Juni 2014 Archiv

Mein armes Fahrrad

Zwei Computer, mehrere Klamotten, eine Uhr und noch so einiges mehr, habe ich in den zwei Jahren, die ich bisher in Japan lebte, bereits zerstört. Eine Sache, die aber bisher jedes Problem überstand, waren meine Fahrräder. Dies sollte sich diesem Monat ändern. Im Februar war es endlich so weit, ich erhielt mein neues Fahrrad. Nach einem kurzen Test des durch den Verkäufer bereits erfolgten Zusammenbaus, schwang ich mich auf das Rad, um mit ihm Sendai zu erkunden und es machte wirklich Spaß. Mit den 26 Gängen kommt man gut voran, das Rad lief sehr gut, die Scheibenbremsen zeigten starke Wirkung und man hörte kein Geräusch. Man könnte sagen, ich war wunschlos glücklich. Als Ausgleich pflegte ich mein Fahrrad so sehr, dass Orsolya sich schon lustig machte, dass ich es übertreiben würde. Als ich aber vor ein paar Wochen mit dem Rad auf einer Rundtour durch Sendai war, passierte es. Das Hinterrad eierte leicht und dank dieses Eierns schlug die Scheibenbremse bei jeder Umdrehung gegen die Bremsklötze. Dies führte zu sehr nervigen Geräuschen, die meilenweilt zu hören waren. Noch dachte ich an eigenes Verschulden und versuchte, die Fehler ausfindig zu machen. Im Endeffekt musste etwas passieren und ich suchte einen örtlichen Fahrradladen auf. Der Verkäufer schaute sich das Rad an und stellte nach weniger Augenblicken trocken fest, dass es schlecht zusammengebaut ist. Wie konnte mir das nur entgehen? Während ich noch an mir zweifelte, zeigte er mir, wie viele der Speichen zum Beispiel null Spannung vorwiesen. Ich hatte es beim Testen geschafft, genau die anderen Speichen zu berühren. Aufgrund dieser Probleme war es dann aber auch kein Wunder, dass sich das Rad selbst bei normaler Nutzung leicht verbog.

Im Endeffekt blieb ich leicht ratlos und mit einem Kostenvoranschlag für fast hundert Euro zurück. Für diesen Preis sollte das Rad komplett neu zusammengebaut werden, irgend welche Ersatzteile waren darin nicht eingerechnet. So kann das ja auch nicht gehen und so entschloss ich mich, den Verkäufer zu kontaktieren und mich auf meine Jahresgarantie zu berufen. Da für so etwas Japaner doch besser geeignet sind, bat ich eine Japanerin um Hilfe. Sie rief kurz an und teilte mir die schlechten Nachrichten mit: Der Laden weigerte sich, auch nur den kleinen Finger zu rühren. Ich sei ja wohl eindeutig viel zu schwer für ein Fahrrad, welches maximal für 65 Kilo geeignet wäre. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Meine japanische Bekannte hat sich wirklich leicht abwürgen lassen – in Japan kann man doch kein Faß aufmachen. Ein Fahrrad für 1,80 – 1,85 Meter Körpergröße, in den Staaten gebaut, soll maximal für 65 Kilo ausgelegt sein? Mein Kampfgeist war geweckt und ich überlegte, wie ich zurückschlagen könnte. Mein Büro und meine Professoren fielen raus, diese waren eindeutig zu nett und wagen es nicht auch nur eine leichte Diskussion zu führen. Sie sind einfach zu sehr Japaner. Eigentlich kenne ich nur eine Person in Japan, welche in dieser Situation helfen könnte. Rieko, meine alte Freundin, hätte aus dem Laden in kürzester Zeit verbales Kleinholz gemacht, aber die ist leider in Akita und führt ihre Kämpfe dort weiter. Die rettende Idee kam von Orsolya. Monti, eine ihrer Bekannten vom MafuMafu, ist nur Halbjapanerin und hat dadurch nicht die Zurückhaltung geerbt, wie es eigentlich alle Japaner im Blut haben. Ein Telefonat von ihr später und endlich lenkte der Radladen ein. Das Fahrrad sollte Ende der Woche abgeholt und repariert werden. Für mich bedeutete dies eine Grundreinigung und das Rad soweit zurückzubauen, dass es reisefertig war. So kam der Samstag und es geschah… nichts.

