habe, macht mir Deutschunterricht wirklich Spaß. Es gibt aber einen Punkt in der ganzen Sache, mit dem ich so wirklich Probleme habe: Jede zweite Woche soll ich etwas aus Deutschland vorstellen. Dies ist leichter gesagt als getan, wenn man keine Vorgaben bekommt und die Japaner im Äußern ihrer Wünsche auch nicht wirklich hilfreich sind. Das einzige Thema, was ein Student einmal erbat, war, doch bitte über Musik in Deutschland zu reden. Musik in Deutschland, nichts leichter als das! Es ist ja nicht so, als ob man mit dem Thema nicht Bücher füllen könnte. Im Endeffekt schaffte ich es, ein Referat zu erstellen, was halbwegs interessant war, aber leicht war es nicht. Nachdem ich jetzt schon fast jeden der groben Aspekte des Lebens in Deutschland vorgestellt habe, fällt es mir immer schwerer, noch ein Thema zu finden, von dem ich wirklich überzeugt bin.

Letzte Woche ergab es sich aber, dass wir im Unterricht über Spiele redeten. Die Studenten sollten einen Beispielsatz zum Thema Brettspiele sagen. Niemand, nicht einmal unsere Professorin, verstand aber, dass das Go-Brett im Beispielbild nur ein Beispiel für den Begriff Brettspiele sein sollte. Auch bei Kartenspielen wurde nur „Trumpf“, ein bekanntes Kartenspiel in Japan, erwähnt. Während ich also ein paar Kartenspiele aus Deutschland namentlich nannte, musste ich feststellen, dass man hierzulande keins davon kannte. Kein Wunder, denn Japaner spielen nicht mit den typischen Skatkartendecks, sondern mit den großen Rommédecks. Mein Thema war mir damit wirklich in den Schoß gefallen. Ich musste nur entscheiden, ob ich den Leuten Mau-Mau oder Skat zeige. Da Skat aber das wirklich deutsche Spiel ist und zudem noch in Altenburg, also Thüringen, erfunden wurde, war die Entscheidung schnell gefallen und meine Professorin wurde informiert. Leider hörte diese aber nicht wirklich zu und informierte sich vor meinem Vortrag nur kurz über Mau-Mau.

Die Zeit des Unterrichts war also gekommen und ich erklärte Skat, ein Spiel, das viele Deutsche schon kaum verstehen, besonders die Reizregeln. Leider stellte sich heraus, dass die Japaner nicht einmal das Prinzip des Trumpfs verstanden, obwohl sie ein Spiel haben, was eben jenen Namen hat. So wurde der Vortrag zwar interessant für die Studenten, verstanden haben sie es aber nicht wirklich. Das war ein wirklich demütigender Augenblick für mich und dementsprechend gedrückt erreichte ich das Büro. Dort wartete aber die Rettung. Shimizu war da und präsentierte seinen neuen Rockstarbart. In unserem Gespräch klagte ich ihm mein Leid und fragte, ob er Skat in Wien kennengelernt hat. Hatte er natürlich auch nicht, aber er fragte, ob ich es ihm denn nicht zeigen könnte. Keine Frage, so spielten wir eine Runde Offiziersskat und schon nach der ersten Runde hatte er es verstanden. Da ich es ihm nicht anders erklärte, als meiner Klasse, konnte das Problem also nicht nur an mir liegen. Im nächsten Moment betrat Norihiro, welcher schon meine Präsentation Probe gelesen hatte, den Raum. Wie das Referat gelaufen ist, wollte er wissen. Es ergab sich die Gelegenheit, ihn zu überzeugen, alles stehen und liegen zu lassen und Skat mit uns zu spielen. Es dauerte genau ein Spiel und sowohl Norihiro als auch Shimizu hatten alles verstanden. So saßen wir zusammen im Büro und spielten Karten, während andere zuschauten. Als die deutsche Professorin ins Büro kam, konnte sie nur leicht den Kopf schütteln, dass wir einfach mal eines der komplizierteren Kartenspiele Deutschlands fehlerfrei im Lab spielten. Ich hatte so viel Spaß, wie das Ganze Jahr nicht, das ich jetzt schon wieder da bin. Shimizu hat es in den paar Wochen, die er wieder hier ist, geschafft, mich ins Kenkyushitsu einzubinden und das Ganze hier wieder viel lebhafter zu gestalten. Endlich freue ich mich wieder auf jeden Tag, den ich dort verbringen kann. Um mein Glück perfekt zu machen, hatte Shimizu so viel Spaß, dass er gleich erst mal eine Skatapplikation auf seinem Handy installierte. Das erste Mal seit der Schulzeit habe ich also regelmäßig die Chance, das Spiel wieder zu spielen. Auch im Lab ergab es sich, dass nach meinem Kurs ein Student Fragen stellte und ich so ein Thema für das nächste Referat erhielt. Dieses Mal verstehen den Inhalt dann hoffentlich auch wieder alle.

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Besuch

Es ist Oktober und Dennis ist schon wieder viel zu lange zurück in Deutschland. Das Ganze ist aber kein Problem, da wir im Gegensatz zum Jahr 2010 alle älter und weiser sind und über bessere finanzielle Voraussetzungen verfügen. Deshalb hatte ich auch die Chance, den nächsten Bekannten aus Deutschland zu treffen. Leider verpasste ich Daniel, der eine Rundreise über Japans südliche Inseln unternahm, worauf ich schon ein wenig neidisch bin. Neben der Rundfahrt mit dem Auto auf Hokkaido, ist diese Tour einer meiner zwei großen Pläne, welche ich in Japan noch habe. Da Daniel aber leider nur kurz Zeit für ein Treffen hatte, schaffte ich es nicht, rechtzeitig nach Tokyo zu kommen. Dafür tauchte Christoph in Sendai auf. Christoph ist ein Mitstudent aus Göttingen, welcher sich dort sehr aktiv im Japantreff einsetzt. Als letztes Jahr, einen Tag vor meiner Abreise, mit Mai eine Bekannte von Masami nach Göttingen kam, verwies Masami Mai an mich. Da ich natürlich nicht einmal annähernd genug Zeit für sie hatte, veranstaltete ich ein Treffen mit Christoph und stellte so eine Verbindung der Beiden als Tandempartner her.

Nachdem Mais Aufenthalt in Göttingen nun vorbei ist, ist sie zurück in Sendai und ich bin wieder für sie verantwortlich. Wie es sich für einen Studenten, der im Ausland gelebt hat, gehört, versucht sie alles in ihrer Macht stehende, um wieder zurück ins Ausland zu gelangen. Ich helfe ihr, ihre Bewerbung für das notwendige Stipendium fertigzustellen. In diesem Rahmen eröffnete sie mir, dass es Christoph letztes Jahr bei seinem Kurzbesuch in Sendai so gefallen hat, dass er eine erneute Reise nach Japan machen wird. Dabei ist auch ein Aufenthalt in Sendai einplant, um uns beide zu besuchen. Diese Reise begann letzte Woche. Das war gerade rechtzeitig zu einem der größten Taifune, die Japan dieses Jahr getroffen haben. Dankbarerweise war es aber nicht so schlimm, wie man sich dies eigentlich vorstellt und Christophs Besuch konnte ungehindert ablaufen. Taifune sind eigentlich nur aufgrund des extremen Regens nervig und auf Anhöhen ist der Wind gefährlich, weshalb zum Beispiel der naturwissenschaftliche Bereich der Uni auf dem Berg abgesperrt wurde. Ich selber hatte nur damit zu kämpfen, dass ich nicht auf die Warnungen meiner Freunde gehört hatte und gerade mit dem Rad und ohne Jacke unterwegs war, als der Regen auf Sendai traf. Die Sachen bekam ich erst nach einigen Tagen trocken, aber sowohl innerstädtischer Verkehr als auch der Zugverkehr blieben bestehen und so konnten wir uns ungehindert mit Christoph treffen.

Wir, das waren Mai, welche super nervös war, ob denn alles klappt, ein Japaner, der ein Jahr in Wien verbracht hat und zu meinem Bedauern den Wiener Dialekt erlernt hat, was sich bei einem Japaner einfach zu seltsam anhört, Masami und ich. Besonders, dass Masami da war, war für mich eine Erleichterung. Christoph wollte natürlich sein Japanisch trainieren, während die Japaner eindeutig ihr Deutsch üben wollten, aber sich nicht trauten, es laut auszusprechen. Da Masami aber schon so verwestlicht ist, dass sie so etwas nicht stört, gelang es uns beiden, zu vermitteln. Auch bei der Restaurantwahl waren wir gefragt, da Mai sich in ihrer Aufregung nicht entscheiden konnte.

Wir fanden ein Akita-Restaurant, welches sich auf Spezialitäten der nordwestlichsten Region der Hauptinsel spezialisiert hat. Das sind vor allem Garnelen, die ich nun so gar nicht esse. Aber es gibt auch Nabe, eine heiße Brühe, in der man am Platz selber essen zubereitet, und spezielle Salate. Das Highlight in der Akita-Region sind die verschiedenen Sake-Varianten. Akita selber ist aber für zwei Dinge besonders berühmt. Zum einen ist das die Tatsache, dass angeblich die schönsten Frauen Japans aus dieser Region stammen. Dies lässt sich auf die Sage von einer Konkubine am japanischen Hof zurückführen, welche perfekt in den Künsten ausgebildet war und dazu den Schönheitsidealen – kleine Nase, weiße Haut und schwarze Augen – entsprochen haben soll. Laut der Sage verdrehte sie allen Männern am Hof den Kopf und der Ruf Akitas verfestigte sich. Aus heutiger Sicht kommt noch das „Wilde“ dazu. Während Japaner von Frauen erwarten, dass sie zurückhaltend und zuvorkommend sein sollen, heißt es über Frauen aus Akita, dass sie „Mannsweiber“ sind, welche sich nichts gefallen lassen und sehr dominant auftreten. Das ist ein exotisches Merkmal für Japaner, was sie interessant erscheinen lässt. Auf der anderen Seite ist es die Sagenwelt, welche Akita besonders erscheinen lässt. Die meisten der japanischen Monsterbilder stammen aus Akita. Besonders sei das teuflische Weib, die sogenannte Onibaba, genannt. Aber auch eine ganze Reihe anderer Monstersagen haben ihren Ursprung in Akita.

Um dies zu würdigen, waren die Abteile in unserem Restaurant so designt, als ob wir uns in kleinen Hütten befanden. Zu einer gewissen Uhrzeit wurde das Licht ausgeschaltet und gespenstische Geräusche, unterlegt mit den Warnungen der Onibaba, abgespielt. Interessanterweise wirkte diese Untermalung auf alle unterschiedlich. Christoph machte die Kamera bereit, der andere Japaner berichtete uns im Detail über die Sage und Masami ignorierte gekonnt alles. Nur Mai war aus unerfindlichen Gründen richtig nervös und erschrak bei jedem Geräusch. Nach zehn Minuten war es dann so weit, es gab einen lauten Schlag gegen die Tür und ein „Dämon“ stand auf einmal in unserer Tür. Er drohte uns und Mai versteckte sich immer mehr vor der Person mit einem Kostüm aus viel Gestrüpp, durch das sie höher aussah, und mit einem Holzschwert. Masami, die immer noch mehr mit dem Essen als mit dem Dämon beschäftigt war, wollte er sogar mitnehmen. Da hatte er aber nicht mit der jungen Dame gerechnet! Mitnehmen geht nicht so einfach, er muss sich laut seiner eigenen Sage einem Zweikampf stellen. Deshalb forderte Masami den deutschen „Dämonen“ auf, doch bitte diese Rolle einzunehmen. Na ja, so ein 1,80 Meter großes Kostüm mag zwar bei den maximal 1,70 Meter großen Japanern Respekt verursachen, als meine gesammelten 1,94 Meter vor ihm standen, wirkte unser Gast auf einmal gar nicht mehr so erschreckend. Masami durfte bleiben und ich erhielt das Angebot, doch ab jetzt in diesem Restaurant die Rolle des Dämons zu übernehmen, denn ich wäre perfekt für die Rolle geeignet.

Tja, so kommt es halt. 2010 wurde ich ausländischer Teufel gerufen, jetzt habe ich Jobangebote als Dämon, vielleicht ist ja doch etwas dran. Wir hatten auf jeden Fall eine gute Zeit im Restaurant und es war schön, mal wieder Neuigkeiten aus Deutschland zu hören. Mal schauen, wer es sonst noch so nach Japan schafft, ich kann nur betonen, dass es sich lohnt, wie all meine bisherigen Gäste bestätigen können.