Der Fahrradladen hatte mich, vermutlich absichtlich, versetzt. Langsam wurde ich ungemütlich und überlegte schon, den Herren mal meine Meinung auf Englisch zu geigen. Aber erst einmal sollte Monti es noch einmal versuchen. Was dann geschah, war ein reines Schauspiel. In den höflichsten Worten, die ich jemals von einem verärgerten Kunden gehört habe, nahm Monti den Chef des Ladens auseinander. Nach tausenden Entschuldigungen versprach er uns, das Rad auf jeden Fall zu holen und diesmal erschienen sie auch wirklich. Jetzt bleibt mir nur zu hoffen, dass ich es bald wie neu zurückbekomme, denn bis auf dieses Problem war das Fahrrad genial und ohne Rad macht es in Sendai nur halb so viel Spaß. Und die Moral von der Geschichte ? Wenn es ein Problem und Kritik gibt, werde ich nie wieder versuchen, es über einen Japaner zu lösen. Wenn nicht wenigstens ein Elternteil Ausländer ist, ist die angeborene Zurückhaltung der Japaner so extrem, dass sie sich alles gefallen lassen. Und die japanischen Firmen nutzen das schamlos aus!

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Immer diese Vorurteile gegen Deutsche …

2006, 2010 und 2014, irgendwie habe ich es geschafft, die letzten drei Fußballweltmeisterschaften zu verpassen und stattdessen einen Aufenthalt in Japan einzuschieben. Selbst als Fußballfan stört mich die Tatsache nicht sonderlich, schließlich war ich nie der größte Fan von Nationalmannschaften. Im Endeffekt warte ich mehr darauf, dass Vegalta und der FCM endlich wieder spielen, als dass ich die Weltmeisterschaft verfolge. Trotzdem verfolgt mich das Turnier sondersgleichen. Man geht hier davon aus, dass man als Ausländer auf jeden Fall adäquater Ansprechpartner für das Thema ist. Jeder Japaner und auch die anderen Ausländer fragen zuerst, ob Deutschland denn nun Weltmeister wird oder warum Gomez zuhause geblieben ist und ein Klose nicht von Anfang an spielt. Bin ich Bundestrainer? Im Endeffekt stört mich die Situation nicht sonderlich. Ich bin im Fußball bewandert genug, um die Tatsache zu überspielen, dass ich bisher noch kein einziges Spiel gesehen habe.

In einer Situation wurde ich dann aber doch sprachlos hinterlassen: Wie bekannt ist, unterrichte ich mittlerweile seit zwei Monaten arme Japaner in den Freuden der deutschen Sprache. Der Unterricht macht auch viel Spaß und es ist interessant, die Situation des Unterrichts einmal von der anderen Seite zu erleben. Man bekommt aus der Lehrerposition wirklich alles mit, wenn man das möchte. Ich sehe zum Beispiel das Flüstern mit dem Nachbarn oder unerlaubte Hilfsmittel beim Test, wo man als Schüler eventuell dachte, das fällt niemandem auf. Es gibt Studenten, die zu wenig Schlaf hatten und nun versuchen, im Unterricht wachzubleiben oder den Klassenstreber, welcher nach jeder Stunde zu mir kommt, um noch mehr über die deutsche Kultur zu lernen. Ich ließ auch schon meinen ersten Test schreiben. Aber auch abseits davon habe ich meinen Spaß und den Studenten scheint es auch zu gefallen. Zum Glück hatte ich während des Studiums noch nie Probleme mit Präsentationen und dem freien Sprechen und kann dieses Wissen jetzt nutzen, um die Stunden zu halten. Von Mal zu Mal lerne ich dann auch noch neue Kniffe, um die Zuhörer bei Laune zu halten, welche wiederum bei Vorträgen von Nutzen sein können. Nur an Eines muss ich mich noch gewöhnen: Auf offener Straße auf einmal mit einem lautstarken „Guten Tag, Herr Lehrer“ begrüßt zu werden, lässt mich ungewollt immer umblicken, ob nicht jemand anders gemeint ist, den ich ebenfalls grüßen sollte.

Der Unterricht verläuft im Ganzen ziemlich frei und besteht aus einer Symbiose aus Ideen der anwesenden Professorin und mir. Letzte Woche war ich deshalb erfreut, dass sich niemand so wirklich für das Thema Fußball zu interessieren schien und ich problemlos durch den Stoff kam, den ich mir für die Stunde vorgenommen hatte. Während ich gerade erklärte, wie man seinen Fachbereich vorstellt, erklang aus dem Hintergrund auf einmal eine Stimme: Wie hat eigentlich Deutschland gespielt? Während ich noch überlegte, wer so rüde meinen Unterricht stört, bemerkte ich, dass die Frage von der Professorin kam. So viel zum Lehrplan… Im Endeffekt musste ich Auskunft über Resultat und Torschützen geben. Die Studenten, welche allesamt nicht unbedingt sportbegeistert erscheinen, schauten mich an, als ob ich es verursacht hatte, dass wir auf dieses leidliche Thema gekommen sind. Das erste Mal in acht Stunden fühlte ich mich fehl am Platz. Im Endeffekt konnte ich das Thema dann aber doch noch ganz gut nutzen. Da meine Aufgaben alle zwei Wochen einen Vortrag über Deutschland beinhalten, berichtete ich in der nächsten Stunde über den echten deutschen Fußball, besonders in der vierten Liga.

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Die Regenzeit

„Hey Reik, ich komme mal ganz spontan Ende des Monats bei dir in Japan vorbei! Du hast doch hoffentlich Zeit?“ Ich bin zwar ein Freund von Spontanität, damit hatte es Dennis in diesem speziellen Fall aber übertrieben. Dies lag aber nicht daran, dass ich ihn nicht sehen möchte. Nein, darauf freue ich mich außerordentlich! Ich musste einfach nur feststellen, dass Dennis trotz seiner drei Japanreisen immer noch nicht die Besonderheiten des Landes verstanden hat.

Wir befinden uns im Moment mitten in der Regenzeit. Letzte Woche regnete es täglich wie aus Kübeln und der örtliche Fluss, der Hirose, begann, die ersten Grünflächen zu überschwemmen. Dieser Zustand ist zwar nicht wirklich gefährlich, da er normalerweise relativ wenig Wasser und ein großes Überschwemmungsgebiet hat. Aber es sieht schon ziemlich beachtlich aus und allgemein kann der ganze Regen einen schon etwas depressiv machen. Die Japaner haben sich an dieses Wetter dagegen schon gewöhnt. So bietet ein Modellladen vor unserer Haustür an Regentagen einen Rabatt von 10 Prozent an. Zum Glück soll wenigstens das Wochenende trocken werden.

10prozent

Auf jeden Fall hatte Dennis diesen Umstand nicht bedacht und sein Urlaub wäre so sprichwörtlich ins Wasser gefallen. Ich kann jedem Japanreisenden deshalb nur empfehlen, möglichst von Juni bis Mitte Juli auf eine Reise zu verzichten oder wenigstens die Wetterberichte im Voraus zu beachten. Mit Dennis habe ich zum Glück einen Ausgleichstermin gefunden und ich freue mich schon darauf, mit ihm die letzten Geheimnisse Japans zu erkunden.

Nichtsdestotrotz wurde es Zeit für eine neue Investition. Das einzige Mittel, um bei diesem Wetter das Schimmeln der Sachen in unserer Wohnung zu verhindern, ist ein Luftentfeuchter. Diesen besorgte ich kurzerhand und brachte ihn auf dem Fahrrad nach Hause. An solchen Tagen vermisse ich mein Auto hierzulande schon sehr! Aber die Investition in diesen Entfeuchter hat sich wirklich gelohnt. Es ist ein merklicher Unterschied und die Sachen sind auch in einem besseren Zustand, solange er aktiv ist. Dank der Lautstärke kann er aber leider nur tagsüber aktiv bleiben.

Weniger erfreulich sind allerdings meine neuen Nachbarn. Unser Nachbarhaus wird abgerissen und bis Dezember soll dort ein neues Wohnhaus errichtet werden. Leider lassen sich die Japaner weder von Regen noch von Wochenenden von den Arbeiten abhalten und so habe ich seit zwei Wochen täglich um acht Uhr einen Wecker in Form von Abrisslärm. Es ist zwar fraglich, inwiefern dies arbeitsschutztechnisch in Deutschland zugelassen werden würde, wenn man die sintflutartigen Regenfälle beachtet. Aber das müssen die Japaner ja wissen. Ich freue mich nur darauf, dass der Rohbau hoffentlich bald fertig ist und es dann mal wieder ruhiger wird.