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Die Bürokratie an der Uni

Was, Deutschland soll bürokratisch sein? Wer so etwas behauptet, hat wirklich Japan noch nicht kennengelernt. Aber der Reihe nach: Das neue Semester hat angefangen und ich unterrichte wirklich einen Kurs mehr. 42 Jurastudenten sind meine Opfer, die zwar vermutlich besser Grammatik können als ich, aber kein Wort Deutsch sprechen. Ich muss sagen, unterrichten macht immer noch Spaß. Meine alten Klassen können immer noch die Sprache und wir haben unseren Spaß zusammen. Ok, jedenfalls die Meisten. Wie in allen Ländern der Erde üblich, verkriechen sich Studenten gerne in die letzte Reihe des Raumes, weil man sie da ja nicht sehen kann. In Japan stimmt diese Theorie auch wirklich. Eine 1,55 Meter große Professorin kann in einem Raum in der Uni wirklich nicht die letzte Reihe einsehen und einige Studenten nutzen das gerne, um zu schlafen. An sich habe ich damit kein Problem, nur zu gut kann ich mich an langweilige Stunden oder für die Uni durchgemachte Nächte erinnern. In die letzte Reihe sollten sich aber trotzdem nicht alle setzen, da man in den großen Räumen, wie wir sie haben, sonst die gesamte Zeit schreien muss, damit die Studenten einen hören. Aus diesem Grund bittet meine Professorin die Studenten immer, nach vorne zu kommen. Als sich dieses Mal eine Gruppe weigerte, erklärte ich, dass ich alles sehe, was sie in der letzten Reihe machen. Wie es sich für gute Studenten gehört, glaubten sie mir nicht, bis ich ernst machte und nur die Nebenbeschäftigungen der letzten Reihe unterband. Einige Studenten kriegten förmlich Paranoia, da ich wirklich alles sah, aber mich nur bei ihnen bemerkbar machte. Die Herren sitzen nächste Stunde garantiert näher und ich kann meine Stimme schonen.

Soviel zu der ersten Stunde. Trotz des kleinen Spiels mit den Studenten hatte ich meinen Spaß und der Job hat wirklich seine Vorteile, gäbe es da nicht die Verwaltung. Nach jeder Stunde muss ich im Verwaltungstrakt unterschreiben, dass ich auch wirklich anwesend war. Da man mir mit voller Selbstverständlichkeit erklärt hatte, dass ich mehr unterrichte, dachte ich mir also nichts Böses, als ich einmal mehr in die Verwaltung ging, um meinen Zettel zu unterschreiben. Leider rannte eine Mitarbeiterin auf mich zu und redete auf mich ein, warum ich am Mittwoch unterschreiben möchte. Während ich versuchte, die Situation zu klären, unterschrieb ich fälschlicherweise im Vormonat und war so gezwungen, die Unterschrift durchzustreichen und neu zu setzen. Das geht nach japanischem Verständnis ja nun gar nicht und so löste ich ohne es zu wissen, ein wahres Erdbeben aus. Zum einen hatte meine Professorin einen Fehler gemacht. Ein Lehrassistent darf erst ab dem Fünfzehnten unterrichten, zuvor muss der Professor das alleine machen, was natürlich Schwachsinn ist, wenn man bedenkt, dass der Unterricht am Ersten anfängt. Weiterhin habe ich zwar erklärt, dass die Unterschrift falsch war, aber noch bevor ich eine halbe Stunde nach dem Fehler zu Hause war, erhielt ich eine Nachricht, dass ich doch nicht im vorherigen Monat unterschreiben darf, da ich meine Stunden für das alte Semester aufgebraucht hatte. Das war mir auch klar und deshalb hatte ich die Unterschrift ja auch durchgestrichen und den Fehler der Verantwortlichen erklärt. Diese hat es aber offensichtlich nicht verstanden und machte jetzt meine Professorin und Professor Morimoto verrückt. Gleichzeitig stellte sich heraus, dass ich ja nicht so einfach meinen Job weitermachen kann. Nein, 6 Formulare waren auszufüllen und sogar erneut ein Lebenslauf abzugeben. Ordnung muss aber sein und so ging es natürlich auch nicht, dass ich das einfach so abgebe. Nein, Professor Morimoto, welcher zwar Leiter meines Büros ist, aber sonst keinen Einfluss auf die ganze Geschichte hat, musste mit mir zur Verwaltung kommen und die Formulare einreichen, nur dann war auch sicher, dass sie nicht gefälscht sind.

Ich kann nur sagen, japanische Bürokratie ist das Schlimmste. Einfach mal fünfe gerade sein lassen, gibt es in diesem Land rein gar nicht. Und wenn sich meine Professorin, welche Japanerin ist, schon beschwert, dass die Verwaltung sie nicht versteht, was soll dann erst ich sagen, der Japanisch als vierte Sprache gelernt hat und dabei garantiert nicht das Verwaltungsjapanisch in seinen Sprachkursen hatte. Wenigstens ist jetzt alles geklärt und ich kann ein weiteres Semester wertvolle Erfahrungen sammeln.

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129 Tage später

Es ist geschafft, der Krieg ist vorbei! Gut, so wirklich vorbei ist er noch nicht, aber vor meiner Haustür steht ein Fahrrad, was schon mal ein guter Start ist. Wie kam es aber dazu? Wie in meinem letzten Bericht vom 129-Tage-Krieg mit Nagoya beschrieben, versuchte der Fahrradladen in Nagoya aus unerfindlichen Gründen, mein Rad zurückzuhalten. Seit einem Monat vereinten sich am Telefon Ausreden über Ausreden mit Behauptungen, dass man ja sowieso unschuldig sei und ich eigentlich dankbar sein müsse, da mein Fahrrad schließlich repariert wurde. Letzte Woche hatte ich nun endgültig genug davon und da kein Japaner mich die werten Herren am Telefon anschreien lassen wollte, machte ich den nächstbesten Schritt und besuchte die Polizei. Japan ist in diesem Zusammenhang einzigartig. An jeder Straßenecke gibt es ein kleines Polizeirevier, wo zwei bis drei Polizisten ihren Dienst verrichten. Früher, und in einigen Gegenden wohl noch heute, war es sogar so, dass sich die Polizisten bei neu hinzugezogenen Personen persönlich vorstellten. Das Problem war nun, dass die Polizei in diesem Bereich keine Weisungsgewalt hatte. Zwar hätte ich das Fahrrad als gestohlen melden können, diese Meldung hätte aber nur für Sendai gegolten. Als Ausgleich gaben Sie mir aber die Telefonnummer des Verbraucherschutzes der Stadt Sendai, welcher einen weitaus höheren Einfluss hat, als sein Gegenstück in Deutschland.

Am Mittwoch war es dann endlich soweit, mit einer Liste unserer Anrufe, mit Zeugenaussagen und all den anderen Dokumenten ging es zum Verbraucherschutz. Dieser konnte aber auf Anhieb auch nichts machen. Obwohl ich schriftlich schon Fristen gesetzt hatte, musste dieser erst einmal selber anrufen und er bekam natürlich das Gleiche wie wir zu hören: Ausreden. „Ja, das Fahrrad wurde ausgeliefert, kam aber wieder zurück. Natürlich verschicken wir es erneut und natürlich umsonst!“ Als ob das für mich nach 18 Wochen noch eine Frage war! Ich sollte also einmal mehr warten. Zwei Tage würde es dauern, maximal drei, bis ich mein Rad wieder in den Händen halten würde. Aber wie immer kam es anders. Mittlerweile war es Dienstag geworden. Eine Woche war also fast schon rum und wie so oft hatte ich natürlich nichts von meinem Rad gehört. Entnervt machte ich mich mit der Forderung nach meinem Geld oder einer gesicherten Liefernummer, mit welcher ich den Lieferstatus selber nachvollziehen kann, erneut auf den Weg zum Verbraucherschutz. Ein Anruf im Radladen ergab, dass das Rad verschickt wurde und morgen bei mir ankommen müsste. Eine Liefernummer bekam ich nicht. Also war wieder Geduld angesagt.

Es kam der Mittwoch und ich wartete immer noch auf das Ergebnis meiner Forderung. So langsam hatte ich mich allerdings damit abgefunden, das Rad nie wieder zu sehen, was auch ok wäre, solange ich mein Geld zurückbekomme. Im Zweifel hätte ich mir dann ein Billigrad gekauft und damit die letzten Monate überstanden. Wie immer kam es aber anders als gedacht. Ich hatte den Vormittag zu Hause verbracht, um mich auf meinen Unterricht vorzubereiten. Als ich gerade meine Schuhe anzog, um zu meinem Kurs zu gehen, klingelte es an der Tür: „Lieferservice! Freuen sie sich, wir haben ihr Fahrrad, bitte unterschreiben Sie hier!“. So freudestrahlend der junge Herr mir dies sagte, umso mehr überraschte ihn meine Reaktion. So einfach kommt er mir nicht davon! Jemand muss leiden und wenn es der Fahrradladen nicht ist, dann wenigstens der Lieferservice. Ich ließ mir das Rad bringen und mit bloßen Händen riss ich das Paket auf. Bevor ich auch nur einen Strich setze, wollte ich das Rad in Augenschein genommen haben. Dem Fahrer war das zwar eigentlich überhaupt nicht recht. Das konnte man an seinem immer mal wieder auftretenden Jammern, doch bitte den Lieferschein zu unterschreiben, unschwer erkennen. Er ergab sich aber seinem Schicksal. Es war nicht so, als ob ich mit mir auch nur einen Schritt verhandeln lassen hätte. Bei meiner Erfahrung mit dem Laden hätte es mich nicht überrascht, wenn das Rad nicht repariert worden wäre. In dem Fall hätte ich das Rad gleich zurückgesendet. Er hatte aber Glück, es schien aber alles in Ordnung zu sein, deshalb durfte er gehen und ich musste mich zum Unterricht sputen.

Das Rad ist also wieder da. Und waren die 129 Tage begründet? Nicht wirklich. Die Felge des Hinterrades wurde durch eine nicht baugleiche, laut dem Internet aber bessere Felge ausgetauscht, ansonsten geschah nicht wirklich etwas mit dem Rad. Die Felge, die ich als Ersatz erhielt, kostet nebenbei gemerkt im Internet knapp 20 Euro. Das ist also wahrscheinlich kein Teil, was vom Fahrradhersteller aus Amerika geliefert wurde. Der Fahrradhersteller hat keinen Vertrag mit diesem Felgenhersteller und man hätte sie auch in Japan gefunden. Um genau zu sein, hat mein Radladen auf der anderen Straßenseite die gleiche Felge im Angebot. Das Warten auf die Lieferung aus Amerika war also eine klare Lüge und hinzu kommt, dass sie das Rad laut Lieferschein auch wirklich erst am Vortag abgesendet haben, als die Verantwortliche vom Verbraucherschutz noch einmal angerufen hat. Vermutlich hat sie mit Geld zurück gedroht und das hat zum Einlenken geführt. Das Gespräch mit dem Lieferservice ergab auch, dass das Rad garantiert nicht vorher versendet wurde. Was soll es, erst einmal fährt es, was ich auf 100 km Strecke in zwei Tagen herausfinden konnte. Ein wenig an den Einstellungen muss ich noch arbeiten, aber ich habe ein großes Fahrrad, was ein echtes Plus ist. Dem Radladen habe ich aber immer noch nicht verziehen und mehr als einmal musste ich mich davon abhalten, nicht einen kleinen Radtrip nach Nagoya zu unternehmen.

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Kindermund tut Wahrheit kund oder ein ganz normaler Tag in Japan

Eine der besonderen Fähigkeiten der Japaner ist es, sich zurückzuhalten. Keiner würde es wagen, dich zu stören oder dir etwas direkt zu sagen. Interessant wird es erst, wenn jemand hinzukommt, der noch nicht nach japanischem Standard sozialisiert wurde. Dies sind natürlich die Kinder.

Welche Fragen schwirren also in so einem japanischen Kopf herum und was traut er sich nicht zu fragen? Zu diesem Zweck wollen wir uns heute eine Fallstudie anschauen:
Es ist ein normaler Samstag, zum Kochen bin ich zu faul und so viel teurer wird Sushi auch nicht. Außerdem ist das Fließband-Sushi-Restaurant genau eine Minute neben meiner Wohnung und die örtliche Wirtschaft muss ja auch mal gefördert werden. So sitze ich nun da, spreche mit Orsolya und genieße mein Sushi, wohl wissend, dass eine gewisse Person in Deutschland bei jedem Bissen Schmerzen verspürt, als ob ich gerade auf eine Voodoopuppe einsteche, weil ich japanisches Sushi essen kann und er nicht. Eigentlich ist es der perfekte Abend. Eine unermüdliche Versorgung mit Sushi, eine nette Gesprächspartnerin, was will man mehr?

In diesem Moment geschah es: Das circa fünfjährige Kind, welches gerade mit seiner Mutter ein paar Meter von uns Platz genommen hat, entdeckt uns. Der Albtraum jedes japanischen Erziehungsberechtigten beginnt! Die japanische Erziehung hat im Alter von fünf bis zehn Jahren noch nicht zugeschlagen und die Angst und Zurückhaltung vor Fremden ist noch nicht so ausgeprägt. Auch das Reden um ein Thema herum, nur um etwas nicht direkt aussprechen zu müssen wurde noch nicht ausreichend einstudiert. Es fehlt die natürliche Angst vor Fehlern, welche dafür sorgt, dass Japaner über Zwanzig aus Prinzip aussehen, als ob sie sich am liebsten unter dem nächsten Stein verstecken wollten, wenn man sie anspricht. Darum hofft die Mutter des kleinen Jungen garantiert, dass er uns nicht länger ansieht oder sogar anspricht. Zum Schock seiner Mutter tut er eben das, und schlimmer noch, die Ausländer antworten auch noch.