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Einblicke in die japanische Universität

Jetzt studiere ich schon 1,5 Jahre an einer japanischen Universität, aber man kann mich immer noch überraschen. Im Rahmen meiner Doktorarbeit muss ich Unterlagen aus einigen Archiven hierzulande besorgen. Leider hört sich dieses Vorhaben leichter an, als es im Endeffekt ist. So werde ich seit Wochen von einem Archiv vertröstet. Mal ist es nicht geöffnet, mal fehlt der richtige Ansprechpartner und eigentlich ist man sowieso immer überrascht, dass ich mich als Student melde. Nach langen Telefonaten und Versuchen habe ich es in der letzten Woche nun endlich geschafft, die vermeintliche Lagerstätte einiger interessanter Akten zu erfahren und zu meiner Freude kann man von diesen auch Kopien direkt nach Sendai bestellen. Wozu habe ich also einen neuen Tutor? Mit Norihiro im Gepäck ging es direkt in die Universitätsbibliothek, um die Kopien zu bestellen. Im Rahmen dieser Bestellung fand ich nun endlich heraus, wieso ich die derzeitigen Probleme mit den Archiven in Japan habe:

In Deutschland wird von einem Studenten erwartet, dass er sich um solche Dinge wie die Materialbeschaffung selbstständig kümmert. Kontakt aufnehmen, Informationen bekommen und Akten besorgen ist dabei nur ein Schritt. Natürlich ist die gesamte Forschung zuvor auch durch den Studenten zu vollziehen. Hier in Japan scheint dies anders zu laufen, wie ich jetzt selbst erleben konnte. Anstatt einfach nur meine Unterlagen zu besorgen, schickte mir ein Mitarbeiter der Bibliothek eine Stunde nach meiner Bestellung eine E-Mail, dass sie ein passendes Buch zu dem Thema gefunden hätten. Schön, dachte ich mir, die denken mit und bemühen sich wirklich um einen. Es kam aber noch besser: Einen Tag später erhielt ich erneut eine E-Mail, dass die Bibliothek mittlerweile in einem anderen Archiv auf weitere Unterlagen gestoßen ist, die für mich interessant sein könnten. Endlich verstand ich, dass dies nicht nur einfaches Mitdenken ist. Nein, in Japan ist es nicht vorgesehen, dass Studenten selber forschen müssen. Mit meiner Bestellung habe ich im Endeffekt einen Forschungsauftrag eingereicht und die Bibliothek versucht nun, für mich Material zu meinem Thema heranzuschaffen. Das ist natürlich für die Archive auch besser. So müssen sie ihre wertvollen Archivalien nicht in die Hände von „Amateuren“ (also Studenten) geben, sondern können mit ausgebildeten Bibliothekaren kommunizieren. Wieder einmal bestätigt sich, dass es in Japan schwerer ist, in die Universität zu kommen, als in ihr zu bleiben. Aus diesem Grund hatten also Studenten der Geisteswissenschaften in meinem Kenkyoshitsu noch nie etwas von dem Wort Archiv gehört und waren so überrascht, als ich von meinen Plänen erzählt habe. Hierzulande braucht das ein Student also nicht selbst zu machen. Für mich heißt das wiederum, dass die Archive, die sich bisher quergestellt haben, von nun an über meine Bibliothek kontaktiert werden. So sollte die Forschung endlich vorangehen.

Übrigens fühlte ich mich bei meinem Bibliotheksbesuch noch aus einem anderen Grund wie im falschen Film: Seit meiner Ankunft gibt es hier nur eine Behelfsbibliothek, da das Hauptgebäude im Bau ist. Seit Neuestem ist der Eingang zur Bibliothek in der Nähe eines Notausgangs zwischen Zeitschriften- und Zeitungsbeständen. Und welche Zeitung strahlt mich dabei in vollständiger Auflage an? Das „Neue Deutschland“, die Propagandazeitung meines Geburtslandes bzw. „das Zentralorgan der SED“. Als ich noch über diesen Zufall grübelte und mit Norihiro die Bestellungen durchsprach, sprach mich zudem noch wie beiläufig mein Nachbar an und fragte im akzentfreien Deutsch, was ich denn hier mache. Als ich noch unbekümmert auf Deutsch antwortete, wurde mir schlagartig klar, wo ich mich befand und dass dies kein normales Gespräch war. Ich hatte es geschafft, mich neben einen Japaner zu stellen, welcher vor zwanzig Jahren in Münster promoviert hat und heute in Sendai Deutsch unterrichtet. Die Welt ist wirklich klein!