Die Anfänge verlaufen harmlos. „Oh, kennt ihr die Figur auf meiner Karte?“ Welches Sushi mögt ihr?“ Das sind kleine Fragen, die keine Schande bringen und die Mutter wird unvorsichtig, da wohl keine Gefahr der Schande mehr besteht. Schwächen wie diese spüren die meisten Kinder bekanntlich sofort und wissen, sie auszunutzen. In einem unbeobachteten Moment lässt er die Bombe fallen: „Seid ihr etwa Ausländer?“ Jetzt ist es geschehen! Wie kann man sowas nur fragen? Ein hochroter Kopf und viele Entschuldigungen später versucht eine verzweifelte Mutter ihrem Kind zu erklären, dass man so etwas doch nicht fragen kann und sowieso, er soll uns doch lieber essen lassen, ehe weitere Peinlichkeiten entstehen. Tja, leider hat die Dame die Rechnung ohne die bösen Ausländer gemacht! Mut muss belohnt werden und sowieso unterstützen wir es, wenn japanische Kinder sich trauen, mit Ausländern zu sprechen! Vielleicht lernen sie ja so etwas für die Zukunft und wir antworten auf jede Frage.

Während ich also weiter mein Sushi genieße, schlägt das Karma unermüdlich zurück. Ich hätte mich wohl doch nicht innerlich über oben genannte Person lustig machen sollen, denn die Rache folgt sofort. Kindermund tut bekanntlich oftmals Wahrheit kund, wie das Sprichwort sagt. Nun ergibt es sich, dass ich mit meinen 1,94 m doch etwas mehr essen kann und auch muss, als das der typische Japaner tut. Als das Kind uns ansprach, hatte ich deshalb gerade eine Reisschüssel mit Sashimi aufgegessen, als ich beschloss, noch ein paar Sushis zu probieren. Das konnte sich unser Kleiner ja gar nicht vorstellen. Nach jedem Teller kam die Frage, ob ich denn immer noch nicht fertig bin. Seine Eltern können nicht so viel essen. Schade eigentlich, dass nicht einige meiner Bekannten aus Deutschland da waren, er wäre wohl vom Glauben abgefallen, wie viel man wirklich essen kann. Leider wirkte aber keines meiner Argumente. Nein, seine Mutter welche sich mittlerweile mit dem Schicksal abgefunden hatte, schaffte es sogar noch, mir in den Rücken zu fallen. Man muss viel essen, um groß und stark zu werden, dieses Argument leuchtete ihm ein. Nur leider merkte seine Mutter dazu noch an, dass man, man wenn man groß ist, auch leicht eine Frau findet. Nein, dann kann man doch nicht viel essen, wer mag schon Mädchen! Das war die Antwort, welche alle meine Argumentationsversuche im Nu relativierten. So bleib mir nichts anderes übrig, als der Stimme meines Gewissens – ausgesprochen durch den Kleinen – zu folgen und das Abendbrot zu beenden. Er hatte ja recht.

Lustig war es aber für uns aus einem anderen Grund: Wenn man etwas Japanisch kann, merkt man, dass die Aussagen gar nicht so weit entfernt von den Aussagen sind, welche erwachsene Japaner so von sich geben. Wie oft habe ich fast identische Aussagen gehört, als Japaner im Hintergrund über uns sprachen, aber dachten, wir verstehen sie nicht. Sogar im Laden bemitleidete ein Sushikoch den für uns Verantwortlichen, dass er sich ja um Ausländer kümmern müsse. Dieser revidierte das aber, da wir ja Japanisch sprechen würden, wodurch er Glück gehabt hätte. Wollt ihr also mal die wirklichen Gedanken von Japanern hören, fragt die Kinder. Außerdem ist es viel lustiger, die Eltern schwitzen zu sehen, wenn der Nachwuchs interkulturelle Kontakte knüpft, was man sich selber nicht trauen würde.

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Der neue Motorroller

Während die einen mit oder um ihr Fahrrad kämpfen, legen sich andere Menschen gleich ganz mit der japanischen Bürokratie an und ich habe Schuld daran. Als Geisteswissenschaftler hat man in einer Universität seine Vorteile. Als eben jener hat man es relativ einfach, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Fakultät auf dem Hauptcampus ist und dieser liegt meist zentral. Ganz anders sieht das bei den Naturwissenschaftlern aus. Weil man fürs Forschen neue Gebäude braucht oder weil Experimente außerhalb des Stadtzentrums etwas sicherer sind, haben die meisten Universitäten, die ich kenne, die Naturwissenschaften abseits gelegen auf einem anderen Campus untergebracht. In Göttingen ist es der Nordcampus, welcher 20 Minuten auswärts des Stadtzentrums liegt, was in Göttingen schon viel ist. Hier in Sendai ist der Campus auf Aobayama, einem relativ steilen Berg, wo das Fahren mit dem Rad schon voraussetzt, dass man auf dem Campus ein Set mit Ersatzkleidung liegen hat. Das Problem bei uns ist, dass Orsolya genau dort studiert und das letzte Stück den Berg hinauf täglich kostbare Zeit kostet.

Deshalb habe ich ihr vor ein paar Wochen den Vorschlag gemacht, dass sie sich, wie für eine Europäerin hier in Japan möglich, ihren Führerschein ohne Test einfach umtauschen lassen soll. Leider kam es, wie es kommen musste und Ungarn ist das einzige Land, welches keine derartige Vereinbarung mit Japan hat. So war Orsolya gefordert, den Führerschein von Anfang an zu machen und das ist anders, als man es in Europa gewöhnt ist. Zum einen benötigt man keine Fahrschule. Diese ist zwar hilfreich und man kann Übungsstunden auf einer Teststrecke nachweisen, diese kann man aber auch mit der Familie absolvieren. Dies führt aber leider zu einem unvorstellbar peniblen Test am Tag der Fahrprüfung. Alles fängt damit an, dass man sich um 8.00 Uhr morgens auf der Teststrecke in Izumi, am Rand der Stadt, einfinden muss. Dort erhält man am Morgen eine Einführung in alles Wichtige, was man fürs Fahren wissen sollte. Im Anschluss absolviert man eine theoretische Prüfung. Diese umfasst für Autofahrer 10 Fragen und ist sehr einfach. Für Motorrollerfahrer, welche keinen praktischen Test im Anschluss benötigen, sind es dagegen 30 Fragen, welche aber trotzdem ohne Lernen lösbar sind. Nach diesem Zeitpunkt hat der normale Japaner einen Motorrollerführerschein. Keine praktische Fahrstunde hinter sich, einen kleinen theoretischen Test absolviert und schon wird er auf die Straße und die Menschheit losgelassen. Da Motorroller ja kaum Platz wegnehmen, sind sie gerade bei Studenten das Fortbewegungsmittel Nummer 1. Wenn ich nur daran denke, bin ich heutzutage noch vorsichtiger, wenn einige von denen auf mich zukommen. Für Autofahrer dagegen gibt es im Anschluss eine praktische Prüfung, welche vor Kleinlichkeit nur strotzt. Auf einem kleinen Parcours befinden sich einige Hindernisse, wie man sie auch im Straßenverkehr finden kann. Während diese Szene nun abgefahren wird, achtet der Prüfer auf jedes kleinste Detail. Das führt dazu, dass schon das zu weite Ausholen bei Kurven zum Durchfallen reicht. Übersetzt bedeutet dies, dass man am besten fast an der Mauer entlang schrammen sollte. Der normale Ausländer braucht deshalb bis zu 10 Versuche, um den Führerschein endlich zu erhalten. Da Orsolya aber nur einen Roller wollte, sollte der 30 Fragen Test für unsere Zwecke schon reichen. Sie schaffte es und das eigentliche Problem konnte beginnen:

Was für einen Roller kaufe ich? Kaufe kein Auto ohne Probefahrt! Wer kennt diese Aussage nicht? Dies gilt natürlich auch für Motorroller, aber hier in Japan ist das nicht möglich. Von uns wurde erwartet, ein 400 bis 1.000 Euro teuren gebrauchten Motorroller zu kaufen, ohne ihn einmal angestellt zu erleben. In mir brodelte es, aber nachdem auch im vierten Laden nicht einmal das Anstellen möglich war, musste ich mich den Gepflogenheiten zähneknirschend stellen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als auf die Aussagen der Verkäufer zu vertrauen, dass die Angaben zur Lautstärke und Problemen des Motorrollers den Gegebenheiten entsprechen. Zum Glück fanden wir im Endeffekt einen brauchbaren Roller, auch wenn ich dort eigentlich nicht kaufen wollte. Man wollte mir auch gleich einen Helm andrehen und argumentierte, dass XL schließlich jedem passen würde. Trotz meiner Ablehnung stülpte man mir das Teil über und siehe da, ich kann nicht mal die größten japanischen Helme tragen, denn mein Kopf ist zu groß. Das ist aber letztendlich auch kein Problem, da die Sitzproben auf dem Roller ergaben, dass ich diesen mit meinen Knien lenken müsste, was wohl nicht im Sinne des Erfinders ist.

Am wichtigsten ist aber, dass es sich für Orsolya gelohnt hat. Der Weg zu ihrer Fakultät hat sich von 30 – 45 Minuten, auf unter 10 reduziert. Für mich hatte es aber auch etwas Gutes: Neben dem Stress bei der Motorrollersuche und dem Finden aller Dokumente für den Führerschein, steht so wenigstens ein Fahrrad meist ungenutzt herum. Und wer könnte dieses besser benutzten, als die Person, welche seit 19 Wochen um sein eigenes kämpft? So haben wir eine Win-Win Situation und ich sehe zwar etwas lustig auf dem viel zu kleinen Rad aus, aber es ist besser als nichts.

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Abschied von der medizinischen Abteilung

„Sind wirklich schon vier Jahre rum? Ich kam als normaler Mediziner aus Lybien und jetzt bin ich Doktor und habe Freunde überall auf der Welt! Wer hätte gedacht, dass so viel passiert, als wir uns im April 2010 zum ersten Mal im Internationalen Haus gesehen haben?“
„Genau Mohamed, du bist mittlerweile sogar verheiratet, auch wenn ich noch nicht glauben kann, wie spontan das war.“
„Stimmt …, erinnere mich daran, dass ich das gleich gegenüber meiner Frau erwähne, wenn ich heimkomme.“

Diesen Dialog führte ich heute mit Mohamed. Aber was ist genau passiert? Ein guter Freund ist in seine Heimat heimgekehrt. Normalerweise würde mich das für ihn freuen und es würde gegenseitige Urlaubsversprechen geben. Die Frage ist, was soll man davon halten, wenn der Besagte nun gerade Libyer ist, noch nicht einmal direkt in seine Heimat fliegen kann, sondern sich vom Nachbarland aus in die Heimat durchschlagen muss. So ein wenig mulmig ist mir bei der Sache schon, denn allzu viel Positives hört man nicht aus seiner Heimat, aber ich hoffe das Beste.

Eigentlich fing der Tag aber ganz normal an. Es ist ein gewöhnlicher Feiertag, an dem der Herbstanfang begangen wird und eigentlich erwartete ich nichts Besonderes. Ich hatte nichts geplant und Japaner sind nicht dafür bekannt, mal spontan zu sein. Auf einmal erschien aber die Meldung, dass ich mich in zwei Stunden auf dem Fußballplatz einzufinden habe, weil Nezars Abschied ansteht. Nezar, der Zahnarzt meines Vertrauens, Leidensgenosse in unzählbaren Kanjikursen und auch im Allgemeinen eine Person, mit der man gut auskommen kann, hat seinen Doktor geschafft und wollte noch ein letztes Mal mit seinen Freunden Fußball spielen. Dieses Ereignis wurde mir schon vor einigen Wochen angedroht. Um meinen Saudi Arabischen Freund ist es schon schade, aber so oft habe ich ihn auch wieder nicht gesehen.