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Alltagsprobleme

Wie heißt es so schön: Jedes Land hat seine Eigenheiten und Probleme. Hier in Japan ist das natürlich genauso wie auch in anderen Ländern. Meinen Unmut über das Wetter habe ich ja schon geäußert, aber es gibt so einige Eigenheiten, welche in letzter Zeit besonders auffallen. Welcher Student kennt das Problem nicht: Es ist abends, die nächste Bank ist weit entfernt und man braucht noch dringend einige Lebensmittel, ohne die man vor wirklichen Problemen steht. Zu allem Überfluss ist Japan auch noch das Land, in dem die Bankautomaten Schließzeiten haben. Man kann ja schließlich nicht verantworten, dass der Kunde bei einem Defekt ohne Hilfe vor einem der Automaten steht. Eine Kartenzahlung ist hierzulande auch nicht immer möglich, so dass man ohne Bargeldbestände gerne mal alt aussieht. Vor ein paar Monaten war das alles noch kein Problem. Kurzerhand schaute man in die Geldbörse und entschied, für genau die noch vorhandenen 20 Euro etwas zu kaufen. Man musste beim Einkaufen dann nur noch die Preise im Kopf zusammenrechnen und schon reichte es für das Essen und man hatte bis zur Öffnung der Bank Zeit gewonnen.

Im April änderte sich dies schlagartig und dank des Besuchs meiner Eltern sogar noch relativ unbemerkt für mich. In Anbetracht der Wirtschaftsprobleme Japans wurde zu dieser Zeit die Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent angehoben. Als ob nicht diese Teuerung schon schlimm genug ist, haben die örtlichen Supermärkte in diesem Zusammenhang auch noch eine neue Marktlücke entdeckt: Anstatt die Mehrwertsteuer wie zuvor auf den Etiketten zu vermerken, wird heutzutage ein kleines Kanji hinter dem Preis angebracht. Dieses weist darauf hin, dass man zusätzlich zum ausgezeichneten Preis auch noch Steuern bezahlen „darf“. Für jemanden, der dies nicht kennt, ist dies eine große Umstellung. Immer öfter beobachte ich lange Schlangen im örtlichen Supermarkt, weil Rentner oder Studenten auf einmal an der Kasse anfangen Geld zu suchen, da sie mit geringeren Beträgen gerechnet haben. Aber auch ich hatte mit dieser Umstellung schon meine Probleme, als ich vor kurzem mit begrenzten Barmitteln zum Shoppen in den örtlichen Importladen ging. Da nicht ersichtlich war, ob nun die acht Prozent extra zu sehen sind oder nicht, entschied ich, erst einmal etwas weniger zu kaufen. Nach dem ersten Einscannen verschwand ich dann noch einmal um die Ecke, um zusätzliche Sachen zu besorgen, die ich mir dann doch noch leisten konnte. Mittel, um ihre Kunden zu schröpfen, kennen sie auf jeden Fall in allen Ländern der Welt. Und ich trainiere endlich mal wieder meine Kopfrechenfähigkeiten. Wozu war ich schließlich an einem mathematischen Gymnasium?!

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Beim Geschäftsessen

Als ich nach meinem nächtlichen Abenteuer mit der „Betrunkenen“ zu Hause ankam, erreichte mich schon der Beweis, dass auf jede gute Tat eine entsprechende Antwort wartet. Ich hatte eine Einladung zum Geschäftsessen für Angestellte und gute Kunden der Nissay Versicherung erhalten. Um zu erklären, weshalb ein Student zu solcher Veranstaltung eingeladen wird, muss ich etwas ausholen:

Der geneigte Leser wird sich bestimmt noch an den Hippo Family Club mit den genialen Liedern in Richtung „Ich bin ein Nilpferd, du bist ein Nilpferd“ erinnern. Als wir Yuko, einem Kind der Gruppe, bei der Vorbereitung ihrer Zeit in Deutschland geholfen haben, tauschten wir auch Telefonnummern mit ihr aus. Vor ein paar Tagen kam dann die Einladung zu einer neuen Feier des Clubs. Zu meiner Überraschung wurde diese aber durch Yuko und nicht durch die eigentliche Vorsitzende der Gruppe, welche mich normalerweise anruft, ausgesprochen. Im Vertrauen, dass das schon alles seine Richtigkeit hat, nahmen Orsolya und ich uns für die Veranstaltung Zeit. Dann erfuhren wir aber kurz vor Beginn der Veranstaltung, dass Yuko nicht kommen wird. Da wir eh die Zeit eingeplant hatten entschieden wir, trotzdem hinzugehen. Die Anwesenden waren sehr überrascht, da sie von Yukos Einladung natürlich nichts wussten. Es wurde trotzdem ein lustiger Abend, wobei es für mich eher ein Workout wurde, da ein 3-Jähriger und ein 5-Jähriger mich als ihren Kletterbaum ausgesucht hatten und die gesamte Zeit mit mir spielen wollten. Die Tatsache, dass wir aber Yuko immer helfen und wir jetzt auch noch umsonst auf ihre Einladung erschienen sind, scheint jetzt aber ihre Mutter überzeugt zu haben, uns zu diesem Geschäftsessen einzuladen. Zudem sieht es natürlich immer gut aus, Ausländer zu kennen. So weit also zur Vorgeschichte.

Wir gingen nun also zu dieser Veranstaltung. Als wir noch versuchten die Mutter von Yuko anzurufen, lotsten uns einige Mitarbeiter auf die Party, weil wir wohl schon groß angekündigt waren. Da wir die einzigen Ausländer bei diesem Essen waren, ist dies wohl nicht verwunderlich! Zur Begrüßung mussten wir uns natürlich auch erst einmal beim obersten Chef der Firma vorstellen. Er zeigte sich begeistert davon, dass wir sowohl wissen, wie man Visitenkarten der japanischen Etikette entsprechend übergibt als auch dass wir selber welche hatten. Das Essen selber war super. Der Chef hatte dafür einen ganzen 60er Jahre Rock and Roll Club gemietet, in dem rund 100 Personen anwesend waren. Nach dem Essen gab es dann auch Livemusik, wo Japaner das Beste der 60er Jahre coverten. Allerdings konnte man sprachlich die Lieder kaum auseinanderhalten, was nicht zuletzt an ihrer schlechten Aussprache lag. Trotzdem war die Musik in Ordnung und nach viel Druck und dem Sichten einiger Musikvideos als Inspiration ließ ich mich sogar kurzzeitig auf die Tanzfläche schieben, wo wir eine bessere Figur als die meisten Anwesenden abgaben. Es war aber interessant zu sehen, wie sich die Japaner gehen ließen. Vom gesitteten Auftreten im Dienst war nichts übrig und mehr als Einer gab zumindest vor, betrunken zu sein, denn in diesem Zustand konnte ihnen der Chef das Verhalten nach japanischem Brauch nicht vorwerfen. So gab es eine Abteilungsleiterin, welche bis auf den Chef wohl jeden Mitarbeiter drückte und das, obwohl die Japaner sonst jede Berührung scheuen. Trotz allem fühlte ich mich etwas fremd und beobachtet, Spaß hatten wir aber auf jeden Fall. Dem Chef auf der anderen Seite scheint unser Auftreten auch gefallen zu haben. So wurden wir noch einmal von ihm persönlich mit Handschlag und vielen guten Ratschlägen verabschiedet. Im Zweifel können wir uns bei ihm melden, falls wir ein Problem in Japan haben, bei dem er behilflich sein könnte. Wer weiß schon, wozu das mal gut sein kann!

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Reisen durch das nächtliche Sendai

Es gibt Dinge, die werde ich wohl nie verstehen. Eine dieser Sachen ist der Unwille von Menschen, anderen in einer Notlage zu helfen. Besonders seit ich vor ungefähr 5 Jahren einmal auf dem Bahnhof in Braunschweig krank wurde und sich niemand kümmerte, schaue ich dagegen heutzutage lieber zweimal hin. Als ich heute spät abends durch Sendai in Richtung Heimat radelte, traf ich auf ein seltsames Bild: In einem Eingang lag eine Frau mittleren Alters und zeigte keine Regung. Was sollte ich machen? Einfach weiterfahren entspricht nicht meinem Naturell, aber auch das Anhalten war zu fortgeschrittener Stunde nicht unbedingt ganz oben auf meiner Liste der Beschäftigungen. Da ich aber nun mal die Situation gesehen hatte, hielt ich an, um mich mit der Situation zu beschäftigen.