Was mich aber mehr überraschte war der Einschub, dass es wohl auch Mohameds letztes Spiel sein wird. Das hatte ich nicht erwartet! Mohamed, seit der ersten Stunde ein guter Freund in Japan, hatte immer angedeutet, dass er noch hier sein würde, wenn ich das zweite Mal gehe. Es ist aber nicht das erste Mal, dass er mich so überrumpelt. Im Januar ist er nach Libyen zu seiner Familie geflogen und kam verheiratet wieder und das kurz nachdem er mir noch von seiner Exfreundin hier in Sendai erzählt hatte. Mehr noch, vor dem Flug hatten wir noch nie ein Wort über die Dame gehört. Wie dem auch sei, ich werde ihn sehr vermissen und aus diesem Grund ging es auch zum Spiel, obwohl ich nicht wirklich fit war. Wenn, dann muss man sich auch richtig verabschieden! So wurde es ein sehr langer Tag. Drei Stunden Fußball und am Abend ging es noch zu einem Essen in die Stadt. Seine weiteren Freunde aus Südamerika blamierten uns zwar einige Mal, da sie jeder Dame hinterher starrten und selbst nicht davor zurückschreckten dafür aufzustehen, um am Fenster besser zu schauen. Aber es wurde ein sehr schöner Tag, wenn auch leider sehr melancholisch. Highlight war aber, von Nezars über zwanzig Geschwistern zu hören, die sein Vater mit seinen vier Ehefrauen hat. Andere Länder haben eben andere Sitten!

Auch die Wünsche von Mohameds Familie waren interessant. Sie wünschten sich das, was auch überall sonst auf der Welt gewünscht wird. So wollten sie zum Beispiel Schmuck oder iPhones und Mohamed versuchte, alle Wünsche zu erfüllen. Nur einen Wunsch seines Cousins musste er schweren Herzens ablehnen. In Anbetracht der Situation in Libyen wollte dieser einen Dieselstromgenerator. Wie Mohamed diesen über die Grenze schmuggeln sollte, war dabei egal. Ich glaube, da muss selbst die Familienliebe mal Grenzen kennen.

Mir bleibt eigentlich nur zu sagen: Nezar und Mohamed, ich werde euch vermissen! Als ich am Abend dann aber im Büro vorbeischaute zeigte sich, dass sich mit jeder geschlossenen Tür eine neue öffnet. Schon am Licht an einem Feiertag hatte ich eine Ahnung, dass es eigentlich nur eine Person sein kann, die spät am Abend im Büro sitzt und ich hatte recht: Bewaffnet mit einer Gitarre saß da Shimizu, als ob er nie weg gewesen war. Endlich ist er wieder da!

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Der Fahrradkrieg

Es gibt Zeiten im Leben, wo man vor der Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten steht und sich so richtig in die Nesseln setzt und die falsche Wahl trifft. Als ich im Januar vor so einer Wahl bezüglich meines Fahrrads stand, habe ich wohl so eine falsche Wahl getroffen. Im Mai ging es kaputt und am 21. Juni holte der Fahrradladen, der mir das Rad per Internet verkauft hat, es endlich ab, um es im Rahmen der Garantie zu reparieren. Seit dem ersten Anruf sind jetzt vier Monate vergangen und es hat sich nichts geändert. Aber am besten von vorn:

Alles fing am 02. Juni an. Der Verkäufer erklärte einer Mitstudentin beim ersten Telefonat, dass ich ja eh zu schwer für das Rad wäre. 65 kg, mehr dürfe man nicht wiegen, wenn man so ein Fahrrad nutzen würde, das übrigens für Menschen der Körpergröße 1.80 – 1.95 Meter ausgelegt ist. Na ja, bei dieser Größe wiegt man ja auch maximal 65 kg – schon klar! Nun, ich mag ja zugenommen haben, aber so schlimm ist es dann auch noch nicht. Von diesem Zeitpunkt an übernahm dann Orsolyas Freundin Monti die Telefonate. Das Ergebnis ihres ersten Telefonates war, dass man sich das Fahrrad anschauen werde, man garantiert aber keine Reparatur. Und wirklich, drei Wochen nach diesem Telefonat und eine Beschwerde später holte man das Fahrrad dann auch wirklich ab. Manch einer wird sich noch an den Bericht von mir erinnern. Wie ging es aber nun weiter in der Geschichte?

Mehrere Wochen später hatte ich immer noch nichts von meinem Rad gehört. Wird es nun repariert und ist es überhaupt schon angekommen? Wieder einmal musste Monti anrufen und erfuhr, dass man auf Teile aus den Staaten wartet. Ihr wurde erklärt, dass solche Schäden ja eigentlich gar nicht möglich wären und dass ich das Rad eindeutig außerhalb des Stadtverkehrs gefahren haben muss. Auf derartige Weise versuchte man Monti ein Dankbarkeitsgefühl einzureden, denn man kümmert sich ja trotzdem um das Rad, ich müsse nur noch ein oder zwei Wochen bis Ende Juli warten. Ende Juli, das hörte sich gut an, schließlich stand eh noch Bali auf meinem Reiseplan. Ich informierte die Vermieterin, doch bitte mein Rad anzunehmen wenn es kommt und fuhr beruhigt in den Urlaub. Es kam, wie es kommen musste und das Rad stand natürlich nicht da, als ich Anfang August wieder in Sendai erschien. Schlimmer noch, Monti war auch nicht wirklich überzeugt, dort noch einmal anzurufen. Da sie eh mehr Orsolyas Freundin ist, fragte ich die einzige Person, der ich zutraue, solche Probleme zu lösen: Meine alte Freundin Rieko musste anrufen und tat dies auch prompt. Wieder einmal wartete man noch auf das Teil aus den Staaten und sowieso, das Fahrrad hat nur Garantie, wenn der Käufer es nie verleiht. In Ermangelung eines eigenen Amazonsaccounts hatte ich es aber auf Orsolyas Namen gekauft. Also wurde erklärt, dass ich dankbar sein könnte, dass man es überhaupt repariert und solle nicht so einen Druck aufbauen. Wieder einmal ließ ich es darauf beruhen und bereitete mich auf den Besuch von Dennis vor. Ende August sollte das Rad schließlich da sein und immerhin wird es gemacht.

Mittlerweile schrieben wir Mitte September, Dennis hatte sich wieder in Richtung Deutschland aufgemacht und ich stand immer noch ohne fahrbaren Untersatz rum. Orsolyas altes Rad hatte ich entnervt wieder hergerichtet, es ist aber schon bei der ersten Ausfahrt am Ende seiner Lebensphase angekommen. Zum Glück braucht Orsolya ihr noch funktionierendes Rad seit ein paar Tagen nicht mehr, worüber ich demnächst berichten werde. Aber diesem Rad fehlen mindestens 10 cm am Rahmen und ich habe eigentlich keine Lust, dieses mit den Füßen zu steuern. Das Fass war jetzt langsam voll und besonders, als ich auf der Seite des Ladens Werbung für das Radfahren im Sommer sah, war mein Geduldsfaden endgültig geplatzt. Die Adern auf meiner Stirn fingen schon beim Gedanken daran an zu pulsieren und ich nahm mir vor, endlich selber das Problem mit den Herren zu besprechen. Monti erklärte sich bereit, jetzt die Sache mit uns durchzuziehen und rief deshalb noch einmal für mich an. Zu meiner Überraschung brauchte ich mich aber gar nicht aufzuregen. Es wurde mitgeteilt, dass das Fahrrad fertig ist und nur noch nicht dem Lieferdienst übergeben wurde. Ich solle doch am Samstag zu Hause warten und es in Empfang nehmen, die Zeit kann man mir aber nicht nennen.

So verbrachte ich den Samstag und Montag nahe meiner Wohnung und es passierte….. nichts. So kann das doch nicht angehen!!! Wieder rief Monti an und wollte mir das Telefon weiterreichen und wieder gab es tausende Ausreden, die sie erweichen. Man hat es nicht geschafft das Rad am Samstag zum Lieferdienst zu bringen und hat es heute abgeschickt. Schon das kam mir spanisch vor. Am Samstag sollte es da sein und nicht versendet werden und sowieso ist der Laden am Samstag geschlossen. Nun gut, wieder einmal hieß es warten. Zu allem Überfluss war am Dienstag ein Feiertag und erst am Mittwoch sollte es ankommen. Wieder einmal saß ich zu Hause und einmal mehr war das Ergebnis ernüchternd. Ich hatte sogar schon ein schlechtes Gefühl, dass ich an diesem Tag als Lehrer eingesprungen war, aber da eh nichts gekommen ist, war das ziemlich egal. Wieder einmal rief Monti an und endlich klang selbst sie etwas entnervt. Im höflichsten Japanisch schlug sie der Firma rhetorische Fragen um die Ohren, welcher Tag denn sei und wo denn nun das Rad bleibe. Eine Antwort erhielten wir nicht, man würde uns in ein paar Minuten zurückrufen und sich beim Lieferdienst erkundigen. Nach 2 Stunden reichte Monti das Warten und sie schickte ein Fax, dass wir eine Antwort erwarten und doch geschah erst einmal nichts. Ich hatte währenddessen einen Termin bei einer alten Freundin in der Uni und musste los. Kurz vor der Uni kam der erste Rückruf. Man habe das Fax gesehen und würde gerne mir Orsolya reden. Die ist gerade beschäftigt und man solle doch bitte mit mir vorlieb nehmen. Nein, das war unmöglich, man verstehe mich nicht und deshalb solle ich doch meine Faxnummer geben oder Orslya ranholen. Ein rangewunkener Japaner konnte leider das Problem auch nicht lösen, da die Anruferin ihn behandelte, als ob er kein Japanisch kann. Im Endeffekt legte sie auf und ich erreichte mein Lab. Dort kam der zweite Rückruf und diesmal war er vom verantwortlichen Menschen. Mai, meine Freundin, nahm den Anruf an und auf einmal wollte man Orsolya nicht mehr sprechen. Ihr wurde erklärt, dass das Rad am 29. September da sein würde. Mai, die leicht überfordert war, übersetzte dankbarerweise meine Kommentare eins zu eins ins Japanische. Ob es denn diesmal wirklich kommt oder ob es wie in den letzten 17 Wochen nicht kommt, wollte ich wissen. Natürlich, diesmal kommt es wirklich und sowieso, die Firma ist unschuldig! In Wirklichkeit hat der Lieferdienst das Rad seit 3 Wochen und nur nicht geliefert. Wie das mit seinen vorherigen Kommentaren zusammenpasst, konnte er aber auch nicht erklären. Wir hätten ihn falsch verstanden, schließlich sind wir Ausländer. Nun hatte er es wirklich getan. Er gab mir die Schuld! Wir erklärten ihm, wenn es diesmal nicht kommt, wird er mich kennenlernen.

Mittlerweile schreiben wir den 29. September und muss ich überhaupt noch sagen, dass ich immer noch auf Orsolyas Minirad durch Sendai gondele? Beim letzten Telefonat hatten wir die Nummer des Lieferdienstes erfahren. Sie haben uns aber keine Sendenummer gesagt, die bräuchten wir doch eh nicht. Trotz allem hat uns am Morgen der Lieferdienst versichert, dass es keine Post nach Sendai geben wird. Jetzt reichte es! Monti sollte ein Ultimatum stellen und ich wollte die Liefernummer. Ein Telefonat später, wo Monti noch einmal erklärte, dass sie als Japanerin der japanischen Sprache schon mächtig sei, wurde uns ein Rückruf versprochen. Man wolle sich beim Lieferdienst erkundigen und in der nächsten Stunde oder spätestens Dienstag morgen würde ein Rückruf erfolgen.

Auf diesen Rückruf warte ich noch heute, aber mir reichte es jetzt. Monti und andere Japaner meinten zwar, ich solle noch weiter anrufen, nach zehn Anrufen und mehreren Faxen habe ich aber genug und heute morgen ging ich zur Polizei. Nach 18 Wochen hätte ich mein Rad oder das Geld doch gerne wieder. Die Polizei kann zwar noch nichts machen, aber ich erhielt die Nummer des Verbraucherschutzes, die mehr Macht haben, als es in Deutschland der Fall ist. Morgen habe ich einen Termin bei denen und ich werde mal schauen, was dabei herauskommt. Wenn nichts hilft, melde ich mein Rad bei der Polizei als gestohlen, inklusive der Adresse, wo es wohl gelagert wird. Nur weil ich Ausländer bin, kann man diese Versuche von schlechtem Kundenservice mit mir nicht ewig machen. Jetzt werden andere Geschütze aufgefahren!

Natürlich ist das alles nicht allgemeingültig für Japan. Der normale Kundenservice in Japan ist sehr gut, nur Garantie gibt es hierzulande nur in seltenen Fällen, wenn es wie hier der Radhersteller vorschreibt oder man eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat. Wenn es dann mal zur Nutzung dieser kommt, dann versucht man, sich nur zu gerne darum zu drücken und wie in diesem Fall die eigenen Fehler zu vertuschen. In Sendai wurde mir von Fachwerkstätten bestätigt, dass das Rad schlecht zusammengebaut war. Aber der Händler betonte trotzdem, dass es falsch gefahren wurde und sowieso muss ich ja über die Freundlichkeit des Ladens dankbar sein. Bei Japanern wirken diese Erklärungen und es gibt viele, die dann aufgeben. Die meisten Japaner haben mein Rad auch aufgegeben und ich konnte mich beim Anrufen nur auf Monti verlassen. Mit der Sturheit eines Deutschen haben die Herrschaften in Nagoya aber nicht gerechnet!

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