Da stand ich nun. Die Dame zeigte keine Regung und selbst eine Atmung konnte man auf die Entfernung nicht feststellen. Ein Ansprechen ergab kein Ergebnis. Die Betroffene blieb bewusstlos. Wie sollte ich also vorgehen? In Japan darf man eine Person vom anderen Geschlecht nicht einfach anfassen. Selbst unter guten Vorsätzen kann ein Anfassen schon eine Vergewaltigungsanklage auslösen. Immerhin konnte ich nach längerem Betrachten der Situation eine Atmung feststellen, was mich schon einmal etwas beruhigte. Noch unschlüssig, wie ich mich verhalten soll, hielt ich Ausschau nach einem Polizeiauto oder einem Japaner, der mir vielleicht helfen könnte. Natülich gab es nichts, wie hätte es auch anders sein können! Die Japaner schauten lieber in die andere Richtung und beim direktem Ansprechen konnte natürlich niemand mein Japanisch verstehen. Es ist ja auch so schwer, eins und eins zusammenzuzählen, wenn ein Ausländer auf eine bewusstlose Person zeigt und um Hilfe bittet. So langsam wurde ich genervt und drehte die Musik meines Handys lauter und sprach noch einmal mit lauter Stimme auf die Dame ein, welche endlich ein Stöhnen von sich gab. Apathisch gab sie aber keine Antwort an mich sondern sie versuchte, unter Röcheln ihre Goldkette vom Hals zu bekommen, als ob sie nicht atmen konnte. Immerhin, sie war zwar nicht ansprechbar, die erste große Gefahr schien aber beseitigt zu sein. Obwohl die Situation besser war, war ich noch nicht zufrieden. Offensichtlich ging es ihr nicht gut und sie war desorientiert. Kurzerhand lief ich rüber zum örtlichen Combini, wo für einen Gast drei Angestellte Dienst hatten. Ich erklärte kurz dem ersten Angestellten die Situation, nur damit dieser gemütlich zum Kollegen schlenderte und ihm die Situation schilderte. Zusammen schauten sie aus der Tür rüber und entschieden nach unendlichen Minuten, den dritten Mitarbeiter zu fragen. Das Schauspiel wiederholte sich bis sie ihren Vorgesetzten riefen, welcher dann endlich mit mir losging, um nach dem Rechten zu schauen.

Die Dame lag natürlich immer noch da und rührte sich nicht wirklich. Mein Begleiter sprach sie laut aus der Entfernung an, ob sie in Ordnung sei. Endlich erwachte sie wirklich und vermeldete, in Ordnung zu sein Dies reichte dem Angestellten, um wieder zur Arbeit zu gehen. Dass die Frau es weder schaffte sich aufzusetzen, noch ein klares Wort herauszubringen, bemerkte er zwar, entschied aber auf zu viel Alkohol. Mir persönlich war diese Einschätzung zu oberflächlich, schließlich sprachen verschiedene Dinge dagegen. Zum einen betrinkt man sich nicht unbedingt beim Einkaufen und drei Taschen zeugten von einer Shoppingtour in der Innenstadt und zum anderen roch man auch keinen Alkohol. Unentschlossen beriet ich mich über Telefon mit Orsolya und entschied, nach einigen Minuten noch einmal nach dem Befinden zu fragen und mich zu erkundigen, ob ich vielleicht ein Taxi besorgen soll. Da mir nun zwar nicht überzeugend, aber immerhin an mich gerichtet, gesagt wurde, dass dies nicht notwendig sei, ließ ich es auf sich beruhen und ging nach Hause. Die Frage ist nur weiterhin: Wie viel Wahrheit steckt dahinter? Japaner hassen es, Schwäche zu zeigen und schon die eine oder andere mindestens 90-Jährige hat den im Bus angebotenen Sitzplatz abgelehnt, da sie ja schließlich noch fit sei. Immerhin war aber mein Gewissen beruhigt und ich konnte den Abend noch genießen.

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